Die KPÖ als Protagonistin antisemitischer Ressentiments in
der Nachkriegszeit und als Sprachrohr des stalinistischen Antizionismus wurde
hier bereits beschrieben. (siehe DAVID, Heft. 72, 2007) Die maßgeblich von
KP-Funktionären initiierten „Milchunruhen" samt der daran anschließenden
Kampagne müssen als eine der massivsten parteikommunistischen Manifestationen
von Antisemitismus außerhalb des Herrschaftsbereichs des Realsozialismus gelten.
Die antisemitischen Ausfälle in der unmittelbaren Nachkriegszeit sollten der KPÖ
ein Ankommen in der postnazistischen Gesellschaft ermöglichen. Ähnlich wie die
anderen Parteien versuchten auch die Parteikommunisten durch Anbiederung an das
nationalsozialistisch geprägte Bewußtsein der österreichischen Bevölkerung
Unterstützung in eben dieser zu erlangen.
Das Verhalten während des Slansky- und Ärzteprozesses läßt
sich in erster Linie aus dem Bedürfnis erklären, das stalinistische
Herrschaftssystem unter allen Umständen zu verteidigen. Aufgrund des
grassierenden Antisemitismus in der postnazistischen österreichischen
Gesellschaft mag auch die Hoffnung bestanden haben, in eben dieser Gesellschaft
Verständnis für das realsozialistische, als Maßnahmen gegen die „kosmopolitische
Konspiration" getarnte antisemitische Vorgehen zu wecken. Doch der ebenfalls aus
der Zeit des Nationalsozialismus in die Demokratie in modifizierter Form
übernommene Antikommunismus verunmöglichte eine erfolgreiche diesbezügliche
Agitation selbst dann noch, wenn sie sich ausgesprochen populistischer
Argumentationen bediente.
1968 wurde über die Auseinandersetzungen mit dem
stalinistischen Antisemitismus und Antizionismus ein Teil des Kampfes zwischen
Reformern und Dogmatikern in der KPÖ ausgetragen. Nachdem sich in diesem Kampf
die Stalinisten durchgesetzt hatten, geriet die KPÖ in eine Position
gesellschaftlicher Marginalität, aus der sie sich bis heute nicht befreien
konnte.
In der Parteikrise 1990/91 nach dem Zusammenbruch des
Realsozialismus gab es keine öffentlich wahrnehmbaren Auseinandersetzungen über
Antisemitismus und Antizionismus, aber nach Angaben ehemals führender
Parteifunktionäre spielten antisemitische Ressentiments bei den Angriffen auf
den reformorientierten Kurzzeitvorsitzenden Walter Silbermayr und seine
Unterstützer durchaus eine Rolle.
Seit Anfang des neuen Jahrtausends gibt es in der KPÖ eine
bemerkenswerte Entwicklung. Der parteiinternen Auseinandersetzung mit
Antisemitismus und Antizionismus kommt eine gewisse Bedeutung bei der versuchten
Neupositionierung der KPÖ nach dem Zusammenbruch des Realsozialismus zu. Gegen
Ende ihres Bestehens öffnete sich die Theoriezeitschrift „Weg und Ziel" einer
kritischen Auseinandersetzung mit Antisemitismus und Antizionismus in der
Partei. (siehe Weg und Ziel, Nr. 2, 1998) In den letzten Jahren spielte die
Abgrenzung der Führungsebene der KPÖ von einem traditionellen Antiimperialismus,
wie er von Teilen der KP und von linksradikalen Splittergruppen nach wie vor
propagiert wird, auf dem Weg der Transformation der KPÖ zu einer Linkspartei mit
einem irgendwie marxistisch gearteten Hintergrund eine wichtige Rolle.
Anfänglich war die Kritik des Antizionismus allerdings ausgesprochen verhalten,
und die Positionierung in bezug auf den Nahostkonflikt von einem veritablen
Zick-Zack-Kurs gekennzeichnet.
In einem Bericht über eine Reise in die palästinensischen
Gebiete vom April 2002 hatte Walter Baier, der Parteivorsitzende der Jahre 1994
bis 2006, noch die Politik der Sharon-Regierung als den „schlimmsten Feind
Israels" bezeichnet. Ein rechtskonservativer Demokrat an der Spitze des Staates
wäre demnach eine größere Gefahr für Israel als antisemitische
Terrororganisationen wie Hamas und Hisbollah oder auch als das iranische Regime.
