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Antisemitismus in der Slowakei
Sylvia PERFLER
Judita Schvalbova ist eine freundliche, aber auch energische
ältere Dame. Sie lebt gemeinsam mit ihrem Mann Otto in einer gemütlichen kleinen
Wohnung in Prešov
(dt. Preschau), der
drittgrößten Stadt der Slowakei. Frau Schvalbova wurde 1936 als Kind jüdischer
Eltern geboren. Während des Krieges hatte die Familie Glück, sie konnte sich
versteckt halten. Obwohl die Eltern mit ihrem Kind mehrmals beinahe entdeckt
worden wären, schafften es alle drei, zu überleben.
In den Jahren nach dem Krieg
sei sie so gut wie nie mit antijüdischen Vorurteilen konfrontiert gewesen, meint Judita Schvalbova, auch wenn sich die Situation in den letzten Jahren geändert
habe:
„In der Zeit des Sozialismus zeigten die Leute ihre
antisemitischen Gefühle nicht. Ich würde sagen, dass ich heute öfter damit
konfrontiert bin als damals. Da sind verschiedene Dinge, wie verbale Gewalt
oder Vandalismus auf Friedhöfen. Wir hören davon in den Nachrichten, aber
auch von unseren Freunden in Kosice (dt. Kaschau) und in Prešov, wo jemand
ihre Häuser mit antisemitischen Slogans beschmiert hat."1
Bald nach der „Samtenen Revolution" des Jahres 1989 kam es in
der Slowakei zu ersten Bekundungen von Antisemitismus in der Öffentlichkeit.
Friedhofsschändungen, Schmierereien, aber auch gewalttätige Übergriffe von
Jugendlichen und Skinheads haben in den letzten Jahren stark zugenommen. In der
Slowakei, wie auch in anderen mittel- und osteuropäischen Ländern, die nach dem
Ende der sozialistischen Regimes um ihre Selbstbestimmung und Identität ringen
haben nationalistisches, antijüdisches und faschistisches Gedankengut
Konjunktur. Sensibilität für Antisemitismus ist in der Bevölkerung kaum
vorhanden, das Problem wird heruntergespielt. Auch die slowakische Regierung
sieht wenig Handlungsbedarf.
Die politische Wende 1989, die Trennung der Tschechoslowakei
in zwei selbständige Staaten: die Tschechische Republik und die Slowakische
Republik 1993 sowie der EU-Beitritt 2004 zogen wirtschaftliche und soziale
Veränderungen nach sich und trugen zur Verunsicherung weiter Teilen der
Bevölkerung bei. In einer für viele unübersichtlichen Zeit wird nur zu gerne
nach einfachen Erklärungsmustern gesucht. Dabei wird auf Vorurteile und
Stereotypen zurückgegriffen, die noch vom Nationalismus des 19. Jahrhunderts
stammen: Juden - die als „das Fremde" allgemein gesehen werden - seien
antislowakisch eingestellt, und sie verfügten über eine Übermacht in Politik und
Wirtschaft.
Eingang zum Chatam Sofer Memorial © Jüdisches Museum
Bratislava
Darüber hinaus ist eine der Ursache für das Aufkommen
antijüdischer Ressentiments im zunehmenden Erstarken des Nationalgefühls zu
suchen. Nachdem mit der Auflösung der Tschechoslowakei die Unabhängigkeit
erreicht war, begann man in der Slowakei nach Anknüpfungspunkten und
Identifikationsfiguren in der eigenen Geschichte zu suchen. Dabei spielen die
Jahre 1938 bis 1945, in denen das Land schon einmal ein „eigener" Staat war, in
der nationalen Selbstfindung eine wichtige Rolle:
Im Oktober 1938 hatte die stärkste slowakische Partei, die
klerikal-nationalistische Slowakische Volkspartei des
Priesters Andrej Hlinka (1864-1938; nach dessen Tod unter seinem
Nachfolger Jozef Tiso „Hlinkas Slowakische Volkspartei" genannt) die Autonomie
ihres Landes innerhalb der geschwächten tschechoslowakischen Union durchgesetzt.
