Julius Korngold scheint das Talent seines Sohnes geahnt zu
haben: Den am 29. Mai 1897 in Brünn Geborenen benannte er berührenderweise nach
Mozart mit dem zweiten Namen Wolfgang. Eine gezielte Anspielung auf das berühmteste Wunderkind der
Musikgeschichte, Wolfgang Amadeus Mozart. Und das zweite Wunder nahm seinen
Lauf.
Julius Korngold war der von Theodor Herzl bestellte
Nachfolger des gefürchteten Musikkritikers Eduard Hanslick bei der „Neuen Freien
Presse" und strenger Richter über richtige und falsche Töne: ein Kritikerpapst,
würde man heute sagen. Julius Korngold führte einen regelrechten Feldzug gegen
die Atonalität, die zu jener Zeit im Aufschwung war. Arnold Schönberg und seine
Weggefährten hatten unter dem Regiment von Korngolds spitzer Feder wenig zu
lachen.
Korngold seinerseits war ein Verehrer und publizistischer
Förderer Gustav Mahlers. Bald wurde bekannt, dass unter Julius Korngolds Dach
ein Wunderkind heranwuchs. Das war dem Vater durchaus bewusst: Dennoch ließ er
das Talent seines Sohnes von Experten prüfen, schon 1909 konnte er ganze 40
Kopien von Werken an Musiker und Kollegen schicken, die die Arbeit begutachten
sollten: Engelbert Humperdinck ortete „die außerordentliche Erfindungsgabe des
märchenhaften Wunderkindes", Gustav Mahler war mehr als überzeugt von Korngolds
Fähigkeiten: „Ein Genie! Ein Genie! Geben Sie den Buben zu Zemlinsky in die
Lehre. Nur ja kein Konservatorium, kein Drill".
Korngold am Klavier, ca. 1940 © Korngold Family Estate
Tatsächlich wurde der junge Korngold Schüler Alexander von
Zemlinskys – womit Julius Korngold ansatzweise über seinen Schatten sprang, denn
Zemlinsky stand dem verhassten Schönberg-Kreis nahe.
Bald wurde ganz Wien auf den Wunderknaben aufmerksam: Mit elf
Jahren erregte er mit seiner Komposition des pantomimischen Balletts „Der
Schneemann" Aufsehen – 1910 wurde das Werk in der Wiener Hofoper in der
Instrumentierung Zemlinskys uraufgeführt. Auch die Kontakte des Vaters machten
sich bezahlt, so wurden viele der Werke des jungen Korngold von namhaften
Musikerpersönlichkeiten aufgeführt: Bruno Walter, Wilhelm Furtwängler oder
Richard Strauss gehörten zu seinen Interpreten. Der junge Korngold ließ seinem
ersten Werk Klaviersonaten und eine Sinfonietta nachfolgen, 1916 erlangte er
dann mit den Operneinaktern „Der Ring des Polykrates" und „Violanta" auch in
München Bekanntheit. Die Kritiker waren fassungslos vor Begeisterung.
Der Einfluss des Vaters machte vieles einfacher, aber dem
jungen Korngold wohl auch manchmal das Leben schwer: Die Meinungen von Kollegen
und Experten über das neue Wunderkind waren geteilt – während die einen vom
offensichtlichen Talent beeindruckt waren, lehnten die anderen Korngold junior
wegen der allzu offensichtlichen Förderung durch den Vater ab. Amüsante
Dokumente in der Ausstellung demonstrieren diese Ambivalenz in der Wiener
Gesellschaft: etwa eine Karikatur, die einerseits den jungen Korngold zeigt, der
in die Klaviertasten haut – andererseits Vater Korngold, der sich mit gleicher
Inbrunst an einem reichhaltigen Büffet vergeht. Oder jener überlieferte Dialog:
„Sie spielen die Sonate vom jungen Korngold, ist sie dankbar? – Die Sonate
nicht, aber der Vater!" Eines war wohl mehr als Gerede: Wer sich weigerte, ein
Korngold-Werk zu interpretieren, war sich einer vernichtenden Kritik des Vaters
sicher. „Überblickt man Korngolds ganzes Leben, so möchte man freilich schon
darüber nachdenken, ob ihm der Vater insgesamt mehr genützt oder mehr geschadet
hat", schreibt Otto Biba im Katalog der Ausstellung.
