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Pessach:
Gedanken zu Freiheit und Befreiung
Klaus DAVIDOWICZ
Jakob Frank (1726-1791), der berühmt-berüchtigte Anführer der
häretischen messianischen Bewegung der Frankisten im 18. Jahrhundert, erzählt
folgende Pessach-Anekdote:
„Als ich klein war, fragte ich Rabbi Leib über Pessach:
‘Du sagst, das ist eine beschützte Nacht. Aber wieviel Juden werden in
dieser Nacht ermordet und wieviel Diebstähle werden begangen? Warum nennst
du sie dann beschützt? … Du bist gewöhnt, ein volles Glas mit Wein für
Elijah einzuschenken. Aber wie ist es ihm möglich, all die Gläser aller
Juden in einer Stunde aus zu trinken? ….Bei diesem Tisch und bei diesen
Lobpreisungen ist es üblich, solche Greuel wie Läuse, Frösche etc. mit den
Plagen zu erwähnen…. Du nimmst die Mazzot zusammen mit Meerrettich, um es zu
essen. Nur weil jener Alte so dumm war und dies tat, muss ich es auch tun?
All das ist falsch und verlogen. Alle, die am Tisch saßen weinten und
begriffen, dass diese Fragen gerecht gewesen sind." (Worte des Herrn § 292)
Auch wenn Frank die jüdische Tradition völlig abgelehnt hat,
müssen wir doch eingestehen, dass wir die eine oder andere dieser Fragen
vielleicht schon einmal an einem Seder-Tisch gehört haben. Diese
Auseinandersetzungen zeigen nur, dass es eigentlich nicht sehr sinnvoll ist, auf
rationale Weise Gebote und Verbote des Judentums zu untersuchen, bzw. sich auf
die Suche nach der historischen Wahrheit für die biblischen Ereignisse zu
machen. Auf diese Weise kommen skurrile Dinge heraus, wie die Berechnung, dass
Moses in der Wüste täglich 1.500 Tonnen Nahrung besorgen musste und dass man
dafür zwei Güterzüge, je 1,6 Kilometer lang, benötigt haben würde.
Pessach war und ist das Fest der Befreiung aus der
Knechtschaft eines Pharaos, der seine Sklaven nicht ziehen lassen will. Eine
Situation, die sich in der Geschichte, und gewiss nicht nur der jüdischen
Geschichte, stets wiederholt hat - Menschen und Staaten, die Druck auf ihre
„Sklaven" ausüben, um ihre Macht zu erhalten. Das Exodus-Ereignis war die erste
„jüdische Revolution". Denn was ist Revolution? Nach Hannah Arendt ist der
Revolutionsbegriff „unlösbar der Vorstellung verhaftet, dass sich innerhalb der
weltlichen Geschichte etwas ganz und gar Neues ereignet, dass eine neue
Geschichte anhebt."1
Der Auszug aus Ägypten wird als Geburtsstunde des jüdischen Volkes gesehen. Die
Revolte war erfolgreich, aber diese Pessach-Geschichte zeigt uns auch, dass
Befreiung und Freiheit nicht dasselbe sind:
„Nur wer sich unter Freien bewegte, war frei. Und
entscheidend für Herodots Gleichsetzung von Freiheit mit
Herrschaftslosigkeit war die Erfahrung, dass der Herrscher selbst gerade
nicht frei ist; indem er die Herrschaft über andere ausübt, beraubt er sich
der Gesellschaft von seinesgleichen, in der er hätte frei sein können.
Herrschaft zerstört mit anderen Worten den politischen Raum, und das
Resultat dieser Zerstörung ist die Vernichtung der Freiheit für Herrscher
wie Beherrschte."2
Aber Moment – Arendt zitiert hier ein Beispiel aus
Griechenland. Passt das überhaupt zur jüdischen Geschichte und zu unseren
Begriffen von Freiheit und Befreiung? „Sind wir Griechen? Sind wir Juden? Wir
leben im Unterschied des Jüdischen und des Griechischen, der vielleicht die
Einheit dessen ist, was wir Geschichte nennen."3
Derrida wiederholt hier eine Frage, die bereits Heine ironisierte:
„Alle Menschen sind entweder Juden oder Hellenen,
Menschen mit asketischen, bildfeindlichen, vergeistigungssüchtigen Trieben
oder Menschen von heiterem, entfaltungsstolzem und realistischem Wesen."4
„Jerusalem" und „Athen" sollten sich ergänzen und kein
trennendes Entweder-Oder bilden.
Doch wie können Theokratie und Demokratie vereinigt werden?
Pessach ist das Fest der Befreiung und vor allem der Erinnerung an diese
Befreiung. Die Haggada erzählt in der Wir-Form den Auszug aus Ägypten. Pessach
und die Haggada sind nicht nur Zeugnisse der jüdischen Volksgründung, sondern
auch die zentralen Instrumente ihrer alljährlichen Erinnerung und stetig neuen
Identitätsbildung mit allen Generationen.
Der Knechtschaft aus Ägypten werden die Tora und ihre Gebote
und Verbote gegenüber gestellt - die Annahme des göttlichen Gesetzes oder die
Unterwerfung unter die Macht aller Pharaonen: „Wenn dein Sohn dich fragt: Wozu
alle diese Vorschriften, Regeln und Gebote?, sag ihm: Weil wir Sklaven waren in
Ägypten."5
Wirkliche „Pharaonen" sollte es für die befreiten jüdischen
Sklaven lange Zeit nicht mehr geben. Als schließlich mit der Zeit ihrer eigenen
Könige erstmals die Monarchie Einzug hielt, waren deren bitteren Früchte am Ende
die Zeit der Teilung des Landes und der Verlust der Eigenstaatlichkeit. Auch die
zweite „jüdische Revolution" unter den Makkabäern endete als „römisches
Trauerspiel". Erst fast 2.000 Jahre später sollte es wieder einen jüdischen
Staat geben, der dieses Jahr 60 Jahre alt wird. Ob hier endlich ein wirklich
demokratischer Raum der Freiheit geschaffen wurde, wird die Zeit erweisen –
„Nächstes Jahr in Jerusalem".
Hannah Arendt, Über Revolution,
München 1965, S.33
2
Arendt, Über Revolution, S.36
3
Jacques Derrida, L´écriture et
la différance, Paris 1967, S.227
4
Heinrich Heine, Beiträge zur
deutschen Ideologie, Ludwig
Börne, Erstes Buch, S. 260,
Ullstein Verlag Frankfurt/M.
1971
5
Text der Pessach-Haggada
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