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Eine Spurensuche:
Sigmund Freud und die Kabbala?

Klaus DAVIDOWICZ

Sigmund Freud (1856-1939) ist eine der Ikonen des 20. Jahrhunderts. Seine Gestalt und sein vielschichtiges Werk haben immer wieder zu Diskussionen und Kontroversen geführt, wobei Freud mitunter auch mit viel ätzender Polemik überschüttet wurde.

1991 löste Yosef Yerushalmi mit seiner Studie „Freud’s Moses"1 einen längeren Diskurs über Sigmund Freud’s „Der Mann Moses und die monotheistische Religion" (1939) aus2, zu der Jan Assmann mit seinen Arbeiten beitrug3. Ihnen folgte eine Debatte4, die noch immer anhält.

Die Beziehung Freuds zur Kabbala ist in der gesamten Freud-Erforschung ein wenig untergegangen – bis auf eine Studie von 1958, die David Bakan (1921-2004) unter dem Titel „Sigmund Freud and the Jewish Mystical Tradition" veröffentlichte. Damals war die wissenschaftliche Kabbala-Erforschung erst rund 30 Jahre alt, wenn man ihren Beginn mit Gershom Scholems Dissertation zum Buch Bahir (1923) sowie mit seiner Berufung zum Dozenten für Jüdische Mystik an der Hebräischen Universität von Jerusalem im Jahr 1925 festsetzt. 1965 veröffentlichte Bakan eine überarbeitete Version seines Buches, die seitdem unverändert nachgedruckt wurde.5

Diese Vorarbeit von Bakan wurde im Grunde nie fortgesetzt. Selbst Sanford Drob beschäftigt sich vor allem mit der Beziehung zwischen Kabbala und Psychoanalyse6, und weniger mit der Thematik "Freud und die Kabbala". In seinem Artikel „’This is Gold’, Freud, Psychotherapy and the Lurianic Kabbalah"7 führt er aus:

„Ich bin, anders als Bakan, nicht der festen Meinung, dass Freud – bewusst oder unbewusst – kabbalistische oder jüdische Themen entlehnt hat, als er die Psychoanalyse entwickelte, das kann der Fall sein oder auch nicht sein."

Grundsätzlich ist zu sagen, dass die Quellenlage bei Bakan, der diesem Thema bislang als Einziger ein ganzes Buch gewidmet hat, mehr als unzureichend ist. Er benutzte allein englische Übersetzungen kabbalistischer Quellentexte (wie die eher mittelmäßige Teil-Übersetzung des Zohars von 1931-1934), von denen es 1965 eben noch nicht allzu viele gab, und Scholems Studien, die ins Englische übersetzt worden waren. So kommen bei Bakan die für den Vergleich sicher wichtige lurianische Kabbala sowie der Frankismus viel zu kurz, da dazu damals auf Englisch keine Quellentexte vorhanden waren. Dass durch eine so schmale Kenntnis der Kabbala eine ganze Reihe von Fehlern und Missverständnissen entstehen konnte, ist nicht verwunderlich. So macht Bakan aus der antiken Schrift „Sefer Jetsira" ein Werk der mittelalterlichen Kabbala (Seite 69), da er hier dem modernen Okkultisten und Anhänger der Orden der „Golden Dawn" und der Rosenkreuzer, Arthur Edward Waite (1857-1942), folgt. Dass er dann Martin Buber als „one of the outstanding modern representatives of Jewish mysticism" (Seite 116) bezeichnet, ist nicht mehr verwunderlich. Hier ist hervorzuheben, dass sowohl David Bakan als auch Sanford Drob keine Erforscher des Judentums, sondern Psychologen sind. So macht Drob in seinem oben erwähnten Artikel aus Chajim Bloch (1881-1973) einen „litauischen Rabbiner", obwohl dieser in der zum Zeitpunkt seiner Geburt ungarischen Stadt Nagy Bocskó [heute Veliki Byčkov /Ukraine; Anm. d. Red.] geboren ist und in Galizien und Wien gelebt hat, bevor er in die USA emigriert ist.