Die Slowakische Volkspartei stützte sich auf faschistische Prinzipien und war
geprägt von Nationalismus, Antikommunismus und Antisemitismus. Im Gegensatz zum
Rassen- Antisemitismus in Deutschland wurde der Judenhass in der Slowakei vor
allem mithilfe religiös-wirtschaftlicher und nationalistischer Argumente
begründet: Juden wurden als Ausbeuter, Gottesmörder und Feinde der slowakischen
Nationalbewegung gesehen. Im November 1938 kam es in Bratislava, aber auch in
anderen Städten zu pogromartigen Ausschreitungen durch die Hlinka-Garde, die
paramilitärische Organisation der Slowakischen Volkspartei. Anlass war die
Unterzeichnung des „Ersten Wiener Schiedsspruches", dem zufolge Gebiete im Süden
der Slowakei an Ungarn abgetreten werden mussten. Zum Sündenbock für die
Gebietsverluste wurde die jüdische Bevölkerung gemacht. Eine Versammlung von
einigen hundert jüdischen Demonstranten vor dem Hotel der ungarischen Delegation
wurde von der Regierung als Vorwand für antijüdische Propaganda, aber auch zur
Mobilisierung der slowakischen Bevölkerung benutzt. Auf Anordnung der Regierung
sollten sogenannte mittellose Juden zusammen mit ihren Familienangehörigen in
die abzutretenden Gebiete abgeschoben werden. Ohne Unterschied wurden Männer,
Frauen, Alte und Kinder auf Lastwägen geladen und in die abgetretenen Gebiete
gebracht. Geld und Wertgegenstände der insgesamt etwa 7.500 Personen wurden
zurückgehalten, Wohn- und Geschäftsräume mit Hilfe von Staatsorganen
konfisziert. Da Ungarn sich weigerte, die Zwangsausgesiedelten aufzunehmen
entstanden im „Niemandsland" an der ungarisch-slowakischen Grenze
Internierungslager. Die Zustände in den Lagern waren katastrophal, es mangelte
an Lebensmitteln und Medikamenten. In inländischen Zeitungen wurde den
Geschehnissen im November 1938 kaum Beachtung geschenkt, umso mehr erregten die
Deportationen in der internationalen Presse von Paris bis New York
Aufmerksamkeit. Schließlich wurde den Deportierten am 8. Dezember 1938 die
Rückkehr in die Slowakei erlaubt. Die politische Verantwortung für die
Geschehnisse lag bei Jozef Tiso, das Vorgehen gegen die jüdische Bevölkerung
ging allein auf slowakische Initiative zurück. Die Stimmung innerhalb der
Bevölkerung war von der Presse und der Regierung aufgeheizt, es bedurfte zu
diesem Zeitpunkt keinerlei Drucks aus Deutschland.
Im März 1939 wurde Tiso nach Berlin zitiert und unter Druck
gesetzt, einen „Schutzvertrag" mit dem Reich abzuschließen. Die Slowakei wurde
damit zu einem Satellitenstaat, und war militärisch, wirtschaftlich sowie in
außenpolitischen Angelegenheiten an das „Dritte Reich" gebunden. Deutsche
Berater wurden als politische Koordinatoren in die slowakischen Ministerien
entsandt. Im September 1940 traf der „Sonderberater der slowakischen Regierung
für die jüdische Frage", der SS-Hauptsturmbannführer Dieter Wisliceny in
Bratislava ein. Bereits im März 1939 waren Gesetze zur „Arisierung" erlassen
worden, Juden wurden ihres Eigentums beraubt, diskriminiert und in die
wirtschaftliche und soziale Isolation gedrängt. Auf Plätzen und in Parks hieß es
fortan: „Juden, Zigeunern und Hunden ist der Zutritt verboten." Dieter
Wisliceny, einem engen Mitarbeiter Adolf Eichmanns, gingen diese Maßnahmen nicht
weit genug. 1941 wurden Gesetze verabschiedet, die neben den „Nürnberger
Rassegesetzen" zu den schärfsten antijüdischen Verordnungen in Europa zählten.
Sogar Briefe mussten mit einem Judenstern gekennzeichnet werden, eine Maßnahme,
die nicht einmal für das „Deutsche Reich" eingeführt wurde!
