Der aus Galizien stammende, in Graz, Wien und Berlin wirkende
Schriftsteller Karl Emil Franzos entfaltete auch nach seinem Tod 1904 eine
erstaunliche Wirkungsgeschichte. Im Jahr der 100. Wiederkehr seines Todestages
fanden in Wien und Berlin zwei Tagungen über Leben und Werk statt. Die Beiträge
der von Claudia Erdheim konzipierten Tagung in der Österreichischen Gesellschaft
für Literatur in Wien liegen nun in Buchform vor.
Franzos stammte aus keiner religiösen Familie und hielt Zeit
seines Lebens an seiner Kritik am Chassidismus fest, von dem er, wie Maria
Klanska in dem vorliegenden Band analysiert, ein sehr einseitiges Bild
zeichnete. Andrei Corbea-Hoisie, Gabriele von Glasenapp und Petra Ernst widmen
sich in ihren Beiträgen kompetent neuen Aspekten von Franzos’ Werk, etwa seinem
Deutschnationalismus, der Thematik interreligiöser Liebesbeziehungen oder dem
Motiv des Lesens. Hildegard Kernmayer analysiert die in der Sekundärliteratur
meist weniger beachteten Feuilletons, die Franzos in der "Neuen Freien Presse"
und in den relativ schwer zugänglichen Sammlungen "Aus Halb-Asien" publizierte.
Der Wiener Germanist und Nederlandist Leopold Decloedt
untersucht die Korrespondenz zwischen Ottilie Franzos und dem niederländischen
Literaturwissenschaftler Julius Pée, der ein Buch über Franzos plante. Obwohl
Pée aus für Decloedt nicht eruierbaren Gründen dieses Buch nicht schrieb, ist
die hinterlassene Korrespondenz mit Ottilie Franzos sehr interessant, vor allem
auch, weil durch sie die Persönlichkeit von Franzos’ Witwe etwas mehr ins
Rampenlicht tritt.
Claudia Erdheim nähert sich im abschließenden Beitrag des Bandes dem realen
jüdischen Leben Galiziens, das hinter Franzos’ Geschichten steht und das sie aus
zahlreichen zeitgenössischen historischen Quellen während der Recherchen zu
ihrem Roman "Längst nicht mehr koscher" rekonstruierte.