Drob zitiert eine interessante Geschichte, die Bakan 1965 in seine Neuauflage aufgenommen hat. Bakan hatte nach der ersten Veröffentlichung seiner Studie einen Brief von Chajim Bloch erhalten und diesen auch kurz danach besucht und folgendes erzählt bekommen: Chaijm Bloch, ein Rabbiner und Übersetzer kabbalistischer und chassidischer Legenden, lebte nach dem 1. Weltkrieg in Wien. Der Floridsdorfer Rabbiner und prominente Kämpfer gegen den modernen Antisemitismus, Joseph Samuel Bloch (1850-1923), hatte als Plattform für seinen politischen Kampf gegen Judenhasser wie August Rohling 1884 die „Österreichische Wochenschrift" gegründet. Dort hatte nicht nur Theodor Herzl bereits 1896 erste Artikel veröffentlicht, sondern auch Chajim Bloch seine später in Buchform erschiene Sammlung „Der Prager Golem" (Wien 1919) publiziert. Chajim Bloch war übrigens mit Joseph Bloch nicht verwandt.

Chajim Bloch behauptete nun, dass ihn Joseph Bloch, der ihn in seinen Wiener Jahren unterstützt hatte, dazu gedrängt hätte, sich dem Kabbalisten Chajim Vital zu widmen. Der Vorschlag passte sehr gut zu den bisherigen Übersetzungen, die Chajim Bloch herausgegeben hatte. Nach den Prager und Chelmer8 Golem-Geschichten hatte er mit der „Gemeinde der Chassidim" (Berlin 1920) auch chassidische Geschichten veröffentlicht. Chajim Bloch erzählt nun, dass ihn Vital nicht besonders gefesselt und er nach dem Tod Joseph Blochs die Übersetzungsarbeit liegen gelassen habe. Mit welchem Werk aus dem umfangreichen Oeuvre Chajim Vitals hatte sich Bloch beschäftigt? Es war nicht, wie man annehmen könnte, eine der zentralen kabbalistischen Arbeiten Vitals, sondern das hebräischsprachige „Buch der Visionen", seine spirituellen Lebenserinnerungen und Träume. Eine gekürzte und überarbeitete hebräische Version dieses Textes wurde 1826 unter dem Titel „Zum Lob des Rabbi Chajim Vital" veröffentlicht. Diese Fassung zog Chajim Bloch für seine deutsche Übersetzung heran. Allerdings bekam er angeblich ein schlechtes Gewissen, dass er dem Wunsch des verstorbenen Mentors Joseph Bloch nicht nachgekommen war, und einen fürchterlichen Angsttraum. In diesem sei ihm Joseph Bloch erschienen und habe nachgefragt, warum er seine Arbeit zu Chajim Vital nicht beende. Von diesem nächtlichen Besuch schockiert vollendete Chajim Bloch schließlich doch seine Übersetzung.

Nachdem seine Arbeit abgeschlossen war, habe er sich auf die Suche gemacht, um jemandem zu finden, der ihm ein Vorwort dazu verfassen und ihm auch bei der Veröffentlichung des Textes helfen könne. Da das „Buch der Visionen" auch von Träumen Vitals handelt, habe Bloch an Sigmund Freud gedacht und ihn aufgesucht:

„Freud, sagte Chajim Bloch, war außer sich vor Aufregung, als er das Manuskript las. ‚Das ist Gold’, sagte Freud, und fragte, warum ihm noch niemand auf die Werke Chajim Vitals aufmerksam gemacht hätte. Er willigte ein, dass Vorwort zu schreiben und sagte auch zu, bei der Veröffentlichung behilflich zu sein. Dann wandte sich Freud Bloch zu und erzählte ihm, dass er auch ein Buch über das Judentum geschrieben hätte und holte das Manuskript von ‚Moses und dem Monotheismus’ hervor. Bloch war offen bestürzt. ‚Antisemiten’, sagte er, ‚beschuldigen uns, den Begründer des Christentums ermordet zu haben. Nun fügt ein Jude hinzu, dass wir auch den Begründer des Judentums ermordet haben. Sie bauen eine Falle für das jüdische Volk.’ Und weiter: ‚Haben Sie die Geburts- und Sterbeakten des antiken Ägypten studiert und Beweise dafür gefunden, dass Moses ein Ägypter war und die Juden ihn umgebracht haben?’ Freud war erbost über Bloch und sagte ihm, dass er nichts mehr mit ihm und seiner Arbeit zu Chajim Vital zu tun haben wolle und verließ erzürnt das Zimmer." 9

