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Im
Spiegel zeitgenössischer rabbinischer Responsen
Mittelalterliche Synagogen im österreichischen Raum
Simon PAULUS
Die reichhaltige Literatur der rabbinischen Responsentexte
ist eine gesonderte Erscheinung im Fundus schriftlicher Zeugnisse aus dem
Mittelalter. Die zumeist schriftlich erteilten Gutachten und Kommentare auf
Anfragen zur Halacha und Orthopraxie wurden im Umkreis der mittelalterlichen
Gelehrtenschulen in Sammlungen zusammengefasst und weitergegeben.
Sie befassen
sich mit allen Gebieten des religiös geprägten Alltags und bieten damit einen
wertvollen Einblick in die Lebenswelt jüdischer Gemeinden des Mittelalters und
der frühen Neuzeit. Es liegt nahe, dass jene Quellen auch für den Bauhistoriker
mitunter aufschlussreiche Informationen enthalten, die das Wissen um den Bau und
die Einrichtung der Synagogenbauten des Mittelalters um neue Erkenntnisse
bereichern können. Gerade einige Responsen von Rabbinern, die im
österreichischen Raum wirkten, erweisen sich in dieser Hinsicht von besonderer
Ergiebigkeit.1
An vorderster Stelle sind hier die u.a. im Sefer Leket Josher
überlieferten Responsen des Israel ben Petachya Isserlein (Maharai, 1390-1460)
zu nennen. Der Verfasser des Leket Josher, der ursprünglich aus Höchstädt in
Bayern stammende Joseph (Jossel) ben Moses (1421-1490?), war Schüler des
überwiegend in Wiener Neustadt wirkenden Isserlein, der hier eine der
bedeutendsten jüdischen Gelehrtenschulen des Spätmittelalters etabliert hatte.
Isserlein entstammte einer angesehenen österreichischen Gelehrtenfamilie; sein
Urgroßvater war R. Israel aus Krems, sein Onkel Aaron Blümlein (Plumel).2
Zieht man ergänzend noch einige Aussagen, bzw. Lehrmeinungen
weiterer einflussreicher Lehrmeister hinzu, wie beispielsweise die des in Worms
wirkenden bedeutenden Rabbiners Meir ben Baruch von Rothenburg (Maharam
Rothenburg, 1215-1293), seinerseits ein Schüler des zeitweise in Wien ansässigen
großen jüdischen Rabbiners Isaak ben Or Sarua (vor 1200-um 1250), so ergibt sich
ein komplexes Bild jener Lebensumstände, in der die Synagoge und ihre
architektonische Erscheinung eingebunden war. Das Spektrum dieser in den
Responsen behandelten Fragen zum Themenkomplex reicht von Kommentaren zu
vermögensrechtlichen Fragen und liturgischen Forderungen bis hin zu
gestalterischen Aspekten hinsichtlich Bau und Ausstattung der Synagogen.
Konkrete Bauvorschriften bezüglich Größe, Erscheinung und Anlage werden jedoch
nicht ausgesprochen. Vielmehr sind es funktionale Problemstellungen, die
ausgehend von konkreten Fallbeispielen zu verallgemeinerten Lösungsansätzen
führen.

