Die Geschichte der jüdischen Gemeinde in Österreich ist
untrennbar mit der österreichischen Geschichte verbunden. Kulturell,
künstlerisch, wirtschaftlich und gesellschaftlich baut Österreichs Identität auf
der innewohnenden Partnerschaft mit seinen jüdischen Mitbürgern auf. Welch
wesentlichen Beitrag das Judentum zur Entwicklung unserer gemeinsamen Heimat
geleistet hat, wird in vielfältiger Hinsicht deutlich.
Jedoch nicht immer wurde das Werk der vielen großartigen
Künstler und der Beitrag der jüdischen Gemeinde so geschätzt, wie wir dies heute
tun. In einer der dunkelsten Stunden der österreichischen Geschichte haben
Gewalt, Verfolgung und Unrecht Platz gegriffen und unsere humanistischen Werte,
die wir heute hochhalten, schlicht vernichtet. Für uns ist es immens wichtig,
die Vergangenheit zu kennen und aufzuarbeiten, um die Zukunft gestalten zu
können. Für mich sind die Europäische Idee und der gemeinsame Einigungsprozess
ein Garant, diese furchtbaren Ereignisse nie wieder geschehen zu lassen. Europa
ist nicht nur ein geographischer Ort, sondern vielmehr ein gemeinsamer innerer
Auftrag.
Die Vorläuferorganisation der Europäischen Union wurde zwar
anfangs mit einem wirtschaftlichen Gedanken gegründet, es zeigte sich jedoch
sehr bald, dass die Europäische Idee mehr ist, als eine rein wirtschaftliche
Basis. Natürlich ist für Österreich der Faktor Mitgliedschaft in der Europäische
Union wesentlich für seinen wirtschaftlichen Erfolg in den vergangenen Jahren.
Das Zusammenrücken des Kontinents und die EU-Erweiterung auf mittlerweile 27
Staaten haben Österreich in eine besondere Situation gebracht: Durch die
europäische Einigung, liegt Österreich wieder im Herzen Europas. Sowohl die
geographische, als auch die wirtschaftliche Basis sind ausgezeichnet und wurden
aktiv genutzt. Dadurch wurde Österreich innerhalb weniger Jahre zu einem echten
Wirtschaftszentrum und einer Drehscheibe in Zentral- und Mitteleuropa. Unsere
heimischen Unternehmen haben in den vergangenen Jahren Veränderungen nicht als
Gefahr, sondern als große Chance gesehen. Sie haben die Notwendigkeiten der Zeit
erkannt, aktiv zu gestalten und den Mut gehabt, die sich bietenden Gelegenheiten
aktiv zu nutzen. Durch dieses Engagement und das proaktive Aufgreifen der
europäischen Perspektive ist Österreich zu einem der größten Nutznießer der
historischen „Europäisierung" geworden.
Unser Land hat in einer anderen Hinsicht aber noch viel mehr
von der EU profitiert, als im wirtschaftlichen Bereich. Die Europäische Union
hat sich in den vergangenen Jahren als Stabilitäts- und Friedensinstitution
etabliert und uns Österreichern ein Gefühl der Sicherheit gegeben, das für viele
heute schon selbstverständlich ist. Durch diesen gemeinsamen Europäischen
Gedanken sind wir heute in ganz Europa vor Krieg und Gewalt geschützt. Wir
dürfen dennoch nicht die Augen vor künftigen Herausforderungen verschließen. Um
die EU als einmaliges Friedens-, Wohlstands- und Wirtschaftsprojekt voran zu
bringen, müssen wir im Sinne einer starken EU eine neue Wertediskussion führen.
Wir müssen neben dem „Denken in Staaten" auch zu einem „Denken in Kontinenten"
übergehen. Wir müssen das Gemeinsame - auch in den Konfessionen - in den
Vordergrund stellen, die Einzelinteressen einordnen und auch die Voraussetzungen
für ein gemeinsames partnerschaftliches Vorgehen schaffen.
Daher gilt für mich heute mehr denn je, Europa als großes
Ganzes zu sehen und die geeinte österreichische Linie außer Streit zu stellen.
Lassen wir nicht zu, dass Umfragen und kurzfristige Ziele die europäische
Perspektive und Österreichs Position in Europa diktieren. Skepsis und Intoleranz
können wir nur mit offenen Armen und einem deutlichen Bekenntnis zu europäischen
Werten begegnen. Nur durch diese gemeinsame Diskussion über Ziele und Werte
können wir gemeinsam die Europäische Union langfristig und nachhaltig zu einer
Union der Menschen machen. Die wesentliche Herausforderung für die
österreichische Politik sehe ich in einem klaren Bekenntnis der politischen
Verantwortungsträger zur gemeinsamen Europäischen Zukunft und deren engagierter
Vermittlung sowie Kommunikation.
Ich bin daher überzeugt, dass nur ein starkes, von allen
Staaten vereint getragenes Europa die Basis für Frieden, Sicherheit und
Wohlstand sein kann.