Ab 26. September 2008 wird im Leopold-Museum Wien eine
umfangreiche Retrospektive an Christian Schad (1894 – 1982, Hauptmeister der
„Neuen Sachlichkeit" und Schöpfer von drastischen Bildern sowie abstrakten
Fotogrammen), erinnern (bis 6. Januar 2009), der bis zur Isolation während des
„Dritten Reiches" mit zahlreichen Vertretern des kulturellen Lebens gut bekannt
war und nach dem Zweiten Weltkrieg als Realist in Vergessenheit geriet...
Zu
seinem Freundes- und Bekanntenkreis zählten der Pazifist Leonhard Frank, der
Dadaist Hugo Ball, der in Auschwitz ermordete polnische Maler Marcel Slodki, die
Schriftsteller Walther Serner und Max Hermann-Neisse, der Bildhauer Alexander
Archipenko, der Surrealist und Résistance-Kämpfer Samuel Rosenstock (besser
bekannt als Tristan Tzara) sowie der „rasende Reporter" Egon Erwin Kisch. 1927
malte er ein Porträt der Wiener Kunsthändlerin und Eigentümerin der im April
1938 „arisierten" Galerie Würthle, Lea Bondi-Jaray. Es entbehrt nicht einer
gewissen Pikanterie, dass diese Ausstellung in einem Museum stattfindet, dessen
Hausherr über eine Reihe von Kunstwerken aus dem in der NS-Zeit enteigneten
Besitz jüdischer Sammler, auch von Lea Bondi-Jaray, verfügt. Den Gynäkologen Dr.
Haustein, der nach der Machtübernahme der Nazis mit Zyankali seinem Leben ein
Ende setzte, porträtierte Schad 1928 mit einer gespenstisch wirkenden
Schattenfigur im Hintergrund, die das kommende Unheil anzukündigen scheint. Gut
bekannt war Schad auch mit dem kommunistischen Maler Georg Schrimpf, dem die
Nationalsozialisten Malverbot erteilten.
So darf es kaum verwundern, wenn Schad in der Zeit des
„Dritten Reiches" in Ermangelung eines Großteils seiner Auftraggeber und Sammler
sein künstlerisches Schaffen zurückstellte und 1935 einen Brotberuf als Leiter
eines niederländischen Bierdepots in Berlin übernahm. Aufträge, etwa für
Bildnisse der Schauspielerinnen Luise Ulrich und Kristina Söderbaum (der
„Reichswasserleiche") waren selten.
Schad stammte aus gutbürgerlichem Elternhause. Zunächst
studierte er an der Akademie München, brach aber 1914 nach wenigen Semestern ab,
weil er sich „nicht prüfen lassen wollte." Nach dem Ausbruch des Ersten
Weltkrieges simulierte er einen Herzfehler und floh 1915 in die neutrale
Schweiz, nach Zürich. Dort schloss er sich der Dada-Bewegung an; er
veröffentlichte Holzschnitte in avantgardistischen Zeitschriften und eine
Grafikmappe. Ende 1916 zog er nach Genf, wo er in einer Irrenanstalt Studien
fertigte.1919 führten ihn Experimente zu dem später nach ihm benannten
Fotogramm, der „Schadographie", einem auf lichtempfindlichen Platten erzeugten
Konturbild. Zudem arbeitete er an Holzreliefs, kubistisch geprägten Ölbildern
und Holzschnitten.
1920 kehrte Christian Schad nach München zurück und löste
sich vom Dadaismus. Er zog nach Italien, um sich dem Studium der
Renaissance-Meister zu widmen, das ihm den Durchbruch zum Realismus brachte.
1923 heiratete er eine Römerin und zog nach Neapel. 1925 finden wir ihn in Rom,
um ein Porträt von Papst Pius XI. zu malen. Im gleichen Jahr erfolgte der Umzug
nach Wien, wo Schads Atelier zum Treffpunkt eines Kreises von Intellektuellen,
Künstlern und Aristokraten wurde.
Schads Porträts jener Zeit werden der „Neuen Sachlichkeit"
zugerechnet, einer veristischen Ausdrucksform, die auch als Gegenbewegung zur
abstrakten und gegenstandslosen Kunst gesehen werden muss. Der Künstler malte
Frauen, die für den neuen selbstbewussten Frauentyp mit Bubikopf und Zigarette
stehen; er porträtierte den tätowierten Egon Erwin Kisch sowie Agosta, den
missgestalteten „Flügelmenschen" und dessen „schwarze Taube" Rasha, die als
Artisten auf einem Jahrmarkt arbeiteten. Er malte und zeichnete Transvestiten,
Lesben und Schwule. Im Münchner Lenbachhaus hängt mittlerweile Schads
unterkühlte Darstellung einer Operation. Als Hauptwerk gilt das 1927 entstandene
„Selbstporträt mit Modell" (Privatbesitz), das heute zu den bekanntesten und am
häufigsten reproduzierten Werken des Künstlers und der Neuen Sachlichkeit
allgemein zählt. Schonungslos setzt sich Schad dem eigenen Blick aus, als „Maler
mit dem Skalpell", der seine Modelle und sich selbst mit kühler Distanz seziert.