Abbildung 2: Graz, Darstellung der ehemaligen
spätmittelalterlichen Synagoge in der Stadtansicht von Matthäus Merian von 1635
Die Synagoge wird in der halachischen Literatur als heiliger
Ort eingestuft. In einem Kommentar des Joseph ben Moses heißt es dementsprechend
auch, dass „unsere Synagoge ein kleines Heiligtum, von der Heiligkeit wie der
Vorhof (des Tempels), in welchem geopfert wurde, sei."3 Bezüge zum
Tempel werden daher auch in der Ausstattung der Synagoge immer wieder
hergestellt. Ein eindruckvolles Beispiel stellt die um 1350 entstandene
Synagogentür der Mödlinger Synagoge dar, die nach der Vertreibung der Gemeinde
und Profanisierung der Synagoge 1420 lange Zeit als Tür des Stadtarchivs im
Rathaus diente und sich heute im Besitz des Museums der Stadt im Thonetschlössl
befindet (s. Abbildung).4 Die mächtige, aus Eisenplatten
zusammengenietete Tür wird durch eine stilisierte Darstellung der Menorah
dominiert, die aus Eisenbändern zusammengesetzt ist. Als Ausstattungsstück der
Inneneinrichtung kommt auch dem Chanukahleuchter eine besondere Bedeutung zu, da
er vielfach mit der Menorah symbolisch gleichgesetzt wurde. Eine Response
Isserleins stellt die verschiedenen Positionen vor, die seit dem 11. Jahrhundert
zur Platzierung des Leuchters in der Synagoge diskutiert wurden: Entgegen
Salomon ben Isaak (Raschi 1040-1105), der von einer Orientierung der Menorah des
Tempels an der Ost-Westachse ausging, favorisieren Maimonides und Moses von
Coucy die Aufstellung des Leuchters am südlichen Ende der Nord-Südachse, da
ihrer Ansicht nach die Menorah des Tempels auf der Südseite des Vorraums im
Tempel (Hechal) stand. Diese Position wird auch von Jacob ben Ascher im Tur
vertreten: „Und in der Synagoge stellen wir (die Menorah) im Süden auf zur
Erinnerung an die (Tempel-)Menorah."5 Aus einer Bemerkung zur
Positionierung des Chanukahleuchters in der Synagoge bei Meir ben Baruch von
Rothenburg, lassen sich gleichzeitig auch Rückschlüsse auf die Lage des
Eingangs gewinnen. Es heißt: „An der rechten Seite des Eingangs, wo keine
Mesusah ist, soll der Chanukahleuchter aufgestellt werden; In der Synagoge
rechts von der Öffnung des Arons."6 Daraus lässt sich folgern, dass
der Eingang in diesem Fall auf der Südseite liegt. Eine Response aus dem Shuut
ha-Radbaz zeigt jedoch, dass dies nicht immer die Regel ist, da hier der Eingang
entweder auf der Süd- oder Westseite beschrieben wird, die Position des
Chanukahleuchters jedoch gleich bleibt.7 Die erhaltenen Beispiele
mittelalterlicher Synagogenbauten, darunter die im Raum um Wien errichteten
Bauten in Bruck a.d. Leitha, Korneuburg und Sopron bestätigen, dass der Zugang
in der Regel auf den Längsseiten der Bauten in der Süd- oder Nordwand erfolgte.
Auch bei der archäologisch erfassten Synagoge in Wien war dies zunächst der
Fall, bevor im Zuge der zweiten Umgestaltung und Erweiterung der Eingang auf die
Westseite verlegt wurde.8
Die talmudische Forderung, dass die Synagoge das höchste
Gebäude der Stadt sein solle, wird auch in den Responsen immer wieder
bekräftigt: Zu einem konkreten Fall äußert sich Joseph ben Moses (1421-1490?)
folgendermaßen: „(...) Ich glaube, mich zu erinnern, gehört zu haben, dass ein
Gemeindevorsteher in Graetz (Graz) ein Haus neben der Synagoge baute (...) und
der Ga’on (R. Israel Isserlein) wollte nicht, dass sein Dach höher als das Dach
der Synagoge sei (...). Man erhöht sie, bis sie höher als alle Gebäude der Stadt
ist."9 Dass sich diese Forderung nur innerhalb des jüdischen
Wohnquartiers befolgen ließ, war eine hinzunehmende Tatsache. Die wie auch in
Graz zumeist zurückgezogene Lage der Synagogenbauten innerhalb der Quartiere (s.
Abbildung) erlaubte jedoch, diese Gebäude mittels hoher Dachkonstruktionen
baulich aufzuwerten, ohne städtebaulich im christlich dominierten Umfeld
aufzufallen.
