Martha Keil (Hg.), Von Baronen und Branntweinern. Ein
jüdischer Friedhof erzählt. Mit Fotos von Daniel Kaldori. Mandelbaum Verlag Wien
2007
Euro 24, 90.- / ISBN 978385476-131-0
Der jüdische Friedhof in Wien-Währing, Schrottenbachgasse,
stand in letzter Zeit mehrmals in der Aufmerksamkeit der Medien, denn sein
unaufhaltsamer Verfall schreit nach einer sofortigen Sanierung. Der vorliegende
Bildband mit aktuellen Fotos von Daniel Kaldori und einer historischen
Einleitung von Martha Keil dokumentiert diese Situation einfühlsam und
ungeschönt.
Der Währinger Friedhof wurde von 1784-1880 sowohl durch
Wiener als auch durch niederösterreichische Verstorbene belegt. Von den
ursprünglich ca. 9000 Gräbern existieren aufgrund von Zerstörungen während der
NS-Zeit noch ungefähr 7000, die Grabsteine sind allerdings entweder völlig
zerstört, stark verwittert oder durch Überwachsung kaum mehr lesbar. Da in den
Jahren vor dem Zweiten Weltkrieg Archivare der Kultusgemeinde Wien die
Grabinschriften abgeschrieben haben und diese Aufzeichnungen sowie die
Gräberbücher und Totenbeschauprotokolle erhalten sind, ließen sich zumindest die
Eckdaten der Begrabenen erheben und sind auf der Friedhofsdatenbank der IKG Wien
zugänglich. Die in der Nazizeit zum Zweck von rassenkundlichen Forschungen
erfolgten Exhumierungen, darunter der sterblichen Überreste von Fanny von
Arnstein, machen den Friedhof zu einem besonderen Gedächtnisort.
In der Einleitung beschreibt Martha Keil den kulturellen Wert
des Friedhofs, der sich nicht nur an den hier begrabenen bedeutenden
Persönlichkeiten sondern auch in der für die Belegungszeit so typischen
Grabsteingestaltung zeigt. Diese einmalige Kultur von Geben und Nehmen
illustrieren fünf Auszüge aus Lebenserinnerungen von Wiener Jüdinnen und Juden,
welche im 19. Jahrhundert in Wien gelebt haben: Raphael König, Jakob Ludwig
Heller, Julius Oppenheimer, Moritz Güdemann und Emilie Exner spiegeln eine
berufliche Bandbreite vom Rabbiner über den Hauslehrer bis zum Schmied wider.
Ihre Berichte erzählen von Begegnungen mit Menschen, welche am Währinger
Friedhof begraben sind, wie beispielsweise Mitglieder der Familie Wertheimstein.
Als besonderes historisches „Zuckerl" ist in diesem Buch
erstmals ein transkribierter Auszug aus dem jüdisch-deutschen Tagebuch
abgedruckt, welches im März 2003 von einem aufmerksamen Müllmann auf der
Altsammelstelle in Bad Zell (OÖ) gefunden wurde. Inzwischen konnte der – im
Tagebuch anonyme – Autor identifiziert werden: Bernhard Benjamin Kewall, geboren
1806 und gestorben 1880 in Polna/Böhmen, der als Hauslehrer der Familie Strass
in der Wiener Jägerzeil (heute Praterstraße) die Revolutionsereignisse und
andere historische und kulturelle Geschehnisse zwischen August 1848 und Mai 1850
in schönem Hochdeutsch, aber in hebräischen Buchstaben wiedergibt.