Allein der Nicht-Veranstaltungsort der Buchvorstellung „Eine
Debatte ohne Ende? Raubkunst und Restitution im deutschsprachigen Raum" belegte
bereits die Brisanz des 327seitigen Bandes. Die Berliner Nationalgalerie schlug
den Autoren Julius Schoeps und Anna-Dorothea Ludewig den Wunsch aus, ihr Buch in
deren Räumen vorstellen zu dürfen. Der Direktor des Moses Mendelssohn Zentrums
in Potsdam, Julius H. Schoeps, plädiert für eine Versachlichung der Diskussion
über Raubkunst. Das Ziel sei, den Diskurs über das Thema sachlicher und
konstruktiver zu führen, weniger polemisch und emotional sowie fernab von
Schlagwörtern wie „Museumsplünderung" und „Beutezug". Hier liege noch vieles im
Argen. Wenn das eher stille Thema ins internationale Licht der Öffentlichkeit
gerückt werde, beweise das, wie nötig es sei, „mehr als sechs Jahrzehnte nach
Kriegsende durch die Kinder- und Enkelgeneration ein Thema aufzuarbeiten, das
eigentlich in den 1950er-Jahren hätte diskutiert werden müssen." Der vorliegende
Sammelband wird ob seiner breit gefächerten Betrachtungsweise der durchaus
kontroversen Diskussion neuen Gesprächs- wie Sprengstoff liefern. Neben einer
Armada von Kunstanwälten und -wissenschaftlern hatten Vertreter von Museen und
Provenienz-Forscher, deren Bedeutung auf dem diskutierten Terrain zunimmt, an
der Tagung teilgenommen, auf deren Beiträgen das Buch aus dem Verlag für
Berlin-Brandenburg fußt.
Wie schwer vor Ort Provenienzforschung sei, verdeutlicht
Martin Roth, Generaldirektor der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden. Die
Zukunft koste Geld, für Provenienzforschung oder für Entschädigungen. Denn nicht
alle Kunstwerke müssten zwangsläufig aus den Schauräumen verschwinden. Den Weg
zu fairen und gerechten Lösung habe die Washingtoner Erklärung, in der sich 44
Staaten dazu verpflichtet haben, den Rückübertragungen nachzukommen und
Ansprüche nicht verjähren zu lassen, aufgezeigt. Eine gütliche Einigung mit
Erben sparen horrende Anwaltskosten. Während Roth einen „Feuerwehrfonds" für
Museen ins Gespräch bringt, spricht Schoeps sich für einen „Rückkauffonds" aus,
mit dessen Hilfe Museen die von Erben der einstigen Eigentümer geforderten
Kunstwerke in ihrem Bestand halten können. „Denkbar sind beispielsweise zinslose
Darlehen von privaten Kunstmäzenen oder Stiftern, das gab es in der deutschen
Geschichte schon."
Martin Roth hält es für einen großen Fehler, dass nicht
EU-weit recherchiert werde. „Die Verschleppung der Kunst durch die
Nationalsozialisten kannte keine Grenzen, weshalb aber die Suche nach ihr?" Ein
Dilemma ist, dass sich die Museen mangels finanzieller Mittel für entsprechende
Fachkräfte um Herkunftsforschung herummogeln. Mit 1-Euro-Jobbern oder
ABM-Kräften sei Provenienz-Forschung auf wissenschaftlichem Niveau nicht
möglich. Auch Monika Tatzkow, Autorin des weltweit ersten Handbuchs der
Kunstrestitution, verlangt von den Museen, „aus ihrer Bunkermentalität
herauszutreten."
Der Repräsentant der Jewish Claims Conference in Deutschland,
Georg Heuberger, fordert mehr Unterstützung von den Museen bei der Aufklärung
des Verbleibs von NS-Raubkunst und vermisst das nötige Engagement, die Herkunft
ihrer Werke gründlich zu prüfen. „Eine flüchtige Durchsicht der Inventare auf
eventuelle Zuweisungen der Gestapo reicht nicht aus", ist sich Heuberger mit Ute
Haug, einer anderen Autorin des Bandes, einig. „Verständlich ist, dass es in
Museen personelle und finanzielle Engpässe gibt, aber gerade deshalb sollten sie
qualifizierten externen Forschern den Zugang zu ihren Akten und Archiven nicht
verbauen." Er rät dazu, sich im Ausland umzuschauen und von positiven Beispielen
in Österreich, den USA und Großbritannien zu lernen. Georg Heuberger stellt aber
auch klar, dass „das Gros der Restitutionen keine bekannten Kunstwerke sind, die
auf internationalen Auktionen Millionen Euro einbringen. Wir reden im Großteil
der Fälle von Büchern, Grafiken, Autographen, die für die Erben einen in erster
Linie emotionalen Wert besitzen." Gleichzeitig plädiert er dafür, die Zeit vom
30. Januar 1933 bis zum 8. Mai 1945 in ihrer Gesamtheit zu betrachten, „ohne
juristisch nach dem Grad der fortschreitenden Entrechtung" zu differieren.
Nach Angaben des Münchner Kunstrechtlers Hannes Hartung sehen
sich die EU-Staaten über 600 laufenden Verfahren ausgesetzt. Hartung verdankt
der sehr schnell publizierte Konferenzband eine differenzierte rechtliche
Wertung und Betrachtung sowie eine im Anhang angefügte informative Übersicht der
Restitutionspraxis in Europa. Auch wenn es bislang keine verbindlichen
Regelungen gebe, müsste gerade Deutschland angesichts der historischen
Verantwortung eine Vorreiterrolle einnehmen.
Die Historikerin Esther Tisa Francini rät zu einer neuen
Betrachtungsweise, die auch all jene Stücke betrifft, die z. B. von der Schweiz
aus zum Lebensunterhalt des Besitzers stückweise veräußert wurden. Schwer zu
beantworten sei nach über 70 Jahren, wie bedroht Verfolgte des NS-Regimes auch
im Ausland waren und welche Rolle den Steuerbehörden zukam. So fordert Tisa
Francini, von theoretischen politischen Diskussionen wegzukommen und zu den
Quellen zurückzukehren. Dazu entwickelte sie fünf Fragekomplexe zur
wissenschaftlichen Beurteilung von Restitutionsansprüchen.
„Eine Debatte ohne Ende?" bietet zu einem auch für Studenten
und Privatinteressenten moderaten Preis ein in seinen gedanklichen Ansätzen
vielschichtiges „Handbuch der Restitutionspraxis", das der endgültigen Klärung
der Herkunft vieler Werke oberste Priorität einräumt. Schoeps und Ludewig gaben
ein streitbares, sehr subjektives Buch heraus, das von der Kompetenz seiner
Autoren lebt und den Dialog befördern dürfte. Und das Kirchner-Bild „Berliner
Straßenszene" von 1913 auf dem Titel widerspiegelt wohl gleichsam die ganze
aktuelle Problematik der Restitution, die Aufforderung zum genaueren Hinschauen
wie die vielen Unschärfen.
Uwe Kraus