Der junge Korngold ließ sich – so scheint es - vom Gerede
nicht beirren und knüpfte an seine ersten Erfolge an: 1920 gelang ihm mit „Die
tote Stadt" ein Welterfolg, die Oper wurde zur meistgespielten eines lebenden
Komponisten und war ein Hit in den Opernhäusern Österreichs und Deutschlands.
Noch vor dem Krieg folgten „Das Wunder der Heliane" und „Die
Kathrin" – das „Wunder der Heliane" wurde zum letzten großen Opernerfolg
Korngolds, mit dem er allerdings auch nicht an die Sensation der „Toten Stadt"
anknüpfen konnte. „Das Wunder der Heliane" ist Korngolds ehrgeizigstes Werk –
Julius Korngolds Intrigen und der „mitleidlose Zeitgeist" verhinderten aber den
großen Erfolg: Ernst Kreneks Jazzoper „Jonny spielt auf" hatte etwa zur gleichen
Zeit Premiere und eroberte die Welt im Sturm. In Wien entstand ein regelrechter
Krieg zwischen den Anhängern der beiden Opern – welch absurde Ausmaße das damals
annahm, zeigt die Auswirkung auf das Alltagsleben: Die Austria Tabak-Regie
brachte in dieser Zeit zwei Zigaretten auf den Markt: eine billige ohne Filter
namens „Jonny" und eine edle parfümierte namens „Heliane". Noch ungewöhnlicher
ist allerdings, dass antisemitische Organisationen begannen, mit dem Juden
Julius Korngold gemeinsame Sache zu machen. Ein Propagandageflecht stellte
„Jonny" und Krenek als „jüdische Volksschädlinge" hin, obwohl Krenek Katholik
und nicht jüdischer Herkunft war.
Erich Wolgang Korngold mit seiner Frau Luzi und den Söhnen
Ernst und Georg im Hotel St. Moritz, New York 1935 © Photofest
So unerfreulich die Zeit der „Heliane" wohl für Erich
Korngold war, so sollte genau dieser von breiten melodischen Strömen und
dissonanten, aber weich klingenden Akkorden geprägte spätromantische Stil
Korngolds später Hollywood erobern und zu dessen spezifischem „Sound" werden.
1924 heiratete Korngold Luzi Sonnenthal und begann sich in
dieser Zeit vom Vater abzunabeln. Bei diesen Versuchen landete er in der Welt
der leichten Musik und der Operettenarrangements – Arbeiten, die ihn vom Vater
finanziell unabhängig machten und ebenfalls unbewusst seinen Weg für seinen
zweiten Lebensweg Hollywood ebneten.
Der internationale Erfolg dieser Arrangements erlaubte es den
Korngolds, 1930 eine schöne Villa in der Sternwartestraße im 18. Wiener
Gemeindebezirk zu erwerben. Zur tatsächlichen Heimat wurde dann das
Familienrefugium Schloss Höselberg bei Gmunden. Dort konnte das Paar – in
sicherer Entfernung zu den Eltern – Zeit mit seinen zwei Söhnen verbringen.
In jenen Jahren entstand die Freundschaft und Zusammenarbeit
mit Max Reinhardt: Er war es dann auch, der Korngold 1934 erstmals in die
Vereinigten Staaten holte. Korngold sollte Felix Mendelssohn Bartholdys
„Sommernachtstraum"-Schauspielmusik für Reinhardts Shakespeare-Verfilmung
arrangieren.
