Seit 20 Jahren treffen sich im Herbst zu den Jüdischen
Kulturtagen in München Künstler aus verschiedenen europäischen Ländern, aber
auch aus Israel und den USA. Organisatorin und Leiterin dieser Veranstaltung ist
die Vorsitzende der Gesellschaft zur Förderung jüdischer Kultur und Tradition
e.V., Ilse Ruth Snopkowski.
DAVID: Frau Snopkowski, am 12. Juli 1982 wurde, mit
Unterstützung des Freistaates Bayern, die „Gesellschaft zur Förderung jüdischer
Kultur und Tradition" in einem bewegenden Festakt aus der Taufe gehoben. Die
Eröffnungsrede hielt ihr Gründer und Initiator Simon Snopkowski, s. A., und die
Festansprache hielt Rabbiner Henry G. Brandt. Außer ihnen sprach eine Reihe
bekannter wissenschaftlicher und politischer Persönlichkeiten. Was bedeutete
diese Gründung damals?
Snopkowski: Bis in die Dreißiger Jahre des 20.
Jahrhunderts hatten Juden einen großen und sehr wichtigen Anteil am geistigen
und kulturellen Leben in Deutschland. Es gab unter ihnen international
herausragende Schriftsteller, Regisseure, Musiker, Künstler, Wissenschaftler,
wie z.B. Albert Einstein, der übrigens seine Kindheit in München verbracht hat,
Paul v. Heyse, Nelly Sachs, alle waren Nobelpreisträger, Felix
Mendelssohn-Bartholdy, Paul Dessau, Max Reinhardt und viele andere. Diese Kultur
wurde durch den Nationalsozialismus abrupt beendet. Und nach dem Weltkrieg sah
man, daß nur wenige dieser früheren Träger deutscher Kultur die Schoa überlebt
hatten. Sie kehrten meist nicht mehr nach Deutschland zurück. Mit dem Gedanken,
diesen Verlust einigermaßen auszugleichen, entstand die Initiative, unsere
Gesellschaft zu gründen. Das aber bedeutete, die Rückkehr der Kultur des
Judentums als Facette unserer Gegenwart, hier und heute.
DAVID: 1987 führten Sie die seither jährlich im November
stattfindenden internationalen Jüdischen Kulturtage in München ein. Diese
Veranstaltungen – mit Musik, Gesang, Theater, Kabarett, Film, Lesungen,
Vorträgen, Podiumsgesprächen, Ausstellungen u.a. – bekommen europaweit Resonanz.
Können Sie uns sagen, wie viele Künstler bisher auf Ihre Einladung hin zu Gast
in der bayrischen Hauptstadt waren, und aus welchen Ländern sie kamen?
Snopkowski: Insgesamt waren in den letzten zwanzig Jahren
an die 1.000 Künstler und Referenten bei uns zu Gast. Sie kamen aus Europa, aus
Israel und sogar aus arabischen Ländern, und dann aus den USA und aus
Südamerika.
Diese Zahl erhält eine zusätzliche Dimension wenn man
bedenkt, wie viele Zuschauer und Zuhörer durch diese Künstler erreicht werden
konnten, denn unsere Veranstaltungen sind schon seit den ersten Kulturtagen
immer sehr gut besucht. Das Interesse der Münchener Bevölkerung für Musik,
Gesang, Theater und Traditionen des Judentums ist ungewöhnlich groß.
DAVID: Welche Schwierigkeiten hatten Sie zu Beginn in den
1980er Jahren?
Snopkowski: In den ersten Jahren galt es, die
entsprechenden Kontakte zu jüdischen Persönlichkeiten und Organisationen
herzustellen, vornehmlich in Israel und den USA. Doch wir wollten auch das
osteuropäische Judentum vorstellen. Das war damals allerdings nicht so einfach.
Es gelang uns, das Jiddische Theater aus Warschau nach München zu holen, das
bekanntlich neben dem Bukarester Jiddischen Theater das traditionsreichste
Ensemble dieser Art auf der ganzen Welt ist. Große Resonanz fanden dann die
Konzerte mit Klesmermusik, die wir in München zum ersten Mal veranstalteten und
die auch immer wieder das deutsche Publikum begeistern. Zunächst war die
Programmgestaltung nicht einfach, da uns das bescheidene Budget enge Grenzen
setzte. Umso größer waren dann aber Echo und Erfolg unserer kulturellen
Pionierarbeit.