Bis Kriegsende kam es zu zwei Deportationswellen von Juden,
in den Jahren 1942 und 1944. Die slowakische Regierung erklärte sich 1942 mit
den deutschen Deportationsplänen einverstanden und beteiligte sich an der
Organisation der Transporte: Gemäß einer Vereinbarung wurden für jede Person 500
Reichsmark aus dem beschlagnahmten jüdischen Besitz an das „Deutsche Reich"
bezahlt, offiziell zur Deckung der Kosten für „berufliche Schulung", Versorgung
und Transport. Dafür erhielt die Slowakei die Zusage, dass die Deportierten von
ihrem Arbeitseinsatz im Osten nicht zurückkehren und Deutschland auch keinen
weiteren Anspruch auf das jüdische Vermögen erheben würde. Von März bis Oktober
wurden an die 58.000 Juden, das waren fast zwei Drittel der jüdischen
Bevölkerung der Slowakei, verschleppt. Nur Personen, die aufgrund ihrer
wirtschaftlichen Bedeutung oder als Konvertiten eine Ausnahmegenehmigung hatten,
blieben verschont.
Im Jahr 2000 klagte der „Zentralverband der Juden in der
Slowakei Deutschland" auf Rückzahlung dieses Betrags und Entschädigung von
insgesamt 78 Millionen Euro. Die Klage wurde im Jänner 2003 endgültig abgewiesen
mit der Begründung, der Zentralverband könne nicht als Rechtsnachfolger der
ermordeten Juden gelten.
In einer zweiten Phase, die auf den slowakischen
Nationalaufstand folgte, wurden im Herbst 1944 weitere 13.000 Personen
deportiert. Das „Deutsche Reich" hatte Wehrmachts- und SS-Einheiten zur
Niederschlagung des Aufstandes entsandt, gleichzeitig wurde diese Situation von
den Deutschen als letzte Möglichkeit gesehen, die „jüdische Frage" in der
Slowakei nach ihren eigenen Vorstellungen zu lösen. In den Reihen der Partisanen
fanden sich auch viele slowakische Juden wieder. Unter ihnen waren zwei Männer,
Rudolf Vrba und Alfred Wetzler, denen es Anfang April 1944 gelungen war aus
Auschwitz zu fliehen. Sie erstellten als Augenzeugen einen der ersten Berichte
über die deutschen Vernichtungslager.
Innenansicht des Chatam Sofer Memorials © Jüdisches Museum
Bratislava
Nach dem Krieg wurden der tschechische und der slowakische
Staat wieder zur Tschechoslowakei vereint. Jozef Tiso und eine Reihe anderer
Personen wurden von einem tschechoslowakischen Gericht angeklagt und zum Tode
verurteilt. Damit war die Auseinandersetzung mit der slowakischen Geschichte der
Jahre 1938 – 1945 abgeschlossen und wurde fortan durch das sozialistische Regime
tabuisiert. Die Erinnerung an Repräsentanten des slowakischen Staates war wegen
deren Klerikalismus und Antikommunismus verpönt.
Rund um die politische Wende 1989 sowie im Zuge der
Unabhängigkeitsbestrebungen der Slowakei brach die Diskussion um den damaligen
slowakischen Staat wieder auf und wurde bis heute nicht endgültig abgeschlossen.
Es geht im Besonderen um die Rolle Jozef Tisos bei den Deportationen. Die
Auseinandersetzung findet zu einem großen Teil in den Medien statt. Der Anteil
Tisos an der Verantwortung für die Geschehnisse dieser Zeit wird in vielen
Berichten heruntergespielt und der ehemalige Staatspräsident nostalgisch
verklärt. Ein besonders gutes Beispiel ist der 1996 in der „Slovenska
Republika", einer regierungsnahen Tageszeitung, erschienene Artikel „Richter
nehmt Platz, das Grab ist ausgehoben". Dessen Autor, Ján Smolec, versucht den
slowakischen Staat und den damaligen Staatspräsidenten Jozef Tiso von jeder
Schuld loszusprechen: Die Shoah stehe in keinem Zusammenhang mit dem
slowakischen Staat oder der Person, die zu jener Zeit slowakischer
Staatspräsident war. Tiso, der unter deutschem Druck stand, hätte noch versucht,
jüdische Bürger mithilfe von ihm ausgestellter Ausnahmepapiere vor der
Deportation zu bewahren. Der Prozess gegen ihn sei als eine Racheaktion von
Běnes zu werten. 2
Bis heute hält die Verehrung des 1947 hingerichteten
slowakischen Präsidenten der Kriegsjahre an, rechte und ultranationalistische
Gruppen wie „Slovenska Pospolitost" setzen sich für Tisos Rehabilitierung ein.
