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Connections 2008:
Ein Bericht über den internationalen
Kongress der European Region der World Union for Progressive Judaism
Evelyn ADUNKA
Wien, die Stadt internationaler Kongresse, war Mitte März
2008 Schauplatz einer Premiere. Zum ersten Mal trafen sich in Österreich 300
Delegierte liberaler jüdischer Gemeinden aus 15 europäischen Ländern. Sie wurden
von Gemeinden delegiert, die dem europäischen Teil der World Union for
Progressive Judaism (dem internationalen Dachverband der reformjüdischen
Gemeinden) mit seinem Sitz in London angehören.
Weltweit vertritt die World
Union 1.7 Millionen Menschen und ist damit die zahlenmäßig stärkste
jüdisch-religiöse Bewegung. Neben dem historischen Leo Baeck College in London
gründete die liberale Weltbewegung vor über fünf Jahren für die wachsenden
Bedürfnisse der zahlreichen liberalen Gemeinden in Deutschland - wo heute wieder
130 000 Juden leben - mit dem Abraham Geiger Kolleg ein zweites liberales
Rabbinerseminar.
Der Kongress, der alle zwei Jahre zusammentritt, stand unter
dem Motto: Progressive Judaism: The Positive Choice. Die Sitzungen, Workshops
(leider mit viel zu wenig Diskussionszeit) und die beiden Gottesdienste am
Freitag und am Samstag fanden im Hotel Imperial Riding School (vormals Penta
Renaissance) im dritten Bezirk statt.
Gastgeber in Wien war die liberale jüdische Gemeinde Or
Chadasch, in deren zwar kleiner, aber sehr schönen Synagoge im zweiten Bezirk
aus Platzgründen nur eine Rabbinerkonferenz von rund 30 Rabbinern und eine
weitere Vorkonferenz stattfinden konnten. Das lokale Organisationskomitee von Or
Chadasch unter der Leitung von Giuliana Schnitzler, John Clark und Ina Sint
sorgte für eine fast reibungslose Organisation und für die Sicherheit des
Kongresses.
V. l. Uri Regev, Rabbiner und Exekutivdirektor der Weltunion
des Progressiven Judentums, Leslie Bergman, Vizepräsident des Europäischen
Vorstandes und Senior-Vizepräsident der Weltunion, Ruth Cohen, Präsidentin des
Europäischen Vorstandes der Weltunion, Steve Bauman, Präsident der Weltunion,
hinten: Dr.Theodor Much, Präsident der jüdisch-progressiven Gemeinde Or Chadasch
in Wien. Foto: Adalbert Huber-Huber
Die Eröffnung im Wiener Rathaus fand in Anwesenheit von
Vertretern der Wiener Israelitischen Kultusgemeinde, des
Koordinierungsausschusses für christlich-jüdische Zusammenarbeit, der
griechisch-orthodoxen Kirche und der Stadt Wien statt.
Leslie Bergman, Senior Vice-Chair der World Union und
Rabbiner Andrew Goldstein, Chairman der European Region, verwiesen in ihrer
Begrüßung bzw. in der Programmbroschüre auf die historische Koinzidenz, dass der
Kongress kurz nach den Gedenkfeiern zum 70.
Jahrestag des
Anschlusses Österreichs an NS-Deutschland statt-fand. Goldstein schrieb: „We
meet in Vienna on the 70th anniversary of the Anschluss, an event that marked
the beginning of the end for pre-war Austrian and then European Jewry. Our
conference is a celebration of our rebirth and our vitality."
Leslie Bergman, heute London, der vormals in Wien lebte und
als einer der Gründer von Or Chadasch bis heute ihr Ehrenpräsident ist, ist
weiters Kuratoriumsmitglied des Abraham Geiger Kollegs und Vorstandsmitglied des
Gustav-Mahler-Jugendorchesters; er wird am 25.März im Wiener-Musikverein das
Große Ehrenzeichen für die Verdienste um die Republik Österreich entgegennehmen.
Rabbiner Andrew Goldstein, der als beratender Rabbiner der jüdischen Gemeinden
von Prag, Brünn und Bratislava maßgeblichen Anteil an der Renaissance des
jüdischen Lebens nach der samtenen Revolution in der Tschechoslowakei hatte,
wurde auf dem Kongress in Wien in sein Amt als Ehrensenator des Abraham Geiger
Kollegs geführt.
Giuliana Schnitzler, Vizepräsidentin von Or Chadasch Rabbiner
Walter Rotschild, Rabbiner der Gemeinde Or Chadasch. Foto: Adalbert Huber-Huber
Rabbiner Joel Oseran, Vizepräsident der Abteilung für
internationale Entwicklung der World Union an ihrem internationalen Hauptsitz in
Jerusalem, erinnerte in der Eröffnungssitzung daran, dass derzeit mehr Juden in
Europa leben und jüdische Kinder jüdische Schulen besuchen als in all den
vergangenen 50 Jahren. Dennoch sei das europäische Budget der World Union
minimal; die vielen kleinen und blühenden neuen Gemeinden in Osteuropa -
bräuchten weit mehr finanzielle Unterstützung als es derzeit möglich ist. Ein
großes Problem, das in Deutschland bereits großteils gelöst wurde, das aber in
mehreren anderen Ländern, etwa in Ungarn und Polen noch immer besteht, ist, dass
die staatliche Unterstützung nur orthodoxen Gemeinden zugutekommt. Ein weiteres
Projekt für die Zukunft ist ein verstärktes Lobbying in den Gremien der EU in
Brüssel.
Rabbiner Michael Marmur, Dekan des Hebrew Union College in
Jerusalem, verwies in seiner programmatischen Rede, dass es dem liberalen
Judentum trotz einiger großer Erfolge noch immer nicht gelungen ist, die
Mehrheit der Juden in Israel zu erreichen, die aus ihren Heimatländern kein
Modell eines liberalen Judentums mitbrachten.
In einem der workshops berichtete Rabbiner Burt E. Schuman,
der seit zwei Jahren amtierende liberale Rabbiner der Gemeinde Beit Warszawa, in
einem ergreifenden Vortrag von dem Wunder der Renaissance des jüdischen Lebens
in Polen. Gegründet 1999, besuchen heute rund 2000 Personen die Veranstaltungen
von Beit Warszawa.
Rabbiner Walter Rothschild, Rabbiner von Or Chadasch und Landesrabbiner von
Schleswig Holstein, sagte in seiner Ansprache während des festlichen
Gottesdienstes am Schabbat über die Bedingungen des jüdischen Lebens in Europa
über 60 Jahre nach der Shoah: "Wir arbeiten hier in der Wüste. Überall in
Europa, aber - wie ich finde - besonders in Deutschland, in Österreich, in
Mittel- und Osteuropa. Wir sind tief in der Wüste, in der Wildnis. Die
Israeliten einst verbrachten vierzig Jahre, eine ganze Generation, in diesem
Zwischenzustand, diesem Übergang von der Existenz als Sklaven zur
Unabhängigkeit, von dem Zustand des Ohnmächtigseins zur Selbst-bestimmung des
eigenen Schicksals. Hier sind es schon über sechzig Jahre und wir haben diesen
Punkt noch nicht erreicht, zumindest nicht hier."
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