Anlässlich des Gedenktages vom 12. März 2008, der ja mit dem
Dies Academicus der Universität Wien zusammenfällt, sollen wenigstens die
wichtigsten Absolventen der „Wiener Schule der Kunstgeschichte", die
Mitteleuropa in den Dreißiger Jahren verlassen mussten, in Erinnerung gerufen
werden:
Der in Prag geborene Hans Tietze (1880-1954) erwarb
sich erste Verdienste, indem er durch seine Tätigkeit als Autor von
Kunsttopographien die regionale Kunstforschung mit wissenschaftlichem Anspruch
betrieb. Sozusagen Heimatkunde auf höchstem Niveau verkörpert auch sein
Standardwerk „Die Juden Wiens", das vor kurzem neu aufgelegt worden ist. Als
engagierter Museologe und Liebhaber der Barockkunst war Hans Tietze einer der
geistigen Väter der Neuordnung der staatlichen Museen nach 1918 und vor allem
des 1923 eröffneten Barockmuseums im Unteren Belvedere. Daneben begeisterte sich
der als Dozent an unserem Institut lehrende Kunsthistoriker jedoch auch für die
moderne Kunst. Aufgrund der Freundschaft mit Oskar Kokoschka entstand 1909 das
bekannte Porträt des Ehepaares Tietze, das sich heute im Museum of Modern Art in
New York befindet. Die Emigranten mussten das Bildnis 1939 verkaufen, um ihren
Lebensunterhalt finanzieren zu können. Hans Tietze konnte allerdings dann an der
Columbia University in New York unterrichten.
Seine Gattin Erica Tietze-Conrat (1883-1958) war 1905
mit ihrer Dissertation über Georg Raphael Donner die erste Frau, die an der
Wiener Universität ein Studium der Kunstgeschichte mit dem Doktorat abschloss.
Neben der Mitarbeit an Projekten ihres Mannes beschäftigte sie sich auch
weiterhin mit Barockplastik.
Seit 2004 widmet sich in Wien die "Internationale Hans Tietze
und Erika Tietze-Conrat Gesellschaft" der „Wiederentdeckung" dieser beiden
Kunsthistoriker, und es wurde bereits eine Gedenktafel am Wohnhaus
Armbrustergasse 20 angebracht. Eine wesentliche Würdigung, erfuhr das Ehepaar
Tietze zuletzt durch die Publikationen ihrer Aufsätze durch Almut Krapf-Weiler,
Hans Aurenhammer u.a. in zwei Bänden unter dem Titel „Lebendige
Kunstwissenschaft" (2007) sowie „Die Frau in der Kunstwissenschaft" (2008). Im
November 2008 wird den Tietzes im Rahmen der Wiener Vorlesungen zum Gedenkjahr
ein eigener Abend gewidmet sein.
Der Budapester Frederick Antal (1887-1954) war einer
der ungarischen „Kunsthistoriker-Revolutionäre" und als Marxist auch in England
lange vom akademischen Betrieb ausgeschlossen. In seinen späteren Lebensjahren
beschäftigte er sich hauptsächlich mit der Malerei des 18. sowie des 19.
Jahrhunderts und lehrte am Courtauld Institute, wo auch sein Nachlass verwaltet
wird.
Der Wiener Fritz Saxl (1890-1948) promovierte 1912 an
unserem Institut, wirkte aber schon ab 1913 in Hamburg als Bibliothekar von Aby
Warburg. Als dessen Nachfolger gelang ihm 1933 auch die Übersiedlung der
Bücherbestände nach London und 1944 deren Eingliederung in die Universität als
eigenes Warburg Institute.
Ebenfalls zum Budapester „Sonntagskreis" um den Philosophen
Georg Lukács und den Kunsthistoriker Arnold Hauser gehörte Johannes Wilde
(1891-1970) der 1923-38 am Kunsthistorischen Museum wirkte. Nach der
Emigration bearbeitete er u.a. die italienischen Zeichnungen in Windsor Castle
und unterrichtete am Courtauld Institute bzw. der Universität London. Am
bekanntesten wurden seine Arbeiten über Michelangelo.