Im Jänner 2007 erregte ein Fernsehinterview des Erzbischofs Ján Sokol, Oberhaupt
der Erzdiözese Bratislava-Trnava (dt. Tyrnau) großes Aufsehen. Der Erzbischof
hatte erklärt, dass die Regierung Tiso auch eine Zeit des Wohlstands für die
Slowaken bedeutet habe: „Ich schätze Tiso sehr, weil ich mich erinnere, wie
arm wir waren, als ich noch ein Kind war. Als er kam, ging es uns besser."3
Erzbischof Sokol löste durch diese Aussage nicht nur beim „Zentralrat der
Juden in der Slowakei", der die Äußerung eine Beleidigung der Opfer der Shoah
nannte Verständnislosigkeit und Entsetzen aus, sondern auch innerhalb der
katholischen Kirche und bei vielen Slowaken.
Glücklicherweise gibt es in der Slowakei eine Reihe von
Einzelpersonen und Institutionen, die es sich zur Aufgabe gemacht haben zu
erinnern, zu sensibilisieren und zu mahnen. Mittlerweile wurde in Bratislava
beispielsweise ein jüdisches Museum eingerichtet, dessen Sammlung das reiche
Erbe des Landes von den ersten schriftlichen Nachweisen 1270 bis zum Verbot
aller Aktivitäten 1940 wiederspiegelt. Das Verdienst des Museums liegt aber vor
allem darin, kulturelle Aktivitäten und Diskussionsveranstaltungen sowie
Seminare für Lehrer zu organisieren. Es ist dem Museum ein Anliegen, durch
Bücher und Publikationen einen Beitrag zur Geschichtsaufarbeitung zu leisten.
Das Museum spielt in dieser Beziehung eine führende Rolle in der Slowakei, wie
etwa mit dem Band „Antisemitismus in der politischen Entwicklung der Slowakei
1989-1999". Dem Buch folgte eine internationale Konferenz über Antisemitismus,
die im Jahr 2000 auf Initiative des Museums und unter Schirmherrschaft des
damaligen Staatspräsidenten Rudolf Schuster veranstaltet wurde. Außerdem wird
vom Museum an einem Filmprojekt über Holocaustüberlebende gearbeitet, in dem die
jeweiligen Personen über ihr Leben erzählen sollen.
Ein ähnliches Vorhaben geht auch von CENT-ROPA, dem von
Edward Serotta begründeten und geleiteten „Central Europe Center for Research
and Documentation" aus. CENTROPA hat zwar seinen Sitz in Wien, die Slowakei ist
aber Teil des Projekts „Jüdische Zeugen eines europäischen Jahrhunderts". Seit
dem Jahr 2000 werden Lebensgeschichten gesammelt und private Fotos
digitalisiert. Es geht nicht darum, wie jüdische Bürger während der Shoah
umkamen, sondern vielmehr darum, wie sie lebten. Anhand alter Familienfotos
erzählen die befragten Personen Geschichten über ihre Verwandten, die auf diesen
Bildern zu sehen sind. Es sind gesammelte Erinnerungen, Alltagserlebnisse,
Komödien und Tragödien eines Jahrhunderts jüdischen Lebens .
