DAVID: Wie entstand das Jüdische Filmfestival?
M. Kaczek: Unsere Veranstaltung hat 1991 zum ersten Mal
stattgefunden, damals noch unter dem Titel Jüdische Filmwoche. Sie
entstand auf Initiative von Professor Kurt Rosenkranz, der das Institut für
Jüdische Erwachsenenbildung ins Leben rief. Herr Rosenkranz hatte vor, die
Bildungsziele des Instituts auch über das Medium Film zu vermitteln und auf
diese Weise ein größeres Publikum zu erreichen. Als Partner konnte
Frédéric-Gérard Kaczek, mein Ehemann, gewonnen werden. In Brüssel geboren, kam
er 1971 als Kameramann nach Wien, die Heimatstadt seiner Eltern, die von hier
1938 vor der Verfolgung durch das NS-Regime geflohen waren. 1991 erstreckte sich
seine erste Filmveranstaltung über nur fünf Tage, Partner war damals die
Volkshochschule Stöbergasse.
Aufgrund des guten Erfolges konnten wir die Jüdischen
Filmwochen bald auf eine Dauer von zwei Wochen ausweiten. 2002 und 2003
mussten wir aus Budgetgründen pausieren, doch seither machen wir mit viel Elan
weiter.
Otto Tausig in „Love Comes Lately", mit freundlicher
Genehmigung Jüdisches Filmfestival.
DAVID: Woran orientiert sich die Auswahl der Filme? Das
Jüdische Filmfestival legt ja ein durchkomponiertes Programm vor. Orientiert
sich die Gestaltung nach aktuellen Ereignissen?
M. Kaczek: Wir nehmen durchaus Rücksicht auf aktuelle
Ereignisse. So ist im Jahr 2007 eine ganze Reihe bedeutender Persönlichkeiten
des jüdischen Lebens verstorben, und wir hatten einen starken
Programmschwerpunkt „In Memoriam". Zu Beginn der Jüdischen Filmwochen
hatten wir noch jedes Jahr ein Hauptthema: „Die jüdische Frau", „Der jüdische
Humor", und so weiter. Das war, wie sich bald herausstellte, ein zu enges
Korsett. Quelle unserer Inspiration sind die umfangreichen Informationen von
Filmschaffenden, die vor allem im Internet publiziert werden. Viele jüdische
Filmfestivals präsentieren sich hier, und wir studieren sehr genau, was an
welchem Ort gezeigt wird, und mit welchem Erfolg. Außerdem kooperieren wir sehr
gut mit einigen nationalen und internationalen Verleihfirmen, so in Israel oder
in Frankreich, die uns schon auf sehr viele ausgezeichnete Produktionen
aufmerksam gemacht haben.
DAVID: Das Jüdische Filmfestival findet dieses Jahr von
13. bis 27. November statt. Wie wird ihr aktuelles Programm aussehen?
M. Kaczek: Wir sind 2008 gezwungen, ein Sparprogramm zu
präsentieren. Vergangenes Jahr zeigten wir noch 80 Filme an sehr vielen
verschiedenen Spielstätten und mit völlig unterschiedlichen Pogrammschwerpunkten,
heuer werden es nur mehr rund 30 Filme sein. Am 13. November eröffnen wir mit
dem Film Etz Limon/Lemon Tree des israelischen Regisseurs Eran Riklis. Er
wird vermutlich zur Eröffnung kommen – für ihn ist das ein besonderes Ereignis,
seine Mutter stammt ja aus Wien. Aus dem allgemeinen Programm ist mein heuriger
Lieblingsfilm Chasar-menuchah/Restless, den Teddy Kolleks Sohn Amos
drehte. Ein sehr beeindruckender und aufwühlender Film über eine Vater – Sohn –
Beziehung. Ein weiterer „Liebling" von mir ist Sixty Six, ein britischer
Film, in dem es um eine Bar Mitzvah im Jahr 1966 geht, und, vor allem, um
Fußball. Das ist unser persönlicher Beitrag zur EURO 2008, sozusagen eine
Nachschau. Aber mehr möchte ich nicht verraten...
2008 muss natürlich auch das Jahr 1938 ein Thema sein. Wir
haben den Schwerpunkt auf Flucht, Exil und Rückkehr gelegt und uns als
Protagonisten den Schauspieler Otto Tausig ausgesucht. Er wurde 1939 als
Jugendlicher mit einem „Kindertransport" aus Österreich gerettet und ist später
nach Europa zurückgekehrt. Wir zeigen drei Filme von Jan Schütte, die sich mit
jüdischer Thematik auseinander setzen, in zwei spielt Otto Tausig mit. Darüber
hinaus zeigen wir Epsteins Nacht von Urs Egger. Auch hier geht es um das
Thema Rückkehr, Mitte der 1980er Jahre, und um einen Pfarrer, der sich als
ehemaliger KZ-Peiniger herausstellt.
2008 wird natürlich auch 60 Jahre Israel gefeiert, und
wir zeigen das Filmschaffen von Israelis und Palästinensern, zum Beispiel den
Dokumentarfilm Wegwul natan / Borders von Nurit Kedar und Eran Riklis (IL
2000). Wir wollen nicht nur die israelische, sondern eben auch die andere Seite
zeigen, zeigen, dass man gemeinsame Filme machen kann: das ist uns sehr wichtig.
