Roger Reiss hat seinem ersten Band Fischel und Chaye* eine
ebenso amüsante Fortsetzung folgen lassen. Im Mittelpunkt der skizzenartigen
Erzählungen stehen diesmal sein Vater Leon und seine aus Wien stammende Mutter
Lucie.
Vor allem erinnert sich Roger Reiss -1944 in Zürich geboren-
an seine Jugendjahre als orthodoxer Jude in der Schweiz, das bedeutete für ihn
Lernen in Talmudschulen, aber auch Dienst beim Schweizer Militär. Besonders
skurril sind seine Beschreibungen der Organisation für ein Konzert des bekannten
singenden Rabbiners Schlomo Carlebach oder des jüdischen Heiratsmarkts von
St.Moritz, wo Lucie schon in der Zugfahrt dahin das allzu große Interesse einer
Mutter heiratwilliger Töchter an den drei Reissbrüdern nur mit List abwenden
konnte. Auf heitere Art gelingt es ihm auch, über den Konkurs der Privatbank der
Familie Reiss zu erzählen, ein Ereignis, das in der Realität sicher weniger
vergnüglich war, da dabei das beträchtliche, vom Großvater erworbene Vermögen
verloren ging.
Eine der Folgen des Bankrotts war, dass Roger Reiss einem
seiner Brüder 1972 nach Genf gefolgt ist und dort schließlich eine Sephardin aus
dem Libanon heiratete. Jahrzehntelang wurde er jeden Sonntag von Leon und Lucie
besucht, die darüber wachten, dass die galizische Familientraditon von ihrem
Sohn auch in der für sie exotischen französischen Schweiz weitergeführt wurde.
Nach dem Tod der Eltern besteht diese Tradition für Roger Reiss nur noch aus
Erinnerungen; geblieben ist ihm zwar das jüdische Bewusstsein, doch er sieht
sich heute „als eine Art teilnehmender Beobachter" des Genfer Sephardentums.
*siehe Rezension in DAVID Nr. 72