Abbildung 1: Mödling, ehemalige Tür der Synagoge, vor 1420;
Museum Mödling - Thonetschlössl (Bezirks-Museums-Verein Mödling),
www.museum.moedling.at.tf
Zu Fragen der Umgebung und baulichen Abgrenzung des Gebäudes
liegen in den Responsentexten eine große Zahl von Fällen vor, die einen
Einblick in unterschiedlichste Situationen gewähren. Beispielsweise wird an den
Rabbiner Meir ben Baruch von Rothenburg ein Fall herangetragen, in dem ein
Badehaus neben der Synagoge die Synagogenmitglieder wegen Geruchs- und
Rauchentwicklung stört.10 Dass wie in Wien, Speyer oder Worms die
jüdischen Gemeindeeinrichtungen der Synagoge, des Badehauses, der Herberge und
eines Lehrhauses auch gemeinsam mit öffentlichen Abortanlagen oft in einem
Gebäude- oder Hofkomplex zusammengefasst wurden, wird durch die Responsen
bestätigt. So ist auch im Leket Josher ein Fall aus Wien überliefert, in dem es
um öffentliche Toiletten neben der Gemeindesynagoge ging.11
Ein weiterer Fall aus Wien demonstriert, dass im Hinblick auf
die Zahl und Orientierung von Fensteröffnungen die auf Daniel 6,10 bezogene
talmudische Forderung von nach Jerusalem gerichteten Fenstern verschieden
interpretiert und ausgelegt wurde. Joseph ben Moses bezieht sich auf einen
Rabbiner (vermutlich Rabbi Meir Bulda in Wien), der es in seiner Synagoge „nicht
so genau" nimmt, wenn die Fenster nicht nach Osten gerichtet sind.12
Maimonides geht in seinen Auslegungen sogar soweit, dass Synagogen und Plätze,
die für das öffentliche Gebet bestimmt sind, nicht notwendigerweise Fenster
haben müssen.13 Charakteristisch für die Synagogenbauten des
Mittelalters sind hoch ansetzende, meist schmale Fenster, die an den Stirnseiten
in der Regel Rundfenster (Okuli) flankierten (Sopron, Korneuburg, Mödling). Sie
dienten weniger der Belichtung als vielmehr zur Beobachtung des Sonnenauf- und
unterganges. Aufschlussreich sind in den Responsen wiederum Bemerkungen zur
aufwendigen Beleuchtung der Synagoge mit Kerzen oder Öllampen. Hierzu heißt es
bei Meir ben Baruch von Rothenburg: „Das Licht vieler Kerzen in der Synagoge -
am Tage oder in der Nacht - vermehrt den Festgeist und die Freude."14
Auch geht aus den Texten hervor, dass Lampen auf dem Toraschrein üblich waren.
So bemerkt Isserlein:„(...) auf dem Aron ha-qodesh sind brennende Lampen".15
Die üppige aber auch kostenintensive Beleuchtung mittelalterlicher Synagogen
wird sowohl durch die Befunde von Lampenhalterungen und Lichtergesimse, als auch
durch zeitgenössische Textquellen u.a. zahlreiche Stiftungsbelege für Kerzen und
Lampenöl bestätigt.16 Dies stößt nicht zuletzt auf christlicher Seite
auf Unverständnis und verleitet Antonius Margharita 1530 zu dem Kommentar, dass
die Juden „sehr große hoffart mit den kertzen" treiben.17
Mehrere Responsen zeigen, dass die Synagogengebäude auch für
andere Zwecke genutzt wurden, die in der Regel nicht mit der Heiligkeit des
Ortes kollidieren sollten. In bezug auf eine über dem Synagogenraum gelegene
Dachkammer heißt es bei Meir ben Baruch von Rothenburg: „Eine Dachkammer über
der Synagoge ist erlaubt, man sollte jedoch größte Vorsicht walten lassen und
dort keine profanen, niederen oder unanständigen Taten vollbringen."18
Weitere hier nur am Rande erwähnte Responsen behandeln u.a. das Verbot des
Bauens an Feiertagen oder den Verkauf der Synagoge.19
Die den Innenraum der Synagoge und seine Gliederung
wesentlich bestimmenden Einrichtungsgegenstände sind der Toraschrein und die
Bima. Auch hier geben zahlreiche Responsen Auskunft zu Gestalt, Lage, Material
und Nutzung dieser Einrichtungen. Die Lage des Toraschreins ist durch die
Gebetsrichtung vorgegeben und soll sich daher an der nach Jerusalem zugewandten
Seite, im europäischen Raum also auf der östlichen oder südöstlichen Seite
befinden. Diese Position ist sowohl bei Maimonides als auch im Tur und im
Schulchan Aruch fixiert.20 Die Orientierung der Räume kann jedoch,
bedingt durch den Zeitpunkt und die Methode der Ostung deutlich von der idealen
Ost-Westachse abweichen (z.B. Bruck a.d. Leitha 20° und Korneuburg 12° in
südliche Richtung). Oftmals musste auch die Orientierung an den Parzellengrenzen
erfolgen (Hainburg, Neulengbach, Mödling).
