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Anatol Rosenbaum:
Arzt und „Agent" im „Kommando X"

Thomas Pankratz
Anatol Rosenbaum: Die DDR feiert Geburtstag, und ich werde Kartoffelschäler. Als Arzt und „Agent" im „Kommando X" des MfS.
Berlin: Lichtig Verlag 2006.
168 Seiten, Euro 15,46.-
ISBN: 3-929905-1
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Am 17. Dezember 1970 endet für Anatol Held eine zwei Jahre und siebzehn Tage währende Odyssee durch Gefängnisse des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS), kurz Stasi genannt. Verhaftet wurde der damals 29jährige Kinderarzt Held im Dezember 1968 beim Versuch, in Prag an Pässe für die BRD zu gelangen, die ihm und seiner Familie die Flucht in den Westen ermöglichen sollten. Verraten durch einen Spitzel der Stasi und in der Folge als „Republikflüchtling" und „zionistischer Agent" verurteilt, beginnt sein Irrweg: Berlin-Hohenschönhausen, Waldheim, wieder Berlin-Hohenschönhausen, Berlin-Rummelsburg, Cottbus und schließlich Torgau. In Berlin-Hohenschönhausen wird er dem berühmten „Kommando X" zugeteilt, welches für tatsächliche oder vermutete westliche Spione und Agenten vorgesehen ist. Hier arbeitet er zeitweilig als Arzt, wobei er das Vertrauen der Mitgefangenen gewinnen kann. Hier ist er aber auch immer wieder verschiedenen Anwerbungsversuchen der Stasi ausgesetzt.

Nach seiner Entlassung nimmt er seine Tätigkeit als Kinderarzt wieder auf. Am 10. November 1975, nachdem er von der BRD „freigekauft" wurde, übersiedelt er nach Westberlin, wo er ebenfalls als Kinderarzt arbeitet und eine Betreuungsanstalt für so genannte „Risikokinder" leitet. Im Jahr 2001 erkrankt er an Leukämie. Auch wenn es letztlich nicht eindeutig bewiesen werden kann, liegt der Verdacht nahe, dass die Ursache für seine Erkrankung in einer heimlichen Bestrahlung durch Röntgenstrahlen in Berlin-Hohenschönhausen liegt; eine durchaus gängige Praxis der Stasi.

Sterbend im Krankenbett liegend hält er Zwiesprache mit Gott und bietet ihm ein Geschäft an: „Wenn Du mich leben lässt, nehme ich unseren jüdischen Familiennamen Rosenbaum an…". Und er überlebt letztlich durch eine Knochenmarksspende im Jahr 2002 aus Israel. Im Juli 2005 nimmt er schließlich den alten Namen wieder an („Wir werden Rosenbaum"). Es ist dies der vorläufig letzte Schritt seiner Identitätsfindung. Dass Rosenbaum jüdischer Herkunft ist, erfuhr er erst durch Zufall in den 60er Jahren. Für seine Eltern, die ihm dies verschwiegen hatten, stand nicht das Judentum, sondern der Kommunismus, dem sie sich verschrieben hatten, im Vordergrund. Da der Mutter von Rosenbaum, Nelly Held, Tochter eines jüdischen Fabrikanten, der Name von Heinrich Ernst Ludwig Rosenbaum, Sohn eines jüdischen Bankiers, zu jüdisch klang, nahm das Ehepaar 1930 bei der Hochzeit den Namen Held an. Wegen ihrer kommunistischen Gesinnung mussten sie Deutschland im Jahr 1933 verlassen und gingen nach Moskau; hier wurde Rosenbaum 1939 geboren.

Held war bereits währen seiner Jugend kein unkritischer Geist und fiel durch sein nonkonformistisches Verhalten mehrfach auf. Doch erst das Erkennen seiner wahren Herkunft, der latente Antisemitismus in der DDR (die Familie übersiedelte 1949 von Moskau nach Ost-Berlin) und auch die immerwiederkehrende Hetze gegen Israel, lassen in ihm den Entschluss reifen, nach Israel auszuwandern; mit oder ohne Billigung der Behörden: „Ich wollte nur mehr raus aus diesem Land". Und dieser Entschluss führte letztlich zu jenem verhängnisvollen 17. Dezember 1968 und dem Beginn der Haft-Odyssee von Rosenbaum.

Rosenbaum hat das Buch nicht sofort geschrieben; ja er sprach sogar Jahrzehnte lang nicht über seine Erlebnisse, auch nicht mit seiner Familie. Erst als die so genannte Wende 1989/1990 kam und sich die beiden deutschen Staaten vereinigten, schrieb er die Ereignisse nieder, nicht zuletzt auch als ein Akt der Selbsttherapie.

Der in Ich-Form verfasste und zumeist im Präsenz geschriebene Erlebnisbericht von Anatol Rosenbaum ist spannend und interessant. Er ist provokant und zur gleichen Zeit ironisch, zum Teil humorvoll. Er ist eine Schilderung über die DDR, die weder demokratisch noch eine Republik war, und eine detaillierte Beschreibung ihres Systems der Unterdrückung und zur Bekämpfung des „inneren Feindes". Er basiert auf persönlichen Erinnerungen, die Tatsachen sind, auch wenn der Anspruch auf eine wissenschaftliche Aufarbeitung nicht erhoben wird. Er gibt Einblick in eine reelle Wirklichkeit, eine erlebte Realität, die eine nüchterne wissenschaftliche Analyse nicht leisten könnte. Er ist ein Bericht über einen bewegten Lebensweg, der nicht nur zum Nachdenken, sondern auch zum Mitfühlen einlädt.

 
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