2002 hielt Baier auf einer „Palästina-Solidaritätdemonstration" in Wien vor der
versammelten antiimperialistischen Linken einen Redebeitrag, in dem er zwar
eingangs das „Existenzrecht des Staates Israel" außer Zweifel stellte, aber dem
israelische Militär unterstellte, es führe „keinen Kampf gegen den Terrorismus,
sondern einen zur Einschüchterung, Erniedrigung und Demütigung des
palästinensischen Volkes. Das ist kein Krieg für die Sicherheit Israels, sondern
ein Krieg gegen die Menschlichkeit." Zwar warf er die Frage auf, ob man „in
einem Land wie Österreich diese Kritik an der Politik des Staates Israel üben
(kann), ohne antisemitische Vorurteile wachzurufen?" Aber diese Frage wurde
eindeutig bejaht: „Eine Antwort habe ich auf unserer heutigen Kundgebung
gefunden: Hier sind nämlich viele, die vor wenigen Tagen gemeinsam gegen die
Neo-Nazi-Kundgebung, deren Ziel ja darin bestand, die Verbrechen der Wehrmacht
und die Verbrechen am europäischen Judentum zu leugnen, demonstriert haben." Vor
dem Hintergrund dieses Rückfalls in die traditionsreiche Schuldabwehr der
Linken, bei welcher der Hinweis auf den eigenen Antifaschismus stets als
Freibrief zum Angriff auf Israel fungiert, überrascht es nicht, daß Baier seine
Rede von 2002 mit der Parole beendete „Es lebe die Intifada!", was er heute
allerdings als „Fehler" bezeichnet.
In einem Beschluß des Bundesvorstands der KPÖ vom April 2002
heißt es: „Wir distanzieren uns deshalb auch von jenen sich links definierenden
Gruppen, denen es offensichtlich an Sensibilität gegenüber antisemitischen
Tendenzen fehlt. Dieser Mangel hat sich zu einer ernsten Belastung in der
Solidaritätsbewegung entwickelt." Gleichzeitig wird von Israel die „Anerkennung
der legitimen Rechte des palästinensischen Volkes, insbesondere das auf die
Rückkehr in die Heimat" gefordert, also von Israel verlangt, daß es seine
Konstitution als jüdischer Staat aufgibt.
In jüngster Zeit wird die Abgrenzung von den offen
israelfeindlichen Gruppen in der Linken sehr viel deutlicher formuliert. Dennoch
bleibt die Widersprüchlichkeit hinsichtlich der Einschätzung Israels in den
Stellungnahmen bestehen. In einer Erklärung des Bundesausschusses der KPÖ vom
Februar 2006 mit dem Titel „Der Frieden ist ein Grundwert der Linken" heißt es:
„Kritik an der Politik Israels muß sich klar von jedem Antisemitismus
unterscheiden. Das gilt gerade in Österreich, einem Staat, der bis heute mit den
Folgen der Verstrickung großer Teile der Bevölkerung in die Shoa nicht im Reinen
ist. Antisemitismus besteht nach allgemein akzeptierter Definition nicht allein
darin, jüdische Menschen herabzusetzen, ihnen gemeinschaftliche negative
Eigenschaften zu unterstellen, sondern auch darin, dem Staat Israel das
Existenzrecht zu bestreiten bzw. an ihn andere Kriterien als an andere Staaten
anzulegen. Mit Gruppen und Grüppchen, die diese Grenze nicht zu ziehen vermögen,
gibt es keine politische Zusammenarbeit." In der selben Erklärung wird Israel
jedoch aufgefordert, mit der Hamas zu verhandeln, also mit einer Gruppe, die
auch nach Definition der KPÖ antisemitisch ist, da sie dem Staat Israel das
Existenzrecht abspricht.
Die KPÖ bezeichnet es auf ihrer Homepage zwar als
„jenseitig", daß die Speerspitze der linken Israelfeindschaft in Österreich, die
„Antiimperialistische Koordination", der Hamas zum Wahlsieg gratulierte. Im März
2007 fand sich jedoch ebendort die Verlautbarung der Palästinensischen
Volkspartei, daß sie sich mit einem Minister an der von der Hamas geführten
palästinensischen Einheitsregierung beteiligen wird. Laut Walter Baier kann die
Palästinensische Volkspartei zwar nicht als „Schwesterpartei" der KPÖ bezeichnet
werden, aber immerhin gehen die guten Beziehungen so weit, daß man derartige
Meldungen unkommentiert auf der eigenen Homepage veröffentlicht.
Baier äußerte in einer Kritik an Avigdor Liebermann, dem
Vorsitzenden der rechten Partei der russischen Einwanderer in Israel: „Gerade
weil wir das Recht des israelischen Volkes verteidigen, wie jedes andere Volk
selbst bestimmt und in sicheren Grenzen zu leben, legen wir an israelische
Politiker die selben Maßstäbe wie an Politiker überall sonst auf der Welt an."