Toraschreine konnten entweder als Holzschränke vor die Wand
gestellt oder als Nische in die Wand eingelassen werden. Zur Breite des
Schreins, bzw. der Nische heißt es bei Meir ben Baruch von Rothenburg: „Es ist
vorzuziehen, den Aron breit anzufertigen und die Rollen flach hinzulegen."21
Die vielen Äußerungen zu dieser Thematik zeigen, dass die Rollen in der Praxis
meist im Schrein aufrecht aufgestellt wurden.22 Der Schrein selbst
wurde bereits im Mittelalter mit einer Tür und einem Vorhang (Parochet)
verschlossen.23 Eine Response Joseph ben Moses scheint darauf
hinzudeuten, dass offenbar auch zwei oder mehrere Toraschreine nebeneinander
üblich waren.24 Ebenfalls bei Joseph ben Moses wird auch eine
Plattform genannt, die sich in der Synagoge in Wiener Neustadt auf der Seite des
Toraschreins befand und von den Kohanim genutzt wurden.25
Ausgrabungsbefunde an der Synagoge auf dem Judenplatz in Wien bestätigen eine
solche Erhöhung des Fußbodens auf der Ostseite.26
Die Regel, die Bima in das Zentrum des Synagogenraumes zu
stellen, wird im gesamten mittelalterlichen aschkenasischen Kulturkreis generell
befolgt und selbst von sephardischen Religionsgelehrten verlangt.27
Maßangaben zur Höhe und Breite der Bima finden sich in der Responsenliteratur
ebenso wie Hinweise auf Material oder Brüstungshöhe.28 In Bezug auf
den Zugang zur Bima ist eine Response Isserleins bemerkenswert. Auf die Frage,
ob man beim Toraaufruf auf den „Turm" (Migdal=Bima) durch die östliche oder die
westliche Öffnung hinaufsteigen und hinabgehen soll, lautet seine Antwort: „Ich
pflege, von der meinem Platz am nächsten liegenden Seite hinaufzusteigen, und
ich steige an der meinem Platz entfernten Seite hinab; wie wir sagen, dass
derjenige, der das Vestibül betritt von der kürzesten eintritt und von der am
weitesten entfernten hinausgeht."29 Die Frage ist insofern von
Bedeutung, da sie zwei Voraussetzungen impliziert: Erstens werden zwei
gegenüberliegende Aufgänge zur Bima genannt. Zweitens liegen diese auf der Ost-,
bzw. Westseite und damit auch einer auf der Seite des Lesepultes.
Unterschiedlichste Beispiele zeigen jedoch, dass auch Zugänge von Norden und
Süden oder über die Ecken üblich waren. Ausgrabungsbefunde in Wien und Sopron
weisen darauf hin, dass im österreichischen Raum die Anlage einer Bima mit
hexagonaler Grundform als regionale Sonderform üblich war.
