DAVID: Sie waren von Anfang an in den väterlichen Betrieb
eingebunden?
Jiři Schreiber: Ich selbst arbeitete zunächst als
Automechaniker. Als mein Vater Unterstützung im Geschäft brauchte, übernahm
meine Mutter die Buchhaltung des Steinmetz- Betriebes, ich selbst besuchte die
Berufsschule und lernte nun ebenfalls das Steinmetz- Gewerbe. 1971 stieg ich in
den väterlichen Betrieb ein.
DAVID: Womit begannen Sie?
Jiři Schreiber: Unsere ersten großen Arbeiten bestanden
im Freilegen der Straßen beim 1. Tor: auf diesen großen Verbindungswegen lagen
viele Grabsteine herum. Innerhalb von 3 Monaten konnten wir sie wieder befahrbar
machen; die Arbeiten führten wir gemeinsam mit Arbeitern des städtischen
Steinmetz- Betriebes aus.
DAVID: Sie haben auch verschiedene Arbeiten auf dem
jüdischen Friedhof Währing durchgeführt.
Jiři Schreiber: Ja, das war vor vielen Jahren. Damals
lebte eine ganze Reihe Obdachloser in den Gruftanlagen unten. Ich weiß gar
nicht, wie das möglich war: In dem Gebäude wohnte schließlich ein Polizist mit
seiner Familie und kümmerte sich um den Friedhof; er hatte auch einen
Schäferhund, der auf dem Areal frei laufen durfte. Jedenfalls wurden die ersten
der offenstehenden Gruftanlagen mit Erde zugeschüttet, andere Grüfte wurden mit
Betonplatten zugedeckt. Auch die bis dahin praktisch unsichtbaren Wege wurden
wieder freigelegt und begehbar gemacht. Das war sehr schwierig, es gab ja keinen
Plan des Areals, woraus der Verlauf der Weganlagen ersichtlich gewesen wäre. Wir
legten alle Steine, die über die Wege verstreut waren, zur Seite, damit man
daran wieder vorbeigehen konnte.
DAVID: Das muss etwa in den 1980er Jahren gewesen sein.
Gab es zu jener Zeit Bemühungen, die jüdischen Friedhöfe zu retten?
Jiři Schreiber: Auch andere Personen engagierten sich
sehr. Der Leiter der technischen Abteilung der IKG Wien, Herr Ing. Blaha und
Herr Leitner, nahm mich zwischen 1975 und 1980 auf alle jüdischen Friedhöfe mit,
in Niederösterreich, im Burgenland, in Oberösterreich und natürlich in Wien. Wir
besichtigten ihren Zustand, und einige Gräber renovierte ich damals - in
Niederösterreich, im Burgenland, in Oberösterreich, aber zum Beispiel auch am
jüdischen Teil des Döblinger Friedhofes.
DAVID: Der Döblinger Friedhof ist ja hinsichtlich der
Erhaltung der dort bestehenden jüdischen Gräber auf ewige Zeiten ein spezieller
Fall; schließlich handelt es sich um einen Kommunalfriedhof mit anderen Gesetzen
als jenen eines jüdischen Friedhofes. Der Bestand dieser Gräber ist daher nicht
selbstverständlich auf ewige Zeiten gewährleistet.
Jiři Schreiber: In den 1980er Jahren transportierte ich
die ersten Grabsteine vom Döblinger Friedhof ab. Die IKG Wien hatte den Friedhof
aufgegeben. Am 4. Tor bei Gruppe 24, an der Mauer zur Straßenbahn, wurden diese
Steine angelehnt. Dort stehen sie heute noch.
DAVID: Welche Art von Arbeiten führen Sie am häufigsten
aus?
Jiři Schreiber: Damals, in den 1980er Jahren, fertigten
wir auch viele Gedenktafeln an. Aber grundsätzlich bestehen bis heute 90 Prozent
aller Aufträge aus Renovierungsarbeiten. Die neuen Steine, am 4. Tor, bilden nur
einen kleinen Teil.
DAVID: Sie verfügen demnach über große Erfahrung im
Umgang mit historischen Grabstätten.
Jiři Schreiber: Ja, bereits mein Vater hat seinerzeit mit
seiner eigenen Steinmetz- Firma in Reichenberg den dortigen jüdischen Friedhof
renoviert. Die Gemeinde von Reichenberg schrieb ihm sogar einen Dankesbrief. Zu
jener Zeit lebten dort aber nur mehr vier jüdische Familien.
DAVID: Ihr Bruder führt mit Ihnen gemeinsam das
Familienunternehmen Schreiber.
Jiři Schreiber: Als meine Mutter starb, übernahm mein
Bruder Pavel das Führen der Buchhaltung. Bald danach lernte auch er den Beruf
des Steinmetzen. Wir sind ja beide praktisch damit aufgewachsen, da lag dieser
Entschluss nahe.
DAVID: Wie entwickelte sich die Firma weiter?
Jiři Schreiber: Als der Verein „Schalom" ins Leben
gerufen wurde, hatten wir zunächst eine schwere Zeit. Wir bekamen keine Aufträge
mehr. Dann erging ein Aufruf an die Steinmetz- Innung, sich an einem Aktionstag
beim 1. Tor zu beteiligen. An einem einzigen Tag gelang es, sämtliche Steine der
Gruppe 5b wieder aufzustellen. Wir waren etwa 60 Leute - zwar nahmen nicht
sämtliche Steinmetz- Betriebe Wiens teil, einige verweigerten das, aber von der
Simmeringer Hauptstraße waren alle Firmen dabei. Auch die Berufsschule schickte
die Schüler der 3. Klasse, die Zuliefererfirmen stellten das Werkzeug zur
Verfügung, und die Stadt Wien sorgte mit Gulaschkanonen für unsere Verpflegung.
