Die vorliegende Ausgabe ausgewählter Briefe von Jean Améry
ist ein überaus aufschlussreicher Kommentar zum Leben und Werk des großen
österreichischen Schriftstellers und Essayisten. 1945 schrieb der Überlebende
der Konzentrationslager Auschwitz, Buchenwald und Bergen-Belsen, dessen erste
Frau Regine Mayer-Berger 1944 starb, und der sich 1978 selbst das Leben nahm:
„Glücklich werde ich in meinem Leben wohl kaum noch sein." Er plante die
Rückkehr nach Österreich und bemerkte 1946, „das Herz zieht mich trotz alledem
nach Österreich [...]."
Frappierend hellsichtig ist Amérys kritisches Urteil, etwa
als er 1965 über das fragwürdige Buch von Hellmut Andics „Der ewige Jude"
schrieb: „Auch ein offensichtlich wohlmeinender Mann wie dieser Andics kann sich
nicht lösen aus dem antisemitischen österreichischen Geistesklima!"
Im gleichen Jahr lehnte der Suhrkamp Verlag die
Veröffentlichung jener Essays ab, die dann 1966 unter dem Titel „Jenseits von
Schuld und Sühne. Bewältigungsversuche eines Überwältigten" vom heute
vergessenen Szczesny Verlag publiziert wurden. Das Werk wurde zu einem
klassischen Text und ist die eindringlichste psychologische Beschreibung der
Folterungen während des Nationalsozialismus.
Ab den sechziger Jahren beeindrucken Amérys bis heute
aktuelle Bekundungen seiner Solidarität mit Israel, besonders 1967 und 1973
trotz aller, wie sich herausstellte, berechtigten Skepsis über die israelischen
Siege, und seine ebenfalls leider berechtigten Warnungen vor dem Antizionismus
der Linken. So schrieb er 1967 an Ernst Fischer:
„[...] die Existenz Israels hat auch jenen Juden, die mit
diesem Lande beziehungsweise mit dem jüdischen Glauben und der jüdischen Kultur
gar nichts zu tun haben, ihre Selbstachtung zurückgegeben. Ich bin nicht
glücklich darüber, aber es ist nun einmal so: für jeden Juden, sei er sogar
‚rassisch gemischt‘, hat die Existenz und Sicherheit Israels unter allen
weltpolitischen Fragen die absolute Priorität."
Deutlich werden in der Edition, neben Amérys lebenslanger
Verbundenheit mit Österreich, seine permanente ökonomische Unsicherheit sowie
seine private Verstrickungen.
Als Améry in einem Brief einen Herrn „Stern von einer
jüdischen Vereinigung ‚B‘nai B‘rith" erwähnt, erläutert der Herausgeber leider
nicht, dass es sich dabei um Desider Stern handelte, über dessen Buchausstellung
„Werke jüdischer Autoren deutscher Sprache", den gleichnamigen Katalog und
umfangreiches Archivmaterial es leicht zugängliche Informationen und Literatur
gegeben hätte.