Die Frage nach der Ausschmückung der Synagoge mit bildlichen
Darstellungen auf Wand- und Fenstermalereien oder auf in der Synagoge
aufgehängten Textilien wird in den Responsen kontrovers diskutiert. Maimonides
antwortet auf die Frage nach einem Verbot halbplastischer, bzw. flacher Bilder
in der Synagoge: „Wir schließen die Augen beim Gebet (...) gleichgültig ob eine
Parochet oder eine bemalte Wand da ist (...)."30 Dennoch wird immer
wieder die Entfernung von Wandmalereien oder Fensterbildern gefordert. Berufen
wird sich dabei auf zwei Fälle, nämlich die Anordnung des Eljaqim ben Joseph von
Metz (12. Jh.), mit Löwen und Schlangen bemalte Glasfenster in der Synagoge zu
Köln zu entfernen, sowie auf Or Sarua, der sich diesbezüglich äußert: „Ich
erinnere mich, als ich, der Verfasser noch eine kleiner Junge war, und sie in
der Synagoge in Meißen Vögel und Bäume malten, entschied ich, dass es verboten
sei, dies zu tun (...)".31 Auch bei der Diskussion um
Figurenplastiken auf einem Toraschrein oder Parochet mit gestickten Abbildungen
wird auf diese älteren Responsen verwiesen.32 Das Spektrum der Fragen
zur angemessenen Ausstattung der Synagoge reichen bis zur Legitimation eines
Teppichs auf einem Steinfußboden.33 Die immer wieder aufflammenden
Diskussionen um das Abbildungsverbot zeigen deutlich, dass die Ausschmückung der
Synagoge mit Wand- und Fenstermalereien, bestickten Teppichen oder
Skulpturenschmuck auch mit figürlichen Darstellungen im Mittelalter üblich war
und ungeachtet des Verbots unterschiedlich frei gehandhabt wurde.
Einen Einblick in die Praxis der Geschlechtertrennung in der
Synagoge gibt eine Reihe von Responsentexte, wobei weniger die Frage der
Trennung selbst, als die damit verbundenen praktischen Konsequenzen erörtert
werden. Im Hinblick auf die räumliche Abgrenzung von Männer- und Frauenbereichen
werden überwiegend Fragen der Sitzplatzvergabe behandelt. Isserlein muss dabei
feststellen „daß bezüglich der Frauensitzplätze (...) die Männer im allgemeinen
nicht wissen, welcher Platz jeder einzelnen Frau gehört."34 Hier wird
deutlich, dass der Bereich der Frauen für Männer meist nicht zugänglich war.35
Jedoch wurden die Frauenräume wegen ihrer geringeren Heiligkeit außerhalb der
Gottesdienste auch von Männern an bestimmten Festtagen zum Übernachten genutzt.36
Mit Bezug auf Betende vor der Synagoge und die Verbindung der Frauenabteilung
zum Synagogenraum erläutert Joseph ben Moses: „Sie sind wie zwei
Genossenschaften in zwei Häusern (...) wenn der Vorbeter auf der Schwelle steht,
die Innen und Außen vereinigt, kann dies als Aron angesehen werden. Die
Frauenabteilung beweist, dass in einem Teil der Gemeinde keine Öffnung besteht
(...)."37 Tatsächlich ist aus den Responsen die konkrete Information
zu beziehen, dass es in Wiener Neustadt und Wien solche separaten Frauenräume
gab, die sich in Wien, Korneuburg, Sopron, Maribor und Bruck a.d. Leitha auch
baulich nachweisen lassen. Über die Praxis, die Verbindung zwischen dem
Frauenbereich und dem Geschehen im Synagogenraum herzustellen, geben auch die
Prozessakten des Trientiner Judenprozesses von 1475 Auskunft: Die Frauen, die in
einem Vorraum auf einer Bank saßen, traten hier, da offenbar keine
Sichtverbindung bestand, an die Tür, um der Aushebung der Tora beizuwohnen.38
Viele erhaltene Beispiele wie die Bauten in Bruck a.d. Leitha, Korneuburg und
Sopron zeigen, dass in der Regel schmale Luken üblich waren, mittels welcher die
Frauen dem Gottesdienst folgen konnten.
Bei Joseph ben Moses finden sich bezüglich der Synagoge in
Wiener Neustadt auch einige Bemerkungen zur Zuordnung der Sitzplätze im
Synagogenraum, ihrer Position zum Toraschrein und der Praxis der
Sitzplatzvergabe. Er erinnert sich: „Drei oder vier Plätze an der Lade
(Toraschrein), die ‚Wetzel’ genannt wurde, waren frei. Dort konnten Fremde
sitzen (...)." In einer der dortigen Jeschiwot saßen die Studenten „mit dem
Rücken zum Aron ha-kodesch" obwohl „man nicht mit dem Rücken zum Aron ha-kodesch
steht; denn der Aron ähnelt dem Heiligsten (...)."39 Grabungsbefunde
in Wien, Köln oder Speyer bestätigen zudem die in den Responsentexten
beschriebene Lage der regulären Sitzplätze entlang der Wände und die
Unterteilung der Plätze durch Gitter oder Bretter.40
Die hier nur exemplarisch vorgenommene Auswertung zeigt den
hohen Informationswert dieser Textquellen. Gemeinsam mit den erhaltenen und
dokumentierten Sach- und Bauzeugnissen vermitteln sie ein lebendiges Bild
jüdischen Lebens in Österreich im Mittelalter.
