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Zeitgenössische israelische Kunst im Israel-Museum:
Real Time
Naomi Felice WONNENBERG
Sechs Dekaden nach der Staatsgründung macht man sich daran,
im Rahmen der Jubiläumsfeierlichkeiten mit einer sechsteiligen Ausstellung, bei
der jeder Teil ein Jahrzehnt zusammenfasst, einen Generalüberblick über den
Kanon der israelischen Kunst zu bieten.
Im Israel-Museum, das sich ja sozusagen als kulturelles
Staatsheiligtum begreift, hat man den letzten verbleibenden Ausstellungsraum -
alle anderen Räumlichkeiten sind noch auf Jahre wegen Renovierungsarbeiten
geschlossen - der Ausstellung „Real Time", einer Ausstellung über die letzte
Dekade israelischer Kunst gewidmet. Der Kurator der Ausstellung Amitai
Mendelsohn scheint noch stark unter dem Einfluss seiner populär gewordenen
Reuven Rubin-Ausstellung zu stehen, in der er die frühen Jahre des Malers als
dessen prophetische Zeit beschrieben hat. So sieht Mendelsohn in seinem
Katalogtext zu „Real Time" in der zeitgenössischen israelischen Kunst entweder
eine Auseinandersetzung mit aktuellen Ereignissen oder eine Abwendung von
solchen Ereignissen und Flucht in mystische Traumwelten. „Die frustrierende
Routine [...], die Muster des Disasters (des israelischen Alltags) werden von
den israelischen Künstlern in eine andere Art der Zeit übersetzt: eine mystische
und prophetische Chronologie [...]", so der Kurator für israelische Kunst am
Israel-Museum. Allerdings sehe ich die religiöse Überzeugung, das Prophetentum
nicht in den Kunstwerken der heutigen israelischen Szene.
Yael Bartana, Trembling Time (Erzitternde Zeit), 2001.
Bereitgestellt von der Kuenstlerin Yael Bartana und dem Israel Museum,
Jerusalem
Selbst Künstler wie Adi Nes, die sich intensiv mit biblischen
Themen auseinandersetzen erheben keinen Anspruch darauf, einen besseren Weg für
den Nahost-Konflikt aufzeigen zu können. Diese Haltung scheint mir eher für
Künstler typisch, die Israel nur kurz besucht haben. Der österreichische
Künstler Peter Friedl etwa will mithilfe von Souvenir-Giraffen aus
palästinensischen Zoos Mitleid für das Elend der Palästinenser erzeugen und
perpetuiert damit das Bild dieser Volksgruppe als Lieblingsopfer des Westens.
Eine solche Darstellungsweise lässt sich, wie auf der Dokumenta 2007 geschehen,
auch markttechnisch geschickt ausnutzen. Doch zum israelischen Alltag gehört
auch, als reales, überlebensnotwendiges Übel, die Armee. Konsequenterweise re-inszeniert
Adi Nes, beschlagen in klassischer abendländischer Bildung, Leonardo da Vincis
„Letztes Abendmahl" mit israelischen Soldaten an der Tafel. Dieses monumentale
Foto (185 x 235 cm), das mit 264.000.- US-Dollar im Jahr 2007 bei Sotheby‘s den
höchsten Preis erzielte, der weltweit je für eine Fotografie bezahlt wurde,
durfte in der Dekaden-Ausstellung natürlich nicht fehlen. Die Bruderschaft der
Jünger-Soldaten, die Einsamkeit des todgeweihten, zentral sitzenden Soldaten und
der Verrat durch einen unter ihnen sind meisterhaft in einem Militärspeisesaal
dargestellt, wobei alle alltäglich und zufällig wirkenden Details vom Künstler
intendiert und ausstattungstechnisch exakt konstruiert sind.