DAVID: Erst seit Sommer 1993 steht Ihnen eine
Teilzeitkraft zur Seite. Bis Oktober 1986 erledigten Sie Ihre Arbeit ohne
eigenes Büro, und bis heute ist ihre Tätigkeit ehrenamtlich.
Snopkowski: Sie wird auch weiterhin ehrenamtlich bleiben.
Denn der große Gewinn unseres Wirkens ist die Tatsache, daß die Jüdischen
Kulturtage und alle anderen Veranstaltungen unserer Gesellschaft ein fester und
bedeutender Bestandteil des Münchener Kulturlebens geworden sind. Das allein ist
für mich wichtig.
DAVID: Simon Snopkowski sagte einmal, antisemitische
Stereotypen beruhten meist auf Unwissenheit und Unkenntnis. Daher sei es von
großer Bedeutung, Werte und Leistungen des Judentums in der nichtjüdischen
Bevölkerung bekannt zu machen. Das wäre auch ein Vorhaben der „Gesellschaft zur
Förderung jüdischer Kultur und Tradition". Meinen Sie, daß man durch Kulturtage
dem zunehmenden Rechtsextremismus entgegenwirken kann?
Snopkowski: Unverbesserlichen Neonazis kann man mit
Kulturtagen wohl kaum wirkungsvoll entgegnen, denn sie sind bekanntlich für
kulturelle Argumente unempfindlich. Man kann aber sehr wohl weite Kreise der
deutschen Bevölkerung, die nichts mit Neo-Nazis zu tun haben, durch Vermittlung
von Wissen über das Judentum besser befähigen, Rechtsradikalen zu antworten und
rechtsradikalem Denken entgegenzuwirken. Auf jeden Fall bewirkt Kennenlernen den
Abbau alter Vorurteile und Stereotypen. Und wenn es uns gelingt, die
Verständigung zwischen den Menschen guten Willens zu fördern, dann dürfen wir
auch wieder an die Macht der Vernunft, der guten Taten und der Worte glauben.
Und dann hat sich unsere Arbeit gelohnt.
DAVID: Die Kulturtage erfreuen sich sehr großen
Interesses seitens des Münchener Publikums. Wie war die Resonanz bei jüdischen
Zuschauern, und zwar nicht bei den Ehrengästen, sondern beim
Durchschnittspublikum?
Snopkowski: Mit den jüdischen Zuschauern – in München
leben annähernd zehntausend Juden, meist Zuwanderer aus Osteuropa – verhält es
sich so wie mit der übrigen Gesellschaft. Es gibt Kulturinteressierte und
Uninteressierte, aber auch solche, die in unserer Leistungsgesellschaft aus
beruflichen Gründen keine Zeit mehr finden, an kulturellen Veranstaltungen
teilzunehmen.
DAVID: Die „Gesellschaft zur Förderung jüdischer Kultur
und Tradition" organisiert auch während des Jahres, d.h. vor und nach den
traditionellen Kulturtagen, verschiedene Veranstaltungen.
Snopkowski: Über die Kulturtage hinaus haben wir in den
vergangenen Jahren eine Reihe von wichtigen Ausstellungen realisiert und
präsentiert, darunter zahlreiche aus dem Museum der jüdischen Diaspora in Tel
Aviv. Aber wir veranstalten auch einzelne Konzerte und Lesungen während des
Jahres, mitunter in Kooperation mit anderen kulturellen Einrichtungen. Alle zwei
Jahre verleihen wir den Simon-Snopkowski-Preis für herausragende Verdienste in
Zusammenhang mit der Erforschung jüdischer Geschichte. So konnten wir durch die
Auszeichnung zweier Schulen Jugendliche motivieren, sich weiterhin mit der
gemeinsamen Geschichte zu beschäftigen.
DAVID: Welche Veranstaltungen haben Sie für 2008 geplant?
Snopkowski: Im März laden wir zu jüdischen Filmtagen in
München ein. Gezeigt werden israelische, aber auch europäische Filme, die
Einblicke in jüdische Lebenswelten vermitteln. Im Herbst stehen dann die
Verleihung des Simon-Snopkowski-Preises und die 22. Jüdischen Kulturtage auf dem
Programm. Das diesjährige Leitthema möchten wir noch nicht verraten. Man darf
gespannt bleiben.
DAVID: Frau Snopkowski, wir danken Ihnen für dieses
interessante Gespräch.