Das Bedürfnis, gegen die antizionistische Vorstellung von der besonderen
Perfidie des israelischen Staates zu argumentieren, gerät hier zu einer Ignoranz
gegenüber den besonderen Bedingungen, unter denen Israel gegründet wurde und bis
heute existieren muß. Diese Bedingungen verunmöglichen es, diesen Staat und
seine Exponenten mit „den selben Maßstäben" zu messen, die an andere Staaten
angelegt werden.
Ein Novum war, daß Baier im März 2006 einen Artikel über
linken Antisemitismus in der konservativen Tageszeitung „Die Presse"
veröffentlichte, der zuvor in einer ausführlicheren Fassung in den
„Volksstimmen", dem Nachfolgeprojekt der „Volksstimme", erschienen war. Die
Veröffentlichung in der „Presse" führte zu heftigen Reaktionen seitens der
mittlerweile aus der Partei gedrängten oder in ihr auf Bundesebene
marginalisierten Stalinisten. Auf der anderen Seite führte der Text zu einer
Einladung seitens der jüdischen Menschenrechtsorganisation B’nai B’rith. Im
November 2006 hielt Baier einen Vortrag unter dem Titel „Antisemit und ‚links’?
Erkenntnis einer Möglichkeit" bei der Zwi Peres Chajes Loge der B’nai B’rith.
Der Auftritt führte zu scharfem Protest gegen die „zionistischen Kriegstreiber"
seitens der „Kommunistischen Initiative", in der sich die aus der Partei
gedrängten Stalinisten gesammelt haben.
Die Tatsache, daß die Kritik antisemitischer Tendenzen in der
Linken seitens eines langjährigen KPÖ-Vorsitzenden Beachtung in
rechts-konservativen Medien wie der „Presse" und bei liberal-bürgerlichen
Organisationen in Österreich gefunden hat, spricht dafür, daß die kritische
Auseinandersetzung mit antisemitischen und antizionistischen Traditionen in der
Arbeiterbewegung der KPÖ eine politische Öffnung ermöglichen könnte. Allerdings
ist dabei zu berücksichtigen, daß jene Kräfte innerhalb der Partei, die als
einzige auf nennenswerte Wahlerfolge verweisen können, wie die steirische und
insbesondere die Grazer KP, an solch einer Auseinandersetzung kaum Interesse
zeigen. Bisher ist diese Öffnung nur ein Projekt der Bundesleitung und von
Teilen der Jugend- und Studentenorganisationen. Von großen Teilen der
Parteibasis wird ihm mit Unverständnis oder schroffer Ablehnung begegnet.
Eine ähnliche Konstellation existiert auch in der Linkspartei
in der Bundesrepublik Deutschland. Dort hat die stellvertretende
Parteivorsitzende Katja Kipping Ende 2006 ein Papier veröffentlicht, das eine
unmißverständliche Absage an den traditionellen Antiimperialismus und
Antizionismus der Linken einfordert, sich zugleich aber nicht zu einer
eindeutigen Solidarisierung mit dem bedrohten Israel durchringen kann. Auch in
Deutschland treffen solche Vorstöße auf massiven Widerstand seitens großer Teile
der Parteibasis und von vielen Funktionären. Die KPÖ hat das Papier von Kipping
nicht auf ihrer Homepage publiziert. Dort finden sich hingegen Stellungnahmen
vom außenpolitischen Sprecher der Bundestagsfraktion der Linkspartei, Norman
Paech, der für die israelfeindliche Gegenposition zu Kipping in der Linkspartei
steht.
Der Lernprozeß von Funktionsträgern wie Walter Baier
innerhalb der KPÖ ist ernst zu nehmen. Insgesamt ist allerdings zu befürchten,
daß der Prozeß der letzten Jahre in der KPÖ nicht zu einer konsequenten Abkehr
von traditionellen antiimperialistischen und vor allem antizionistischen
Positionen führt. Wahrscheinlicher ist, daß sie in der Zukunft eine Art
aufgeklärten Antizionismus propagiert, in dem die vollmundige Kritik am
Antisemitismus der traditionell antiimperialistischen Gruppierungen nur der
Legitimation der eigenen Israelkritik dient. Im Augenblick geht bei der KPÖ die
Betonung des Existenzrechts Israels einher mit Forderungen, die, würden sie
umgesetzt werden, eben diese Existenz in Frage stellen würden. Damit setzt sie
einen Schritt in die Mitte der Gesellschaft, denn diese Gleichzeitigkeit stellt
ein Wesensmerkmal der österreichischen wie auch der europäischen Außenpolitik
dar.