Diese Unterredung hatte Bakan auch im „Commentary" (January 1960), und Bloch selbst daraufhin als „An Encounter with Freud" (Bitzaron, November 1960) veröffentlicht.

Bloch stellte fest, der „Mann Moses" sei auf einem Papier geschrieben, dass seinem eigenen Manuskript-Papier ähnelte. Sekundenlang sei er versucht gewesen, die Manuskripte zu vertauschen, um so dem „Mann Moses" ein verfrühtes Ende zu bescheren. In Freuds Arbeitszimmer habe Bloch auch einige deutschsprachige Bücher zur Kabbala und eine französische Zohar-Übersetzung entdeckt. Dies ist besonders für Bakan erwähnenswert, da er in seiner Studie Zitate aus dem Zohar Freud gegenüberstellt. Da diese Werke in der erhaltenen Freud-Bibliothek heute nicht mehr vorhanden sind, ist es fraglich, welche Zohar-Übersetzung Freud gekannt haben mag. Es gab damals nur die französische Übersetzung von Jean de Pauly (Paris 1906-1912) und die französische Anthologie von Edmond Fleg (Paris 1925).

Aber was heißt „damals"? Wann fand dieses seltsame Gespräch – wenn überhaupt - statt?

Da Joseph Bloch 1923 verstorben war und das Vital-Buch von Chajim Bloch unter dem Titel „Lebenserinnerungen des Kabbalisten Vital" 1927 im Wiener Vernay- Verlag erschien, kommt nur die Zeit zwischen 1923 und 1927 in Betracht. Leider haben sich offensichtlich weder Bakan noch Drob die Mühe gemacht, das Erscheinungsdatum des Bloch-Manuskriptes in Erfahrung zu bringen. Wie beide sicherlich wussten, war zu diesem Zeitpunkt der „Mann Moses" weit davon entfernt, ein fertiges Manuskript zu sein, auch wenn Freud das Thema Moses, wie er am 6. Januar 1935 an Lou Andreas-Salomé schrieb, sein ganzes Leben lang verfolgte:

„Er begann mit der Arbeit an Der Mann Moses und die monotheistische Religion im Sommer 1934, hielt sie aber mehr oder weniger geheim. Er sprach zu Ettington?? [Eitingon; Anm. d. Verf.] davon und zu Arnold Zweig. Gegen Ende des Jahres berichtete Anna Freud Lou Andreas-Salomé, dass ihr Vater im Sommer eine ‚besondere Arbeit’ vollendet habe, sagte aber nichts über deren Inhalt."10

