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Ausstellung:
Babylonisches
Gewirr
Felice Naomi WONNENBERG
„Babylon. Mythos und Wahrheit" –
diesen Werbeslogan sieht man derzeit allerorts in Berlin plakatiert. Mit einem
wahrhaft gigantischen Werbeetat ziehen die Ausstellungsmacher des
Pergamon-Museums ins Feld, um das Volk in ihre Ausstellung zu locken. Und
tatsächlich - das Volk strömt in Scharen durch das babylonische Ischtar-Tor in
die Museumshallen.
Die Ausstellung „Babylon. Mythos und Wahrheit" zeigt Schätze
der Staatlichen Museen zu Berlin, des Pariser Musée du Louvre und der Réunion
des musées nationaux sowie des British Museum in London und wurde durch das
Vorderasiatische Museum und die Kunstbibliothek der Staatlichen Museen zu Berlin
mit Unterstützung der Staatsbibliothek zu Berlin kuratiert.
Die Ausstellung verspricht in zwei
großen Abteilungen, „Wahrheit" und „Mythos", mit der Divergenz zwischen den
historischen Fakten über die babylonische Kultur einerseits und den
Phantasievorstellungen des westlichen Abendlandes über das biblische verruchte
„Sünden-Babel" andererseits aufzuräumen. So hat man das Erdgeschoss des
Pergamon-Museums der Darstellung der archäologischen Fundstücke gewidmet und im
ersten Stock eine gleich große Ausstellungsfläche der Abteilung „Mythos"
zugeteilt. Der Text der Website verspricht: „Hier erleben die Besucher die
mythische Geschichte vom Aufstieg und Fall Babylons als Stadt der Sünde und der
Tyrannei, als Schauplatz der Sprachverwirrung und als Metropole der ewigen
Apokalypse. Hier begeben sich die Besucher auf eine Expedition zu den
geheimnisvollen Quellen dieser Vorstellungen, deren Entstehung und Tradierung
über die Jahrhunderte bis heute." Eine wahre Abenteuerreise wird hier
hinaufbeschworen. An einer Stelle in der Broschüre zur Ausstellung heißt es, es
würden „christlich-alttestamentarische", jüdische und „islamisch-arabische"
Kulturaspekte gezeigt. Was man sich unter „christlich-alttestamentarischer"
Kultur vorstellen soll, bleibt rätselhaft, ist doch der Terminus ein Widerspruch
in sich. Tatsächlich gibt es in der Ausstellung jedoch Fundstücke zu den
jüdischen Aspekten der Kultur Babylons.
Die Verbindung des jüdischen
Volkes mit Babylon ist unter anderem erwähnt im Psalm 137, dessen Text die
Grundlage für den berühmten Gospel „By the rivers of Babylon, where we sat down,
…we were crying" gab. Hier wird ein düsteres Bild des babylonischen
Diasporadaseins gezeichnet. Historisch belegt ist, dass in Folge der Eroberung
Jerusalems durch den babylonischen König Nebukadnezar II. im Jahre 598 vor
unserer Zeitrechnung eine große Gruppe Juden von Jerusalem nach Babylon
verschleppt wurde. Das anfänglich erzwungene Los der Verschleppung ins Exil
wandelte sich jedoch für die Juden bald in eine durchaus positive Lage. So
durfte die jüdische Gemeinde in Babylon innerjüdische Angelegenheiten und
Rechtsstreitigkeiten durch einen „Exilarchen", d.h. einen jüdischen Vertreter
aus dem Geschlecht König Davids regeln lassen, und Kultur und Lehrsamkeit
blühten im toleranten Klima des Zweistromlandes. So konnten die berühmten
Jeschiwot entstehen, in welchen in zuerst mündlicher Tradition die
Torainterpretationen entstanden, die später schriftlich fixiert wurden und den
„Babylonischen Talmud" begründeten.
In der Ausstellung ist dem
babylonischen Talmud auch ein Extraraum gewidmet. Leider herrscht jedoch nicht
nur in dieser Unterabteilung, sondern in der ganzen Ausstellung eine Auswahl,
die sich anscheinend die „babylonische Verwirrung" zum Vorbild genommen hat. So
wird als Anschauungsobjekt für den babylonischen Talmud eine fünfhundert Jahre
alte Torarolle aus dem Jemen gezeigt. Der Bezug der Tora, als der im Talmud
interpretierte Text, scheint bemüht, und es regt sich der Verdacht, dass dieses
Stück, wie viele andere Ausstellungstücke, in unakademisch-lockerer Assoziation
in den Ausstellungsraum integriert wurde, da das Objekt im Museumsinventar nun
einmal gerade vorhanden war.
An anderer Stelle entdeckt der
Besucher in einem Raum über archäologische Fundstücke von Alltagsgegenständen
zwei grob getöpferte Schälchen, in denen in schwarzer Schrift das „Schma Israel"
Gebet in die Rundung der Schalen aufgepinselt wurde. Leider bleiben hier die
angebotenen Erklärungen der Kuratoren wieder einmal – wie auf der Website
versprochen – geheimnisvoll: „Magische Schale mit der Inschrift des jüdischen
Gebetes Höre Israel", heißt es auf dem Text des Erklärungszettelchens. Warum
jedoch das Schälchen als ein „magisches" Objekt interpretiert wurde, oder wie
der Zauber denn funktionieren soll, das bleibt selbst dem interessierten
Besucher verschlossen.
Erschwert wird der Genuss der
jahrtausende alten Fundstücke durch verwirrende Kombinationen in der
Präsentation. So werden beispielsweise ganz vage Assoziationen benutzt, wie
Figuren weiblicher Gottheiten aus dem zweiten Jahrtausend vor unserer
Zeitrechnung mit solchen, die nur halb so alt und kunstgeschichtlich in ganz
andere Kontexte einzuordnen sind. Auch die Beschriftungen wie 2 H. d. 2.Jts. v.
Chr. erschweren den Besucher sein Bestreben, sich einen Überblick zu
verschaffen. Räumlich bedrängt und verwirrt fühlt man sich zudem durch das
Ausstellungsdesign, das die - ja eigentlich großzügigen Hallen des
Pergamon-Museums - in ein Labyrinth aus Gipswänden verwandelt, die zum großen
Teil auch noch rot gestrichen sind und so schon rein optisch die Besucherströme
einzwängen. In der Abteilung „Mythos" geht dann jeder akademische Geist
verloren: hier werden nach Schlagwörtern wie zum Beispiel „die Hure Babylon"
(ein Topos, der im Souvenirshop dann noch einmal marktechnisch groß
ausgeschlachtet wird) wirr Beispiele von Albrecht Dürer bis George Grosz
kombiniert.
Ein Besucher, der das wirklich
beeindruckende Ischtar-Tor, das den Höhepunkt der Ausstellung bildet, noch nie
gesehen hat, wird die Ausstellung vielleicht schätzen. Ein Rezipient jedoch, dem
das Standardinventar der Berliner Museen geläufig ist, mag den Eindruck
gewinnen, dass ihm hier die Werbeagentur des Museums einen Berliner Bären
aufgebunden hat.
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