1 Dieser Beitrag basiert auf dem Abschnitt über rituelle und
liturgische Vorgaben des jüdischen Kultus im Mittelalter in Paulus, Simon: Die
Architektur der Synagoge im Mittelalter, Überlieferung und Bestand, Petersberg
2007, hier S. 43-53, sowie Kern-Ulmer, Brigitte: Rabbinische Responsen zum
Synagogenbau, Hildesheim 1990, und Keßler, Katrin: Liturgische und
religionsgeschichtliche Voraussetzungen für den neuzeitlichen Synagogenbau,
Diss. TU Braunschweig 2004.
2 Zu den in Österreich wirkenden Gelehrten siehe Spitzer,
Shlomo: Bne Chet –Die österreichischen Juden im Mittelalter, Wien 1997, S.
161-186. Eine Übersicht der hebräischen Schriftquellen zum österreichischen
Judentum im Mittelalter findet sich in Keil, Martha: Gemeinde und Kultur. Die
mittelalterlichen Grundlagen jüdischen Lebens in Österreich, in: Geschichte der
Juden in Österreich (Österreichische Geschichte, hg. v. Herwig Wolfram), Wien
2006, S. 15-122, hier S. 27-32.
3 Sefer Leket Yosher, S. 31, nach Kern-Ulmer (1990), S. 104f,
siehe dort auch zur Bedeutung/Heiligkeit des Vorhofes nach Rambam, S. 157.
4 Dank an Frau Monika Chromy und das Museum Mödling für die
Bereitstellung von Fotomaterial und Informationen. Zur Tür siehe auch Burger,
Peter u. a.: Ausgelöscht - Vom Leben der Juden in Mödling, Wien/Mödling 1988, S.
18ff und Paulus (2007), S. 359-363.
5 Nach Mann, Vivian: Zu einer Ikonografie der
mittelalterlichen Diaspora-Synagogen, in: Europas Juden im Mittelalter, Beiträge
des internationalen Symposiums in Speyer vom 20.-25. Oktober 2002, hg. v.
Christoph Cluse, Trier 2004, S. 365-376, S. 369f.
6 Sefer Shut Maharam ben R. Barukh, S. 196, Kern-Ulmer
(1990), S. 132.
7 „Eine Frage an den einsichtigen und aufgeklärten Schmuel
(...). Unser Rabbi, unterweise uns bezüglich der Erklärung in Orakh Chaijm,
Hilkot Chanukah; denn in der Synagoge stellt man den Chanukahleuchter im Süden
auf. Darauf stützt man sich und stellt ihn an die südliche Wand der Synagoge in
die Mitte der Wand, selbst wenn dort kein Eingang ist. Meiner Meinung nach sieht
es schändlich aus, denn einen Chanukahleuchter stellt man nur an die Öffnung,
die auf der rechten Seite ist und so schrieb Rema, das man ihn rechts in der
Synagoge aufstellt. Antwort: (...) rechts vom Eingang ist auch südlich des
Eingangs (...)." Shuut ha-Radbaz Teil 3, § 510, nach Kern-Ulmer (1990), S. 135.
8 Stellvertretend Helgert, Heidrun und Martin A.
Schmid: Die mittelalterliche Synagoge auf dem Judenplatz in Wien, Baugeschichte
und Rekonstruktion, in: Wiener Jahrbuch für jüdische Geschichte Kultur &
Museumswesen 4, 1999/2000, Bozen 2000, S. 91-110.
9 Sefer Leket Yosher, S. 31, zitiert nach Kern-Ulmer (1990),
S. 104f.
10 Sefer Shut Maharam ben R. Barukh, S. 495, nach Kern-Ulmer
(1990), S. 159.