Seit 1928 lebte der Künstler in Berlin, Reisen führten ihn nach Paris und in die
Bretagne. 1931 ertrank seine erste Frau Marcella bei einem Badeunfall, und Schad
begann, sich mit fernöstlicher Philosophie zu befassen. Als 1936 seine „Schadographien"
als Leihgaben Tristan Tzaras im Museum of Modern Art in New York gezeigt wurden,
geschah dies ohne Wissen des Künstlers.
Schads Meisterwerke befinden sich heute in Museen wie der
Nationalgalerie Berlin sowie in namhaften Privatsammlungen. Seit dem Jahr 2000
hüten die Museen der fränkischen Stadt Aschaffenburg einen ganz besonderen
Schatz – den Nachlass des Künstlers, den die Witwe Bettina Schad als Stiftung in
die Obhut der Stadt überführt hat. Er umfasst Gemälde, Handzeichnungen und
Entwürfe, Druckgraphiken, „Schadographien" und Collagen, insgesamt rund 800
Arbeiten. Hinzu kommen zahlreiche, zum Teil frühe Arbeiten, die sich schon
länger im Bestand der Aschaffenburger Museen befunden haben. In den kommenden
Jahren soll ein eigenes Museum für den Künstler errichtet werden, außerdem
fördert man die Herausgabe eines vierbändigen Werkverzeichnisses. Museumsleiter
Dr. Thomas Richter weiß, warum es den Künstler nach Nordbayern verschlagen hat:
„1942 erhielt Schad hier einen Porträtauftrag. Im März 1943 wurde sein Berliner
Atelier durch einen Bombenangriff zerstört. Daraufhin entschloss sich der Maler,
nach Aschaffenburg zu ziehen. Hier hatte er nämlich einen größeren Auftrag in
Aussicht. Der Künstler, der die altmeisterliche Maltechnik perfekt beherrschte,
sollte eine Kopie der „Stuppacher Madonna" von Matthias Grünewald anfertigen."
Diese hat heute im Originalrahmen aus dem 16. Jahrhundert in der Stiftskirche
Sankt Peter und Alexander ihren endgültigen Platz gefunden.
In den späten 1940er Jahren verdiente der Künstler seinen
Lebensunterhalt mit Restaurierungsarbeiten. Nach der realistischer Kunst in der
Folge der nationalsozialistischen „Blut- und Boden-Malerei" und dem Siegeszug
des Abstrakten erfolgte nur zögerlich seine Wiederentdeckung, Schads Werke
wurden auf deutschen und internationalen Ausstellungen gezeigt. Auch die
Deutsche Post ehrte den Wahl-Aschaffenburger mit einer Sonderbriefmarke, die ein
für ihn charakteristisches Frauenbildnis ziert.
Die Ausstellung in Wien wird nicht nur die Hauptwerke der
Zwanziger Jahre präsentieren, sondern auch einige der frühen, vom Kubismus
beeinflussten Bilder aus der Zeit des Ersten Weltkriegs. Sie verdeutlichen
Christian Schads frühe Auseinandersetzung mit progressiven Ansichten der
Avantgarde. Etwa das Portrait der jungen Russin Katja von 1918, als sie nach
ihrer Flucht aus dem revolutionären Russland isoliert und traumatisiert war.
Eine große Rolle in der Geschichte der modernen Fotografie nehmen Schads
Fotogramme ein, Objekte, die ohne Verwendung einer Kamera auf lichtempfindlichem
Papier abgelichtet wurden. Sie entstanden ab 1919 in Genf und waren geprägt von
seiner Auseinandersetzung mit dem Geist des Dadaismus. Das Original des ersten
Fotogramms gilt als verschollen, ist aber in der Zeitschrift DADAphone 1920 in
Paris veröffentlicht worden. 1960, vierzig Jahre nach der Erfindung wandte sich
der Künstler erneut dieser Technik zu. Da es die damals verwendeten
Tageslicht-Auskopierpapiere nicht mehr gab, entstanden die neuen Arbeiten in der
Dunkelkammer, was Schad andere kreative Möglichkeiten erschloss.