Holocaust Mahnmal des slowenischen Künstlers Milan Lukac ©
Milan Lukac/art11.com
Otto Schvalb, einer der Interviewten, erinnert sich an die
Veränderungen, die das Jahr 1989 für die jüdische Gemeinde in Prešov mit sich
brachte:
Nach dem Krieg wurde der Besitz der Gemeinde nicht
zurückgegeben, die finanzielle Situation war also denkbar schlecht. Seit
einigen Jahren erhalten diejenigen, die während des Zweiten Weltkrieges
verfolgt worden sind, von der „Conference on Jewish Material Claims Against
Germany", kurz „Claims Conference", eine Entschädigung. Viele jüdische
Bürger gingen während der realsozialistischen Zeit nicht in die Synagoge,
andere nur heimlich, aus Furcht, sich verdächtig zu machen. Vor 1989 bestand
die Gemeinde ausschließlich auf dem Papier. Auch heute sieht man nicht viele
in der Synagoge, außer an den Hohen Feiertagen. Es gibt heute einfach nicht
mehr genug Leute. In der Öffentlichkeit wird nach Otto Schvalbs Meinung dem
jüdischen kulturellen Leben im Land heute aber mehr Aufmerksamkeit
geschenkt, auch im Fernsehen.4
Zur Zeit gibt es nur mehr eine sehr kleine jüdische Gemeinde
in der Slowakei. Nach den Schrecken des Krieges schrumpfte die Gemeinde in den
Jahrzehnten des realsozialistischen Regimes noch weiter. In der Hauptstadt
Bratislava leben etwa 800 Juden, weitere jüdische Gemeinden gibt es in den
anderen großen Städten des Landes. Eines der wesentlichsten Probleme stellt die
Überalterung dar, es gibt kaum junge Mitglieder. Sehr erfreulich und ein gutes
Zeichen für die Zukunft ist, dass immer mehr Angehörige der jungen Generation
sich für ihre jüdischen Wurzeln interessieren. In den letzten Jahren fassten
jüdische Organisationen im Land Fuß und organisieren seitdem eine Reihe von
Aktivitäten, besonders für Jugendliche.
Vor dem Krieg gab es Synagogen in fast jeder Stadt, diese
verschwanden in der Zeit des Kriegs und des Realsozialismus fast vollständig.
Die jüdische Gemeinde in Bratislava war vor dem Krieg weithin berühmt. Vom
damaligen Glanz, den Synagogen, den jüdischen Schulen und den damals fast 15.000
Gläubigen ist heute nicht mehr viel zu spüren. Nichtsdestotrotz kommen Touristen
aus ganz Europa, Israel und Amerika in die slowakische Hauptstadt, allein, um
eine jüdische Stätte zu besuchen – das Grab von Chatam Sofer. Chatam Sofer war
ein über die Grenzen des Landes bekannter Rabbiner des 19. Jahrhunderts. Er
wurde 1762 in Frankfurt am Main als Moses Schreiber geboren. Schon in jungen
Jahren beeindruckte er seine Lehrer durch sein außerordentliches religiöses
Wissen. Nach seiner Ausbildung nahm er Stellen in Boskovice (dt. Boskowitz),
Prostějov (dt. Prossnitz) und Mattersburg (ung. Nagymárton)
an, bevor er nach Bratislava ging, wo er 33 Jahre lang als Oberrabbiner
wirkte und 1839 auch verstarb. In Bratislava
gründete er eine Jeshiwa, die unter seinem Einfluss zu einem bedeutenden
und weltbekannten Zentrum jüdischer Bildung wurde. Chatam Sofer war ein
anerkannter Gelehrter und Talmudexperte. Rabbiner kamen aus ganz Europa, um
seinen Rat einzuholen und seine Meinung zu Rechtsfragen zu hören.
Dass die letzte Ruhestätte des bekannten Rabbiners heute
besucht werden kann, grenzt an ein kleines Wunder. Sein Grab, sowie jene von 22
weiteren Rabbinern, machen heute den kleinen Rest eines dreihundert Jahre alten
jüdischen Friedhofs aus. 1942 sollte der gesamte Friedhof aufgelassen werden und
einem Tunnel Platz machen. Obwohl mitten im Krieg, gelang es der jüdischen
Gemeinde zu erreichen, dass zumindest das Grab Chatam Sofers sowie eine Reihe
anderer Rabbinergräber erhalten blieben. Ein aufwendiger Betonsarkophag wurde um
die Gräber herumgebaut. Jahrzehntelang waren diese nur noch durch einen schmalen
Schacht sichtbar, darüber rollte der Verkehr. Die Pilger kamen trotzdem.