Luzi und Erich reisten im Oktober 1934 ab. Mit seinem
Korngoldschen „Hollywood Sound" hatte Erich schließlich wesentlich mehr Erfolg
in den USA als Reinhardt, der sich in die Filmwelt nicht richtig einleben
konnte.
Der ganz große Durchbruch für Korngold kam 1936: Für das
Filmepos „Anthony Adverse" komponierte er die Filmmusik, für die er den ersten
von zwei Oscars erhielt.
In dieser Zeit pendelte Korngold zwischen den USA und Wien –
er wollte die Brücken zur Alten Welt nicht abbrechen, die er als sein
eigentliches künstlerisches Standbein empfand. Für die Arbeit an der Filmmusik
für „Robin Hood" fuhr Korngold wieder nach Hollywood – ein Großteil der
Korngold-Familie saß kurz danach bereits in der Falle in Hitler-Deutschland.
Aber nur wenige Stunden nach Hitlers Ankunft schaffte es die Familie, Österreich
zu verlassen. Vater und Sohn waren in den USA wieder vereint: Julius verlangte
nach der Kontrolle von Erichs Finanzen und benahm sich ganz im Sinne eines
Patriarchen. Er starb am 25. September 1945 in Hollywood – für Erich Wolfgang
Korngold begann nun auch eine neue Schaffensphase. „Mit 50 ist man kein
Wunderkind mehr", äußerte Korngold in Interviews und zeigte sich bereit,
Hollywood und die Filmmusik zu verlassen.
Erich Wolfgang Korngold erlitt im Alter von 50 Jahren einen
Herzinfarkt und war künstlerisch – ohne seinen Vater und ohne Max Reinhardt –
auf sich allein gestellt. Er begann mit der Arbeit an der „Sinfonischen
Serenade", die er als eine seiner besten Arbeiten ansah. Er war hoch erfreut,
als Furtwängler zusagte, das Werk mit den Wiener Philharmonikern aufzuführen.
1949 kehrten die Korngolds nach Wien zurück – die meisten
Freunde und Verwandten waren allerdings entweder tot oder verschollen. Auch
künstlerisch war die Rückkehr ernüchternd. Die Zeiger der zeitgenössischen Musik
standen auf Avantgarde, Schönberg und die Nachfolger dominierten die Neue Musik,
für Korngolds luxuriöse, aber auch wieder nicht konservative Spätromantik hatte
niemand mehr ein Ohr.
1954 reiste Korngold nach Deutschland, um noch einmal einen
Filmsoundtrack zu schreiben: für „Die Frauen um Richard Wagner", der zu einem
Flop und einem bitteren Erlebnis für Korngold wurde. Die Versuche der Korngolds,
ihr Schloss Höselberg, das im Krieg „arisiert" worden war, zurückzuerlangen,
gestalteten sich schwierig. Das Eigentumsrecht an der Villa in der
Sternwartestraße konnten sich die Korngolds sichern und wohnten sogar ein Jahr
lang dort, ehe sie sich zum Verkauf und zur Rückkehr nach Amerika entschieden.
Bis heute fehlt ein Großteil des Inventars aus Schloss Höselberg und der Villa
in Wien. 1955 kehrten die Korngolds endgültig nach Amerika zurück, 1956 erlitt
Erich zwei starke Schlaganfälle. An seinem 60. Geburtstag im Mai 1957 erhielt er
zahllos Glückwunschbriefe aus aller Welt – im November desselben Jahres starb
Erich Wolfgang Korngold. Die Ausstellung beschließt mit einem wunderbaren Epilog
über Korngolds Familie und Nachkommen.
Die reich gestaltete Schau bietet auch für Kenner der Materie
noch Entdeckungen – und rückt eine fast vergessene große Musikerpersönlichkeit
wieder ins Gedächtnis.
Julia Urbanek ist Redakteurin der „Wiener Zeitung"
„Die Korngolds – Klischee, Kritik und Komposition". Jüdisches
Museum Wien bis 18. 5.