Yerushalmi hat diese hier erwähnte ursprüngliche Fassung analysiert und sie auf den 9. August 1934 datiert. Erst fünf Jahre später, im Exil, sollte Freud den überarbeiten „Mann Moses" veröffentlichen. Wie kann es dann möglich sein, dass Chajim Bloch vor 1927 ein fertiges (!) Manuskript auf Freuds Schreibtisch in Wien sah? Wie kam Freud dazu, mit dem ihm wildfremden Bloch überhaupt über den „Mann Moses" zu sprechen? Wie ernst kann man dann überhaupt die Erwähnung Blochs nehmen, dass kabbalistische Texte in Freuds Bibliothek vorhanden waren? Und wieso sollte Bloch seine Übersetzung von Chajim Vital plötzlich gestoppt haben? 1925 hatte er in Leipzig die deutsche Übersetzung der hebräischsprachigen Hagiographie zu Isaak Luria „Shivhe ha-Ari" (Zum Lob des Ari) unter dem Titel „Kabbalistische Sagen" veröffentlicht. Dazu passt es nur, wenn er danach die Träume und Visionen des wichtigsten Schüler Lurias, Chajim Vital, die „Shivhe Chajim Vital" (Zum Lob des Chajim Vital) veröffentlichte. So schön Blochs Nacherzählungen mitunter formuliert sind, so muss man doch erwähnen, dass sein gesamtes Werk voll literarischer Fälschungen ist. Sein Prager Golem ist die deutsche Übersetzung der modernen Fälschung des Yehuda Rosenberg, „Niflaot Maharal" von 1909, obwohl Bloch Rosenbergs Vorlage nicht erwähnt. Seine Sammlung über Elijahu von Chelm (16. Jahrhundert), „Israel, der Gotteskämpfer", beruht auf Geschichten eines gewissen Schaje Tripolsky, wobei man eindeutig erkennen kann, dass diese Erzählungen modern sind und nicht aus der Renaissance stammen. Seine Sammlung der Originalbriefe des Mahahral von Prag und des Ba’al Schem Tov von 1924 sind schon damals als Fälschung entlarvt worden.11 Allein vor diesem Hintergrund ist die Erinnerung, die der fast 80jährige Chajim Bloch erzählt hat, mit grosser Vorsicht zu betrachten. Er mag bei Freud um Unterstützung für sein Vital-Buch angefragt haben, aber der Rest scheint blühende Fantasie zu sein.

Die spannende Idee, inwieweit Freud tatsächlich von der Kabbala beeinflusst wurde, ist weder durch die Bloch-Anekdote noch durch Bakans Studie zu unterstützen. Sie müsste folglich durch wirklich seriöse Kabbala- und Freud-Forschung überprüft werden.

„Ich glaube in der Tat, dass ein großes Stück der mythologischen Weltauffassung, die weit bis in die modernen Religionen hinein reicht, nichts anderes ist als in die Außenwelt projizierte Psychologie. Die dunkle Erkenntnis (sozusagen endopsychische Wahrnehmung) psychischer Faktoren und Verhältnisse des Unbewussten spiegelt sich – es ist schwer, es anders zu sagen, die Analogie mit der Paranoia muss hier zu Hilfe genommen werden – in der Konstruktion einer übersinnlichen Realität, welche von der Wissenschaft in die Psychologie des Unbewussten zurückgewandelt werden soll. Man könnte sich getrauen, die Mythen vom Paradies und Sündenfall, von Gott, vom Guten und Bösen, von der Unsterblichkeit u.dgl. in solcher Weise aufzulösen, die Metaphysik in Metapsychologie umzusetzen" 12

1 New Haven 1991; dt: Freud’s Moses. Endliches und unendliches Judentum, Frankfurt a. M. 1999

2 siehe: Richard J. Bernstein, Freud and the Legacy of Moses, Cambridge 1998, dt.: Freud und das Vermächtnis des Moses, Berlin 2003

3 Moses, the Egyptian, Cambridge 1997; dt.: Moses, der Ägypter, München 1998; Die Mosaische Unterscheidung, München 2003.

4 siehe die Artikel von Rolf Rendtorff, Gerhard Kaiser u.a. im Anhang zur „Mosaischen Unterscheidung", S. 193-286

5 zuletzt zum Freudjahr 2006 in Mineola, New York 2005, wieder aufgelegt

6 siehe: Symbols of the Kabbalah: Philosophical and Psychological Perspectives, Northvale, New York 2000, S.3

7 http://www.newkabbalah.com/kabpsy.pdf

8 Israel der Gotteskämpfer, der Baalschem von Chelm und sein Golem, Berlin 1920

9 Bakan, Freud, Seite XVII

10 Peter Gay, Sigmund Freud, Frankfurt a. M. 1990, S.680

11 siehe Qiriat Sefer 1,1924-25, S.105

12 Sigmund Freud, Zur Psychopathologie des Alltagslebens, Gesammelte Werke, Band IV, Frankfurt a. M. 1955, S. 287-288

 
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