Last, not least, zeigen wir in Kooperation mit dem Filmarchiv Austria
eine Werkschau Sidney M. Goldin und Joseph Seiden. Hier werden
einige Filme in jiddischer Sprache zu sehen sein.
„Der Weg nach Mekka", Ein Film über das Leben von Leopold
Weiß (1900-1992) einen Juden aus Lemberg, der zum Islam konvertierte und die
bekannteste englische Koranübersetzung anfertigte; mit freundlicher Genehmigung
Jüdisches Filmfestival.
DAVID: Wie gestaltet sich die Kooperation mit den
Spielstätten des Jüdischen Filmfestivals?
M. Kaczek: Wir arbeiten ausgezeichnet mit dem
Filmarchiv Austria zusammen, das uns auch das Metro Kino als
Spielstätte zur Verfügung stellt und uns ganz maßgeblich unterstützt. Ich kann
ohne Übertreibung sagen: ohne das Filmarchiv Austria würden wir es nicht
machen. Von 14. bis 20. November bespielen wir zusätzlich das Votivkino,
und vom 21. bis 27. November das De France Kino. Mit allen drei Kinos
arbeiten wir wunderbar zusammen, sie haben tolle Teams und ein großes Interesse
an jüdischen Filmen.
DAVID: Das Jüdische Filmfestival ist seit Jahren sehr
erfolgreich. Von welchen Seiten erhält das Jüdische Filmfestival Unterstützung,
und hat sich diese Unterstützung im Laufe der Jahre gewandelt? Fühlen Sie sich
heute ausreichend unterstützt?
M. Kaczek: Wir werden vor allem Kulturamt der Stadt Wien
und vom Bundesministerium für Unterricht, Kunst und Kultur gefördert. Aber schon
bei der Einreichung des Budgets für 2008 war klar, dass wir zu wenig
Subventionen erhalten werden, um unser Programm durchführen zu können. Deshalb
mussten wir das Programm drastisch reduzieren. Es geht uns hier nicht anders als
anderen Kulturinitiativen: Zuerst wird man zu Tode gelobt, und bei konkreten
Budgetverhandlungen gibt es dann nur Ausweichen, Ausweichen, Ausweichen. Mit
Privatsponsoren haben wir das Problem, dass, wenn immer wir eine Kooperation
vorschlagen, man auf die Viennale verweist, die man ohnehin unterstütze.
Leider haben sich noch keine Partner aus der jüdischen Gemeinde zu einer
Kooperation bereit erklärt. Mit A1 haben wir seit vielen Jahren einen
treuen Sponsor, dem wir wirklich sehr dankbar sind für sein großzügiges
Engagement. Auch die Botschaften der Staaten Israel, Deutschland und der
Niederlande sowie das Polnische Kulturinstitut unterstützen uns vorbildhaft,
übernehmen Transportkosten und bezahlen teilweise die Kosten für Gäste, zum
Beispiel aus Israel. 2008 hoffen wir, die Botschaft des Königreiches Marokko als
Sponsor zu gewinnen. Es ist das erste Mal, dass in Marokko ein Spielfilm über
die Auswanderung der marokkanischen Juden gedreht worden ist, und mit der
Unterstützung der marokkanischen Botschaft möchten wir Regisseur und
Drehbuch-Autorin von Wedaan Umahat/Good Bye Mothers zum Gespräch mit dem
Wiener Publikum einladen.
DAVID: Wie würden Sie die Reichweite des Jüdischen
Filmfestivals einschätzen? Wer ist Ihr Publikum, wo erzielen Sie die größten
Erfolge?
M. Kaczek: Unsere Spielstätten, das Metro Kino,
das Votivkino und das De France haben ihr spezifisches Publikum,
das für uns sehr interessant ist. Es ist eine gute Mischung, vor allem haben
sowohl das Votivkino, als auch das Filmarchiv Austria
unterschiedliches Stammpublikum, das unser Angebot gerne annimmt. Prinzipiell
versuchen wir, für jeden einen Film anzubieten. Wir haben vor allem ein
nichtjüdisches Publikum, viele ältere Leute, aber auch Jugendliche und
Studenten, generell einen sehr breit gestreuten Kreis von Interessenten. Wie in
den Jahren zuvor werden wir auch heuer Schulprogramme für Jugendliche ab 14
anbieten. Neben der Vermittlung von historischem und sozialem Wissen, soll den
Schülerinnen und Schülern auch die Rezeption von Filmbildern im Kino näher
gebracht werden. Es ist ein schönes Erlebnis, wenn Leute auf uns zukommen und
sich bedanken: Da haben wir so viel dazu gelernt, sagen sie. Das ist wunderbar.
Es erstaunt mich immer wieder, wie hoch die Akzeptanz ist, obwohl wir die Filme
ja in Originalsprache mit englischen Untertiteln zeigen. Trotzdem herrscht reges
Interesse. Die Leute haben Lust auf die Originalfassung! Das zeugt von hohem
Qualitätsbewusstsein.
DAVID: Hat das Jüdische Filmfestival schon Zukunftspläne
für die kommenden Jahre?
M. Kaczek: Für uns ist eines klar: Die Erwartungen des
Publikums an das Jüdische Filmfestival sollen weiterhin erfüllt werden.
Das Interview führte Tina Walzer.