Fünfzig Jahre später wurde auf Initiative des
„Internationalen Komitees von Genoai", eines New Yorker Vereines, mit der
Rekonstruktion begonnen. Die Straße wurde verlegt und der Beton entfernt. Die
Herausforderung bestand darin, eine Stätte zu schaffen, die für Pilger und
Betende zugänglich ist, dabei aber auf die religiösen Gesetze und die Ruhe der
Toten Rücksicht zu nehmen. Seit 2002 kann das Mausoleum wieder besucht werden:
Durch den Eingang, einen übergroßen schwarzen Kubus, gelangt man in die Tiefe
zur eigentlichen Grabstätte. An den Wänden hängen Grabtafeln, die bei der
Rekonstruktion entdeckt worden sind. Gläubige und Besucher kommen um zu beten
und um Chatam Sofers Grab zu sehen, viele lassen kleine Zettelchen mit ihren
Wünschen zurück – in Anlehnung an den Besuch der Klagemauer in Jerusalem. Durch
die Decke ragen die Enden von Glasscheiben – drei davon sind von Vandalen
zerschlagen worden und haben seither Risse.
Die Synagoge am Rybne namestí, dem „Fischplatz" hatte ein
ähnliches Schicksal wie der jüdische Friedhof mit der Ruhestätte Chatam Sofers.
1968 wurden Teile des ehemaligen Ghettos wie auch der Tempel abgerissen, um eine
neue Donaubrücke zu errichten. Mitte der 1990er Jahre wurde zum Andenken an die
70.000 deportierten und ermordeten slowakischen Juden eine fünf Meter hohe
Bronzestatue des slowakischen Künstlers Milan Lukac an der Stelle der alten
Synagoge aufgestellt. Im September 2001 und auch 2002 legte Staatspräsident
Rudolf Schuster einen Kranz vor das Holocaust-Mahnmal, als Mahnung und als
Erinnerung an die antijüdischen Gesetze, die im September 1941 erlassen worden
waren. Ein Jahr zuvor war der 9. September gesetzlich als „Gedenktag für die
Opfer des Holocaust und von rassistischer Gewalt" festgelegt worden.
Anstrengungen werden in den letzten Jahren vor allem im
Bereich der Bildung unternommen. In Zusammenarbeit mit Israel gibt es in der
Slowakei ein Programm für Pädagogen. Im Mittelpunkt stehen der Unterricht über
die Shoah und der Umgang mit Antisemitismus und Rassismus. Es ist ein Beitrag zu
einer objektiven Geschichtsaufarbeitung und ein Schritt zur Förderung der
Toleranz. Als wichtiges Zeichen ist auch der „Marsch der Toleranz" gegen
Faschismus, Rassismus und Antisemitismus im März 2001 in Bratislava zu sehen, an
dem mehrere hundert Personen teilnahmen.
Mittlerweile gibt es Initiativen verschiedener Seiten, die
hoffentlich auch in Zukunft intensiviert und fortgesetzt werden. Es ist weiters
zu hoffen, dass auch der EU-Beitritt auf längere Sicht zu einer Besserung der
Situation beitragen wird. Die Öffnung und die verstärkte Kooperation mit anderen
europäischen Staaten könnte auch eine offenere und tolerantere Einstellung der
Menschen in der Slowakei gegenüber Minderheiten und anderen Kulturen bewirken.
Vor allem muss dem immer noch unterschätzten Problem des Rassismus mehr
Aufmerksamkeit geschenkt werden.
-
1 Das gesamte Interview ist in englischer Sprache auf der
Homepage von Centropa zu finden: www.centropa.org.
-
2 vgl. Tönsmeyer Tatjana, Der Holocaust im öffentlichen
Bewusstsein der Slowakei, in: Jahrbuch für Antisemitismusforschung 1997, hg. v.
Zentrum für Antisemitismusforschung der Technischen Universität Berlin,
Frankfurt/Main, S. 85-88
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3 Zitiert nach: Eva Gruberová: Hitlers Hirte, Die Zeit,
27.09.2007 Nr. 40
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4 Ausschnitt aus dem Interview mit Otto Schvalb, ganzes
Interview, www.centropa.org.
Literaturhinweise:
-
Marianne Hausleitner/Monika Katz (Hg.): Juden und
Antisemitismus im östlichen Europa, Wiesbaden 1995
-
Tatjana Tönsmeyer: Das Dritte Reich und die Slowakei
1939-1945. Politischer Alltag zwischen Kooperation und Eigensinn, Paderborn 2002
-
Jahrbuch für Antisemitismusforschung 1997, hg. v. Zentrum für
Antisemitismusforschung der Technischen Universität Berlin, Frankfurt/Main 1998
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