Für die Europäische Union stellt der Mittelmeerraum im
Geflecht der internationalen Beziehungen einen wichtigen Bezugsrahmen und eine
bedeutende Dimension in politischer, sicherheitspolitischer, wirtschaftlicher,
kultureller und sozialer Sicht dar. Bereits im Jahr 1995 trug die EU der
Bedeutung des Raumes Rechnung und entwickelte den sogenannten Barcelona-Prozess,
dessen Zielvorgaben jedoch nie erreicht werden konnten. Neben dem weiterhin
ungelösten Nahostkonflikt gab es in der Demokratisierungspolitik noch erhebliche
Abweichungen von den Zielen der Erklärung von Barcelona, wobei das Konzept der
EU, mit positiven Anreizen auf politische Reformbemühungen in den
Mittelmeer-Anrainerstaaten hinzuarbeiten, positiv angenommen wurde. Dennoch
fehlte es der EU bisher an einer kohärenten, umfassenden Mittelmeerstrategie.
Heute, 13 Jahre später, sind die Hoffnungen auf eine wirklich
effektive Mittelmeerpolitik gestiegen. Auf Initiative des französischen
EU-Ratspräsidenten Sarkozy, der bereits während seines
Präsidentschaftswahlkampfes im Jahr 2007 die Schaffung einer Mittelmeerunion zum
erklärten Ziel seiner Präsidentschaft gemacht hatte, wurde bei einem Gipfel in
Paris am 14. Juli 2008 die „Union für das Mittelmeer" ins Leben gerufen.
Entgegen den ursprünglichen Plänen von Sarkozy, eine „Union der
Mittelmeeranrainer" unter französischer Führung zu gründen, wurde nach heftigem
Druck insbesondere aus Deutschland, Spanien, aber auch von Ländern wie der
Türkei, die befürchtete, eine EU-Mitgliedschaft zweiter Klasse zu bekommen,
sowie aus Libyen und Algerien die Union für das Mittelmeer zu einer Initiative
der gesamten EU.
Fakten zur „Union für das Mittelmeer" und ihrer Arbeitsweise
Mitglieder der „Union für das Mittelmeer" werden neben den 27
EU-Mitgliedstaaten Bosnien und Herzegowina, Kroatien, Monaco Montenegro, die
zehn südlichen Mittelmeeranrainer Marokko, Algerien, Tunesien, Ägypten, Israel,
die palästinensischen Gebiete, Libanon, Syrien, die Türkei und Albanien sowie
als nicht an das Mittelmeer angrenzende, aber an der euro-mediterranen
Partnerschaft teilnehmende Staaten Jordanien und Mauretanien sein. Des weiteren
werden die Europäische Kommission und die Arabische Liga an den Treffen der
„Union für das Mittelmeer" teilnehmen.
In der Abschlusserklärung des Gipfeltreffens vom 13. Juli
2008 wurden konkrete Projekte als Ziele der Union für das Mittelmeer genannt:
die Säuberung des Mittelmeers, die Einrichtung von
transnationalen Schifffahrtsstraßen und Autobahnen, die Schaffung eines
gemeinsamen Katastrophenschutzes, ein „mediterraner Solarplan", der als
Energiekonzept in der Region dienen soll, Forschung und Entwicklung im Rahmen
einer euromediterranen Universität mit Sitz in Slowenien, eine mediterrane
Geschäftsentwicklungsinitiative zur Förderung von kleinen und mittleren
Unternehmen.
Als politisches Ziel wurde in der Abschlusserklärung die
Schaffung eines Nahen Ostens frei von Massenvernichtungswaffen formuliert. Die
teilnehmenden Staaten bekräftigten die Notwendigkeit, einen „Raum von Frieden
und Stabilität im Mittelmeer" zu schaffen und lehnten sowohl jede Form von
Terrorismus als auch Versuche, eine Religion oder Kultur mit Terrorismus in
Verbindung zu bringen, ab. In der zentralen Frage zur Lösung des Nahostkonflikts
einigten sich die teilnehmenden Staats- und Regierungschefs auf die
Formulierung, dass man den Friedensprozess zwischen Israel und den
Palästinensern auf Basis des Annapolis-Prozesses unterstützen wolle, ohne
konkrete Ziele oder Lösungsansätze zu nennen. Jedoch wurde ausdrücklich die
Ankündigung, dass Syrien und Israel indirekte Friedensgespräche unter türkischer
Vermittlung begonnen haben, begrüßt.