11 Leket Josher, I, 86, siehe auch Spitzer, Shlomo: Bne Chet.
Die österreichischen Juden im Mittelalter, Wien 1997, S. 220) Ein Abort neben
der Synagoge wird im Sefer Chatam Sofer und bei Judah ben Eliezer Mintz, (Mahari
Mintz, Mainz 1408?-1506, Padua) erwähnt. Siehe Sefer She‘elot u-Teshuvot Mahari
Mintz, Teil 1, O.Ch. § 193, nach Kern-Ulmer (1990), Nr. 62, S. 164.
12 Kern-Ulmer (1990), S. 37.
13 Teshuvot ha Rambam, Bd. 2, § 216, Kern-Ulmer (1990), S.
36.
14 Shut Maharam ben R. Barukh, S. 191, Nr. 69: Frage zu einer
stark qualmenden Öllampe in der Synagoge, S. 174f, Nr. 19; nach Kern-Ulmer
(1990), S. 133.
15 Sefer Terumat Ha-Deshen Pesakim u-Ketavim § 67, nach
Kern-Ulmer (1990), S. 134.
16 So beispielsweise im Nürnberger Memorbuch.
17 Margharita, Antonius: Der ganz jüdische Glaub, Augsburg
1530, zitiert nach Krautheimer (1927), S. 117.
18 Maharam ben R. Barukh, § 20, Kern-Ulmer (1990), S. 31.
Siehe auch bei Maimonides, Teshuvot ha Rambam Bd. 3, § 157, Kern-Ulmer (1990),
S. 31.
19 Verkauf einer Synagoge bei Chajim Elieser ben
Jitzchak Or Sarua (Sefer She‘elot u-Teshuvot maharach Or Zaru‘ha, § 65)
Kern-Ulmer (1990), S. 165.
20 Keßler (2004), S. 26.
21 Sefer Shut Maharam ben R. Barukh, Teil 4 § 352; nach
Kern-Ulmer (1990), S. 58.
22 „(...)Thorarollen werden aufgestellt, besser ist, sie zu
legen (... )." David ben Schlomo Ibn Abi Zimra (Radbaz, Spanien 1479 – 1573
Kairo), Shuut ha-Radbaz, Teil 3, § 530; nach Kern-Ulmer (1990), S. 61.
23 Zu Arontür und Parochet äußert sich z. B. Jakob ben Jehuda
Weil (Mahari Weil), Sheelot u-Teshuvot we-hilkhot shechita u-vediqah, Hanau
1610, Teil 1, § 68; nach Kern-Ulmer (1990), S. 115.
24 „(...) meiner Erinnerung zufolge war sein Platz in der
Synagoge in (Wiener)Neustadt auf der Nordseite auf einer kleinen Bank, die auf
aschkenasisch ´sidel´ heißt. Er war auf den Aron ausgerichtet, der auf der Seite
des mittleren Aron steht, und seine Rückseite ist dem Volk gegenüber..." Sefer
Leket Yosher, S. 20, zitiert nach Kern-Ulmer (1990), S. 59..
25 „Meiner Erinnerung zufolge sprach er einmal zu mir: Nimm
eine Bank oder einen Hocker, der Schemel genannt wird, und stell ihn vor den
Aron ha-qodesh in meiner Synagoge, damit die Kohanim darauf stehen, wenn sie zur
Plattform gehen; die Höhe des Hockers war eineinhalb Spannen (...)." Sefer Leket
Yosher, nach Kern-Ulmer (1990), S. 59.
26 Dort wurde in der letzten Bauphase späten des 14. Jh. bei
der Erweiterung des Gebäudes der Fußboden auf der Ostseite um etwa 50 cm über
die gesamte Länge erhöht.
27 So z.B. bei Maimonides und David ben Shlomoh Ibn Abi Zimra
(Radbaz, Spanien 1479-1573 Kairo, Shuut ha-Radbaz, Teil 2, § 157); Kern-Ulmer
(1990), S. 80.
28 So beispielsweise im Sefer Sheelot u-Teshuvot ha-Rashba, §
96); angeführt bei Kern-Ulmer (1990), S. 76f.