Auch andere internationale Größen sind vertreten. Sigalit
Landaus Papiermaché-Installation „The Dining Hall", die unlängst in der Kunst
Werke Galerie Berlin zu sehen war, wurde nach Israel gebracht. Und Barry
Friedländer, der in seinen Panoramafotografien Ereignisse wie den Rückzug aus
Gaza dokumentiert wird hier nicht nur, wie 2007 im Museum of Modern Art New in
York gefeiert, sondern auch kanonisiert. Schließlich darf Yehudit Sasportas, die
mit ihren schwarz-weißen, japanisch wirkenden Landschaften Israel auf der
Biennale in Venedig vertreten hat, nicht fehlen.
Die Arbeit der jungen israelischen Videokünstlerin Yael
Bartana, die schon zu Anfang des Jahrzehnts im Kunstmuseum Bonn zu sehen war,
entführt uns in ein Kernstück israelischer Lebenswirklichkeit, ohne auf den
ersten Blick als politische Arbeit erkennbar zu sein. Die Kamera schaut von
einem erhöhten Standpunkt auf eine Autobahn herab. In mehreren überblendenden
Videoaufnahmen sieht man Autos sich verlangsamen und sanft zum Stillstand
kommen. Die Fahrer verlassen zögernd die Wagen und stellen sich scheinbar
unschlüssig neben die Fahrzeuge. Ein für den Betrachter unerklärlicher Vorgang,
an einem so alltäglich prosaischen Ort wie der hektischen Autobahn. Was lässt
Menschen innehalten, warum sind alle in ihrer Ratlosigkeit so einig und
synchron, ohne dass man irgendwelche Zeichen eines Anlasses oder einer
Kommunikation ausfindig machen kann? Nur durch Erläuterungen verstehen
Betrachter, die nicht mit der israelischen Tradition vertraut sind das Phänomen:
Die Künstlerin hat zum Zeitpunkt der Gedenkminute für die gefallen Soldaten des
Landes gefilmt. Sobald die – im Video nicht hörbare - Sirene ertönt, bleibt man,
der Toten gedenkend, stehen, der Alltag friert einen Moment lang ein. „Trembling
Time" (2001) ist ein Meisterwerk: schlicht, und ergreifend.
Adi Nes, Ohne Titel, 1999, Photo bereitgestellt vom Kuenstler
Adi Nes
Weiters ist Masha Zusmann, eine andere Meisterin der
schlichten Poetik mit einer ihrer Arbeiten, die sie in der Technik
„Kugelschreiber auf Spanholzplatte" ausführt vertreten. Ihre Zeichenmuster
breiten sich rätselhaft organisch und gestisch zugleich über die Fläche aus, wie
ein Blick in geöffnete Blütenblätter, die jedoch fleischlich und verletzlich
wirken und auch in ihrem Nachzeichnen der lanzettförmigen Holzstrukturen
Assoziationen zu Form und Beschaffenheit der Vulva provozieren. Zusmann sagt
über ihre Arbeit: „Die Spannplatten stammen von den Transport-Containern, die
Immigranten nach Israel mitbringen. Der Prozess des Zeichnens mit den Stiften,
die sich wie Nadeln anfühlen ist langsam und obsessiv [...] er verwandelt die
hohen Holz-Paneele in sensibles Fleisch, das meine persönlichen Phantasien und
Ängste transportiert."
Talia Keinan, neuer, aufsteigender Star der israelischen
Kunstszene, die gerade in Tel Aviv den begehrten Gottesdiener-Preis für
israelische Kunst erhalten hat entführt uns in mystische Videolandschaften:
prophetische Weltsicht, oder neo-romantische Weltflucht?
Kanonisiert wird besonders gern, was sich klar einordnen lässt und außerdem
gut in das aus den Medien bekannte Bild passt. Wenn man marktwirtschaftliche
Faktoren beseite lässt, stellt man jedoch fest, dass sich die vielfältigen
Erscheinungsformen eines Jahrzehnts israelischer Kunst schlecht über einen Kamm
scheren lassen. Die hiesige Kunstszene ist sicherlich stark von der
internationalen Kunstszene, besonders von jener in Berlin, beeinflusst. Mit
Etiketten wird man jedoch bei Betrachtung und Zuordnungsversuchen schwerlich
auskommen.
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