Zwischen den 43 beteiligten Staaten wird es künftig im
Zweijahresrhythmus Gipfeltreffen der Staats- und Regierungschefs geben, die mit
einer gemeinsamen politischen Deklaration enden und eine Liste von konkreten
Projekten zur Umsetzung in der Region enthalten sollen. Diese Schlussfolgerungen
sollen die Basis eines zweijähriges Arbeitsprogrammes für die „Union für das
Mittelmeer" bilden. Die jährlich stattfindenden Treffen der Außenminister dienen
dazu, den Prozess zu überwachen und die nächsten Treffen der Staats- und
Regierungschefs vorzubereiten sowie, wenn notwendig, neue Projekte abzusegnen.
Der Vorsitz wird gemeinsam von einem EU-Mitglied und einem Mittelmeerpartner
geführt, die erste Co-Präsidentschaft wurde von Frankreichs Präsident Sarkozy
und dem ägyptischen Präsidenten Mubarak übernommen. Der Bestellungsmechanismus
der „europäischen" Co-Präsidentschaft orientiert sich an der
EU-Ratspräsidentschaft, während die mediterrane Co-Präsidentschaft für eine
erneuerbarer Periode von zwei Jahren nach dem Konsensprinzip gewählt wird.
Außerdem werden ein gemeinsames Sekretariat und ein Joint Permanent Committee
(JPC) geschaffen. Dieses JPC hat seinen Sitz in Brüssel und dient der
Vorbereitung der Treffen der Senior Officials. Darüber hinaus dient es gleichsam
als „Frühwarneinheit", sollte eine außergewöhnliche Situation in der Region eine
rasche Konsultation der EuroMed-Partner erfordern.
Themen wie Energie, Sicherheit, Terrorismusbekämpfung,
Immigration und Handel sollen im Zentrum der Diskussionen der Gipfeltreffen
stehen. Weiters wurde der strategischen Bedeutung von Trinkwasser Rechnung
getragen, in dem bei der EuroMed-Ministerkonferenz in Jordanien im Oktober 2008
eine mediterrane Wasserstrategie definiert werden soll, die die Konservierung
der bestehenden Wasserressourcen und eine effiziente und nachhaltige Verwendung
von Wasser regelt. Finanziert wird die Mittelmeerunion mit Geldern aus den
gleichen EU-Töpfen, die bislang in den Barcelona-Prozess flossen. Für den
Zeitraum 2007 bis 2013 sind dafür 16 Milliarden Euro veranschlagt. Bis 2006
hatte die EU im Rahmen des Barcelona-Prozesses etwa 20 Milliarden Euro an
Finanzhilfen bereitgestellt.
Frankreichs neue Diplomatie
Trotz der Tatsache, dass Libyens Staatschef Gaddafi dem
Gipfel aufgrund der in seinen Augen neokolonialistischen Ausrichtung fern blieb,
gelang es Präsident Sarkozy, insbesondere Syrien und Israel an einen Tisch zu
bringen. In einem Gespräch mit dem französischen Fernsehen betonte Syriens
Präsident Assad, dass sein Land bereit sei für normalisierte Beziehungen mit
Israel, immerhin befinden sich die beiden Länder seit 1948 formell im
Kriegszustand. Direkte Gespräche würden aber erst nach den amerikanischen
Präsidentschaftswahlen stattfinden. Darüber hinaus kam es am Rande des Gipfels
zu einem Treffen zwischen Israels Premier Olmert und dem palästinensischen
Präsidenten Abbas, dessen Atmosphäre ebenfalls zu einem positiven Gelingen des
Pariser Gipfels beitrug. Beide Seiten bestätigten, dass sie ernsthaft an einer
Lösung des Konflikts und einem dauerhaften Frieden interessiert seien. Weiters
einigten sich Syrien und Libanon darauf, in ihren Hauptstädten Botschaften
einrichten zu wollen, womit zumindest implizit eine Anerkennung der
libanesischen Unabhängigkeit durch Syrien gegeben scheint. Im Unterschied zu
seinem Vorgänger Chirac, der nach der Ermordung des libanesischen
Premierministers Hariri im Jahr 2005 die diplomatischen Beziehungen mit Libanon
abbrach, scheint Sarkozy der Devise zu folgen, dass in außenpolitischen Fragen
mit jedem geredet werden müsse, auch mit Nichtverbündeten. Mit der
Mittelmeerunion will Sarkozy sein Land international besser positionieren.