29 Sefer Terumat Ha-Deshen Pesakim u-Ketavim, § 119; zitiert
nach Kern-Ulmer (1990), S. 78f .
30 Teshuvot ha Rambam Bd.2 § 215: Kern-Ulmer (1990), S. 113.
31 Sefer Sheelot u-Teshuvot maharach Or Zaruha Teil 2 AZ §
203 (1). Kern-Ulmer (1990), S. 147.
32 Response zu einer Löwenplastik auf dem Thoraschrein bei
Josef ben Ephraim Caro (Toledo 1488-Safed 1575), She‘elot u-Teshuvot Avqat
Rokhel, § 63; nach Kern-Ulmer (1990), S. 61. Dort finden sich u.a. auch
Bemerkungen zu einem Parochet mit gestickten Abbildungen (Vögel) unter Verweis
auf die Entfernung der Abbildungen in der Synagoge von Köln nach einer Response
Rabbenu Elijaqim und ein Verweis auf die Darstellung von Vögeln und Pferden in
einer Synagoge in einer Korrespondenz zwischen R. Ephraim und R. Joel. She‘elot
u-Teshuvot Avqat Rokhel, § 66, nach Kern-Ulmer (1990), S. 119f.
Zu einem Streit um einen bestickten Parochet in der Synagoge
von Padua siehe ebenfalls bei Josef ben Ephraim Caro, She‘elot u-Teshuvot Avqat
Rokhel, § 65, nach Kern-Ulmer (1990), S. 119.
33 Bei Me‘ir ben Barukh von Rothenburg, Sefer Shut Maharam
ben R. Barukh, §25; Kern-Ulmer (1990), S. 114
34 Sefer Terumat Ha-Deshen Pesakim u-Ketavim, Teil 1 § 353:
Kern-Ulmer (1990), S. 48.
35 „...vielleicht habt ihr bei einem früheren Kommentatoren
gefunden, daß an den Plätzen, wo die Frauen in der Synagoge sitzen, Männer nicht
eintreten, weil der Ort für Frauen ist..." Rashba, Sefer Sheelot u-Teshuvot
ha-Rashba, Teil 2, § 52 und § 182), nach Kern-Ulmer (1990), S. 27 und 47. „Die
Plätze, auf denen Frauen in der Synagoge sitzen, sind ein für Frauen
abgesonderter Ort und Männer treten dort nicht ein, wenn die Frauen dort sitzen.
Wir wissen nicht, was dort vorgeht (...)." Sefer She‘elot u-Teshuvot ha-Rashba,
Teil 5 § 139; nach Kern-Ulmer (1990), S. 48.
36 Keßler (2004), S. 41.
37 Sefer Leket Yosher, S. 28, Kern-Ulmer (1990), S. 160.
38 Eckert, W.P.: Aus den Akten des Trientiner Judenprozesses,
in: Judentum im Mittelalter, hg. v. P. Wilpert und W.P. Eckert, 1966, S.
283-336, hier S. 329.
39 Sefer Leket Yosher, S. 31, Kern-Ulmer (1990), S. 104f.
40 „... ich habe in allen Ländern, die ich bereiste, gesehen, daß sie feste
Synagogenplätze mit Gittern zwischen den Plätzen hatten" Ascher ben Jechiel
(Asheri/Rosh, ca. 1250-1329 Toledo), Shut leha-Rav Rabbenu Asher, Teil 5, § 3;
nach Kern-Ulmer (1990), S. 101ff; Zur Sitzverbreiterung: Rashba, She‘elot
u-Teshuvot ha Rasbah ha-mejuchasot leha Ramban (Zolkiew 1793), § 26, Kern-Ulmer
(1990), S. 101; Verbot der Erhöhung von Synagogensitzplätzen sowie Mietpreise
und Mietrecht für Synagogensitzplätze bei Jitzachq bar Sheshet Perfet
(Barfat/Ribash (Rivash)), Barcelona 1326-1408 Algier), She‘elot u-Teshuvot
...bar Sheshet, § 259, § 253, bei Kern-Ulmer (1990), S. 102-104.
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