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Am 17. Dezember 1970 endet für Anatol Held eine zwei Jahre und
siebzehn Tage währende Odyssee durch Gefängnisse des Ministeriums für
Staatssicherheit (MfS), kurz Stasi genannt. Verhaftet wurde der damals 29jährige
Kinderarzt Held im Dezember 1968 beim Versuch, in Prag an Pässe für die BRD zu
gelangen, die ihm und seiner Familie die Flucht in den Westen ermöglichen
sollten. Verraten durch einen Spitzel der Stasi und in der Folge als
„Republikflüchtling" und „zionistischer Agent" verurteilt, beginnt sein Irrweg:
Berlin-Hohenschönhausen, Waldheim, wieder Berlin-Hohenschönhausen,
Berlin-Rummelsburg, Cottbus und schließlich Torgau. In Berlin-Hohenschönhausen
wird er dem berühmten „Kommando X" zugeteilt, welches für tatsächliche oder
vermutete westliche Spione und Agenten vorgesehen ist. Hier arbeitet er
zeitweilig als Arzt, wobei er das Vertrauen der Mitgefangenen gewinnen kann.
Hier ist er aber auch immer wieder verschiedenen Anwerbungsversuchen der Stasi
ausgesetzt.
Nach seiner Entlassung nimmt er seine Tätigkeit als Kinderarzt
wieder auf. Am 10. November 1975, nachdem er von der BRD „freigekauft" wurde,
übersiedelt er nach Westberlin, wo er ebenfalls als Kinderarzt arbeitet und eine
Betreuungsanstalt für so genannte „Risikokinder" leitet. Im Jahr 2001 erkrankt
er an Leukämie. Auch wenn es letztlich nicht eindeutig bewiesen werden kann,
liegt der Verdacht nahe, dass die Ursache für seine Erkrankung in einer
heimlichen Bestrahlung durch Röntgenstrahlen in Berlin-Hohenschönhausen liegt;
eine durchaus gängige Praxis der Stasi.
Sterbend im Krankenbett liegend hält er Zwiesprache mit Gott und
bietet ihm ein Geschäft an: „Wenn Du mich leben lässt, nehme ich unseren
jüdischen Familiennamen Rosenbaum an…". Und er überlebt letztlich durch eine
Knochenmarksspende im Jahr 2002 aus Israel. Im Juli 2005 nimmt er schließlich
den alten Namen wieder an („Wir werden Rosenbaum"). Es ist dies der vorläufig
letzte Schritt seiner Identitätsfindung. Dass Rosenbaum jüdischer Herkunft ist,
erfuhr er erst durch Zufall in den 60er Jahren. Für seine Eltern, die ihm dies
verschwiegen hatten, stand nicht das Judentum, sondern der Kommunismus, dem sie
sich verschrieben hatten, im Vordergrund. Da der Mutter von Rosenbaum, Nelly
Held, Tochter eines jüdischen Fabrikanten, der Name von Heinrich Ernst Ludwig
Rosenbaum, Sohn eines jüdischen Bankiers, zu jüdisch klang, nahm das Ehepaar
1930 bei der Hochzeit den Namen Held an. Wegen ihrer kommunistischen Gesinnung
mussten sie Deutschland im Jahr 1933 verlassen und gingen nach Moskau; hier
wurde Rosenbaum 1939 geboren.
Held war bereits währen seiner Jugend kein unkritischer Geist
und fiel durch sein nonkonformistisches Verhalten mehrfach auf. Doch erst das
Erkennen seiner wahren Herkunft, der latente Antisemitismus in der DDR (die
Familie übersiedelte 1949 von Moskau nach Ost-Berlin) und auch die
immerwiederkehrende Hetze gegen Israel, lassen in ihm den Entschluss reifen,
nach Israel auszuwandern; mit oder ohne Billigung der Behörden: „Ich wollte nur
mehr raus aus diesem Land". Und dieser Entschluss führte letztlich zu jenem
verhängnisvollen 17. Dezember 1968 und dem Beginn der Haft-Odyssee von
Rosenbaum.
Rosenbaum hat das Buch nicht sofort geschrieben; ja er sprach
sogar Jahrzehnte lang nicht über seine Erlebnisse, auch nicht mit seiner
Familie. Erst als die so genannte Wende 1989/1990 kam und sich die beiden
deutschen Staaten vereinigten, schrieb er die Ereignisse nieder, nicht zuletzt
auch als ein Akt der Selbsttherapie.
Der in Ich-Form verfasste und zumeist im Präsenz geschriebene
Erlebnisbericht von Anatol Rosenbaum ist spannend und interessant. Er ist
provokant und zur gleichen Zeit ironisch, zum Teil humorvoll. Er ist eine
Schilderung über die DDR, die weder demokratisch noch eine Republik war, und
eine detaillierte Beschreibung ihres Systems der Unterdrückung und zur
Bekämpfung des „inneren Feindes". Er basiert auf persönlichen Erinnerungen, die
Tatsachen sind, auch wenn der Anspruch auf eine wissenschaftliche Aufarbeitung
nicht erhoben wird. Er gibt Einblick in eine reelle Wirklichkeit, eine erlebte
Realität, die eine nüchterne wissenschaftliche Analyse nicht leisten könnte. Er
ist ein Bericht über einen bewegten Lebensweg, der nicht nur zum Nachdenken,
sondern auch zum Mitfühlen einlädt.