Insbesondere durch die EU-Osterweiterung im Jahr 2004 fühlte sich Paris an den
Unionsrand gedrängt und musste zusehen, wie Deutschland eine zunehmend
zentralere Stellung einnahm. Neben geostrategischen spielen auch präzise
wirtschaftliche Überlegungen mit: Schon bei seinen jüngsten Kontaktreisen in die
Maghreb-Staaten 2007, bei denen er für die Schaffung seiner Mittelmeerunion
eintrat, zeigte sich Sarkozy vor allem auch als Vertreter der französische
Nuklear- und Rüstungsindustrie.
Darüber hinaus will Frankreich seinen Einfluss in Nordafrika
und im Nahen Osten stärker betonen und hier auch auf internationaler Ebene eine
Mittlerrolle einnehmen. Hier liegt jedoch auch die Gefahr, dass diese
Initiativen als neue Hegemoniebestrebungen insbesondere in den ehemaligen
Kolonien angesehen werden.
Ein neues „mare nostrum"?
Ob sich aus Präsident Sarkozys „Club Med" eine echte und
funktionierende Partnerschaft entwickelt, wird von der Realisierung der
erwähnten Projekte, insbesondere in Hinblick auf die Infrastruktur und den Abbau
von Handelsschranken abhängen. Auch die im Barcelona-Prozess vorgesehene
Schaffung einer mediterranen Freihandelszone bis 2010 wird von den
Mittelmeer-Anrainerstaaten verstärkt eingefordert werden. Für das Gelingen der
„Union für das Mittelmeer" wird es erforderlich sein, private Mittel zu
gewinnen, denn der Präsident der Europäischen Kommission, José Manuel Barroso,
hat bereits angedeutet, dass man seitens des EU-Haushaltes nicht viel zu
erwarten habe, da für die Europäische Nachbarschaftspolitik nur ca. 50 Millionen
Euro zur Verfügung stünden – ein Tropfen auf den heißen Stein, wenn man
berücksichtigt, dass Milliarden von Euro nötig sind, um die Projekte
abzuschließen. Fraglich bleibt auch, inwiefern wirklich alle EU-Mitgliedstaaten
diese - zumindest in der Entstehungsphase - französische Initiative
unterstützen, und ob auf die französische Ratspräsidentschaft folgende
Präsidentschaften mit dem gleichen Elan agieren werden wie Sarkozy, wenn ihre
nationalen Interessen womöglich in anderen Regionen Europas liegen.
Den symbolischen diplomatischen Gesten des Dialogs und der
Annäherung, die von manchen als ein gutes Omen für die Geburt der neuen „Union
für das Mittelmeer" gesehen werden, steht jedoch der noch immer nicht gelöste
Nahostkonflikt gegenüber. Auch wenn die Treffen in Paris und die Signale
ermutigend sind, so fehlten doch Konzessionen. Europa und die EU müssen sich
bewusst sein, dass das Hauptproblem, die Lösung des Nahostkonflikts, wohl auch
durch die „Union für das Mittelmeer" allein nur schwer zu erreichen sein wird.
Dies hat zur Folge, dass, solange das Nahostproblem nicht wirklich gelöst ist,
weder Israel noch die palästinensischen Gebiete in der Lage sein werden, eine
Co-Präsidentschaft für die „Union für das Mittelmeer" zu stellen. Aufgrund
dieser Tatsache werden auch die arabischen Staaten nur zögerlich an der
Initiative mitarbeiten.
Es bestehen keine Zweifel, dass Europa und die EU im
Mittelmeerraum vitale Interessen haben. Entwicklungen in dieser Region haben
einen viel größeren und auch sichtbareren Einfluss auf die EU als auf die USA.
Gerade deshalb bleibt zu hoffen, dass der „Union für das Mittelmeer" mehr Erfolg
beschieden sein wird, als dem Barcelona-Prozess. Es muss im Interesse der EU
liegen, dass konkrete Projekte mit den Mittelmeerpartnern erarbeitet werden, um
zum einen für Frieden und Stabilität in der Region zu sorgen, und zum anderen,
um als Akteur in der Region wahrgenommen zu werden. Auch wenn man Präsident
Sarkozy vorwerfen könnte, dass er Frankreichs nationale Interessen insbesondere
am Beginn der Debatten über neue Formate der EU-Mittelmeerpolitik in den
Vordergrund gestellt hat, so ist ihm zu gute zu halten, dass einerseits diese
Region wieder verstärkt in den Fokus Europas gerückt ist, und andererseits, dass
er beim Gipfel von Paris Ergebnisse erzielen konnte. Es besteht daher Hoffnung,
dass dieser Schwung auch die mit Sicherheit auf die „Union für das Mittelmeer"
zukommenden Probleme überstehen und zur Schaffung einer nachhaltigen und
umfassenden EU-Mittelmeerpolitik beitragen wird.