Um 7 Uhr früh begannen wir, um 4 Uhr nachmittags waren wir fertig. Das war eine
gute Sache. Die Bemal-Aktionen, mit weißer Farbe Grabsteininschriften
nachzupinseln, habe ich nie befürwortet, auf dem Friedhof St. Marx zum Beispiel
wäre das nicht erlaubt. Aber es steht zweifelsfrei fest, dass der Verein
„Schalom" viel geleistet hat.
DAVID: Gab es auch später noch solche Kooperationen mit
anderen Steinmetz- Betrieben?
Jiři Schreiber: Etwa im Jahre 2003, unter Herrn Ing.
Klima von der technischen Abteilung der IKG Wien, bekam ich den Auftrag,
gemeinsam mit drei anderen Steinmetz- Betrieben ein Angebot und eine
Kostenschätzung für die Öffnung des jüdischen Friedhofes Währing zu erstellen.
Vorbild sollte der alte jüdische Friedhof in Prag sein. Einer von uns Steinmetz-
Meistern reiste dorthin und untersuchte die dortigen Sicherungs- und
Konservierungsmaßnahmen, und auch, wie man in Prag die Ströme von Touristen über
das Areal leitet. Es kam zu einer Begehung des jüdischen Friedhofes Währing, an
der etwa 15 Personen teilnahmen, darunter auch Herr Dr. Kurt Scholz, bei der wir
unser Konzept präsentierten. Die Steine entlang der Wege sollten wieder
aufgestellt und renoviert werden, die Wege begehbar gemacht, die Grüfte
gesichert, die Trümmerhaufen im östlichen Teil des Areals abgetragen und die
daraus noch erhaltenen Grabsteine entlang der südöstlichen Begrenzungsmauer
aufgestellt und mit einer erklärenden Tafel versehen werden. Wir hatten für die
Durchführung der Arbeiten eine Dauer von einem Jahr vorgesehen. Meine Kollegen
fragten dann noch oft nach, wann die Arbeiten beginnen könnten, doch bis heute
ist nichts davon geschehen.
DAVID: Der älteste heute in Wien noch erhaltene jüdische
Friedhof, in der Seegasse, ist ebenso wie der Friedhof Währing
renovierungsbedürftig.
Jiři Schreiber: Vor nicht allzu langer Zeit bekamen wir
den Auftrag eines Nachkommen, auf dem Friedhof in der Seegasse den Grabstein
seines Vorfahren instand zu setzen. Die IKG Wien wollte das nicht gestatten und
verwies auf den Denkmalschutz. Wir verfügen aber sogar über ein Bild des
fraglichen Grabsteins im Originalzustand, vor der Zerstörung, und so können wir
den Stein in seinem heutigen Zustand durch die fehlenden Teile originalgetreu
ergänzen. Die Arbeiten werden im März beginnen.
DAVID: Der Friedhof in der Seegasse wurde ja in der
NS-Zeit abgeräumt: Um die Grabsteine vor der Zerstörung zu retten,
transportierte sie die Kultusgemeinde zum 4. Tor des Zentralfriedhofes. Dort
wurden sie versteckt und erst Jahrzehnte später wiedergefunden.
Jiři Schreiber: Als die Gruppe 24 am 4. Tor planiert
werden sollte, kamen viele Steine, die aus der Seegasse stammten, zum Vorschein
– sie waren dort unter dem Weg vergraben worden. Viele sind bei den Arbeiten
kaputt gegangen, viele liegen immer noch dort unter der Erde. Ich machte damals
den Vorarbeiter, der sich über Steine beschwerte, die sein Baufahrzeug
behinderten aufmerksam, dass er gerade Grabsteine aus dem 15. Jahrhundert
zerstörte. Das war ihm ziemlich egal. Also organisierte ich selbst einen
Lastwagen, grub die größten Stücke aus und legte sie in die Wiese vor unserem
Gebäude. Dort liegen sie bis heute. Rund 250 weitere Steine aus der Seegasse
waren entlang der Mauer zum evangelischen Teil des Zentralfriedhofes
aufgestapelt, wie Sandwichs, immer vier übereinander. Die Stapel waren ganz
überwuchert, ganz versteckt. Wir legten die Steine dann frei, der Amtsdirektor
der IKG Wien, Herr Dr. Hodik, nummerierte sie, sie wurden von uns in die
Seegasse zurück transportiert und dort nach dem Originalplan Bernhard Wachsteins
wieder aufgestellt.
DAVID: Sie möchten auch an der Rettung des jüdischen
Friedhofes Währing aktiv mitwirken und können anbieten, dort eine Grabstelle pro
Jahr auf eigene Kosten wiederherzustellen.
Jiři Schreiber: Ja, das ist richtig. Sogar monatlich
könnten wir einen Grabstein übernehmen, gratis. Tatsächlich müssen wir ja auch
am 4. Tor, wenn wir einen Grabstein neu setzen, oft erst einmal die
Nachbargrabstellen stabilisieren und wiederherstellen, und das bezahlt niemand –
was wir dort können, können wir auch in Währing!
DAVID: Das ist ein sehr großzügiges Angebot. Der DAVID
gratuliert herzlich zu Ihrem Firmenjubiläum und wünscht auch weiterhin viel
Erfolg. Vielen Dank für das Gespräch!
Das Gespräch führte Tina Walzer