Der zuerst nach England und dann nach Nordamerika emigrierte
Ernst Kris (1900-1957) war Kunsthistoriker und Psychoanalytiker im
Umkreis Sigmund Freuds. Er publizierte 1929 als Kurator des Kunsthistorischen
Museums den Katalog der Steinschneidekunst, wurde aber vor allem als Autor der
„Legende vom Künstler" (1933) berühmt.
Otto Pächt (1902-1988) war in den 20er und 30er Jahren
gemeinsam mit Hans Sedlmayr Begründer der Neueren Wiener Schule der
Kunstgeschichte. Als einer von wenigen international anerkannten Gelehrten
kehrte er nach 25 Jahren in England nach Wien zurück und war von 1963 bis 1972
Ordinarius an unserem Institut. Otto Pächt war Spezialist für Buchmalerei und
auch der geistige sowie materielle Gründer des „Pächt-Archives". Nach der
Herausgabe seiner Vorlesungen zur altniederländischen Kunst, zur venezianischen
Malerei oder Rembrandt wurde dieser Kunsthistoriker zuletzt auch durch einen von
Michael Pächt und Artur Rosenauer herausgegebenen Erinnerungsband gewürdigt.
Zu den zumindest kurzzeitigen Heimkehrern gehörte auch die
Spezialistin für christliche Kunst in Ägypten Hilde Zaloscer (1903-1999).
Sie musste aufgrund der politischen Verhältnisse mehrmals in ihrem Leben Land
und Arbeitsplatz verlassen. 1975-78 unterrichtete sie an unserem Institut,1988
veröffentlichte sie ihre Erinnerungen unter dem Titel „Eine Heimkehr gibt es
nicht". Der Nachlass von Hilde Zaloscer befindet sich im Wiener Literaturhaus.
Der schon als Student von seinen
nationalsozialistischen Kollegen an der Wiener Universität verfolgte Otto
Kurz (1908-1975) war 1933 Mitautor der Kris’schen Künstlerlegenden. Im
selben Jahr konnte er als Mitarbeiter der Hamburger Warburg-Bibliothek nach
London emigrieren, wo er schließlich ab 1949 dauerhaft als Bibliothekar
arbeitete.
An der Londoner Warburg Bibliothek fand auch Sir Ernst
Gombrich (1909-2001) eine Arbeitsmöglichkeit. Er hatte schon 1935 mit seiner
„Kurzen Weltgeschichte für junge Leser" einen Best- und Longseller geschrieben.
In seinen Forschungen die Methoden der „Wiener Schule", die Tradition Aby
Warburgs und Erkenntnisse der Wahrnehmungspsychologie verbindend stand Sir Ernst
Gombrich von 1959 bis 1976 an der Spitze des Warburg Institutes. In seinen
letzten Lebensjahren hielt er mehrere Vorlesungen in Wien, darunter auch einige
an unserem Institut.
Der Erinnerung an die vertriebenen und ermordeten Wiener
Kunsthistoriker soll nun ein im Hof 9 vor unserem Institut geplantes Denkmal
dienen. Das Projekt geht auf eine Idee des lange in London als Kunsthändler
tätigen und auch an unserem Institut mehrfach Übungen zum Kunsthandel
abhaltenden früheren Präsidenten des Pen-Clubs Österreich, Wolfgang Georg
Fischer zurück. Die künstlerische Planung liegt in den Händen von Hans Buchwald,
Professor Emeritus für Architektur und Raumplanung an der Universität Stuttgart.
Zur Begleitung dieses Projektes findet in diesem Semester auch eine von
Institutsvorstand Univ.-Prof. Dr. Lioba, Univ.-Prof. Dr. Theis und ao.
Univ.-Prof. Dr. Aurenhammer geleitete Übung statt.