Cornelia Ulbert, Sascha Werthes
(Hrsg.): Menschliche Sicherheit – Globale Herausforderungen und regionale
Perspektiven
Baden-Baden: Nomos-Verlag 2008
207 Seiten, verschiedene Tabellen und Graphiken,
Euro 19, 90.-
ISBN: 978-3-8329-3367-8
1994 wurde durch den Bericht der
Vereinten Nationen über die menschliche Entwicklung das Konzept der
„Menschlichen Sicherheit" (Human Security) einer breiteren Öffentlichkeit nahe
gebracht. Dieser Bericht wirkte als intellektueller Ursprung des Konzepts an
sich und auch als Katalysator für eine neue sicherheitspolitische Diskussion.
Auch wenn der Begriff zunächst konzeptionell vage und mehrdeutig war, und
deswegen auch in der akademischen Diskussion auf Zurückhaltung und Skepsis
stieß, weckte er positive Assoziationen und entwickelte sich daher als idealer
Bezugpunkt für Politikformulierungen und politischer Mobilisierung.
Der von Cornelia Ulbert und Sascha
Werthes in der „EINE Welt" Reihe der Stiftung Entwicklung und Frieden
herausgegebene und im Nomos-Verlag erschienene Sammelband ist eine
Bestandsaufnahme und Analyse der vielfältigen und komplexen Dimensionen, Ideen
und Ebenen des Konzepts Menschliche Sicherheit. Menschliche Sicherheit wird im
Band grundsätzlich im Gegensatz zu einem engeren Verständnis des Konzepts in
dreidimensionaler Weise, „Schutz vor Gewalt" (Freedom from Fear), „Schutz vor
Not" (Freedom from Want) und Menschenrechtsschutz (Rule of Law) betrachtet.
Essentiell beim Konzept der Menschlichen Sicherheit ist, dass als Referenzobjekt
für sicherheits- und entwicklungspolitische Überlegungen nicht mehr der
Nationalstaat und seine Territorialität sondern das einzelne Individuum
postuliert wird. Kennzeichnend für das Konzept ist, dass Interdependenzen, wie
zwischen Ökonomie, physischer Sicherheit des Individuums und der Gruppe,
Umwelt-, Ernährungs- und Gesundheitssicherheit oder politischer Sicherheit,
fokussiert auf die Bereiche Sicherheit und Entwicklung, besonders betont werden.
Eben diese Betonung der wechselseitigen Abhängigkeiten und somit Erfassung aller
Dimensionen menschlichen Lebens unter dem Aspekt von Sicherheit wurde von
Kritikern aufgegriffen. Diese „Versicherheitlichung" des menschlichen Lebens
führe dazu, dass Entwicklungs- und/ oder Menschenrechtspolitik nicht mehr von
Sicherheitspolitik getrennt werden könne und es dadurch zu einer völligen
Beliebigkeit in der Interpretation führen könne.
Das Buch gliedert sich neben
Einleitung und einem Ausblick in drei Teile: Im ersten Teil „Das Konzept
menschlicher Sicherheit auf dem Prüfstand" erfolgen Untersuchungen zur
Entstehung und der Bedeutung des Konzepts Menschlicher Sicherheit aus durchaus
kritischer Perspektive und des Einflusses von Gender und Identitäten auf die
kulturelle Konstruktion von Sicherheit sowie Überlegungen hinsichtlich
potentieller normativer Begründungen von menschlicher Sicherheit. In Teil Zwei,
„Menschliche Sicherheit im Spannungsfeld konkurrierender Ansprüche", wird auf
die diversen Schwierigkeiten und Herausforderungen der unterschiedlichen
Konzeptionalisierungsversuche des Konzepts in Hinblick auf die politische
Umsetzung eingegangen. Zentral hierbei sind die Themenbereiche Sicherheit und
Entwicklung, Menschenrechte, Interventionen und das Prinzip „Responsibility to
Protect". Im dritten Teil „Nicht-westliche regionale Perspektiven auf
menschliche Sicherheit" wird die Übertragung des Konzepts Menschliche Sicherheit
auf unterschiedliche Regionen (Afrika, Asien, Lateinamerika, Naher und Mittlerer
Osten) und die jeweilige Ausprägung analysiert, wobei menschliche Sicherheit aus
der unterschiedlicher regionaler Perspektive definiert und das Verhältnis zum
traditionellen Sicherheitsbegriff in der Region oder auch zu Konzepten wie
menschliche Entwicklung dargestellt werden. Kritisch anzumerken ist, dass sich
die Ausführungen zum Nahen und Mittleren Osten ausschließlich auf die arabische
Welt beziehen und hier vor allem auf endogene Faktoren in den arabischen Staaten
in Bezug zum Konzept Menschliche Sicherheit gesetzt werden. Israel als zentraler
Akteur in dieser Region wird unverständlicherweise (es wird auch kein Argument
vorgebracht, warum dies so ist) mit keinem Wort erwähnt. Im abschließenden
Ausblick wird die Frage nach der Zukunftsfähigkeit des Konzepts Menschliche
Sicherheit diskutiert, wobei insbesondere aufgezeigt wird, wie eine
Differenzierung nach Empfindlichkeiten und Verwundbarkeiten dazu beitragen kann,
Abgrenzungsproblematiken zu einer umfassenden Menschenrechtspolitik und dem
Konzept menschlicher Entwicklung zu minimieren. Auch wird dargelegt, wie sich an
Sicherheit orientierte staatlich-autonome Fürsorgepflichten von jenen, bei denen
eine internationale Verantwortlichkeit und in weiterer Folge auch Intervention
zunehmend legitimiert scheint, abgrenzen lassen.
„Menschliche Sicherheit hat als
konzeptionelle Idee ihre Geburt und frühen Kindheitsjahre überlebt. Die
Herausforderung der Jugend beziehungsweise der Adoleszenz, sich für
gestalterische politische Herausforderungen zu konkretisieren und als
wissenschaftlich anwendbares Analysekonzept zu entwickeln, muss sie nun
bewältigen", so Sascha Werthes. Die Aussichten sind gut, denn im Wesentlichen
kann vor dem Hintergrund der verschiedenen Beiträge des Sammelbandes die
Einschätzung gezogen werden, dass das Konzept Menschliche Sicherheit weiterhin
sowohl in der akademischen Diskussion seinen Raum finden als auch als politik-
bzw. anwendungsorientiertes Leitmotiv seine Relevanz beibehalten wird, da es
sich sowohl normativ universell als auch regional spezifisch begründen,
politisch gestalten und akademisch begründen lässt.
Der gelungene Sammelband ist eine
kritische Bestandsaufnahme des Konzepts „Menschliche Sicherheit" und der
zentralen Elemente der um es geführten zum Teil kontrovers geführten Diskussion.
Hierdurch ist er auch ein wichtiger Beitrag für die Weiterentwicklung und
politische Umsetzung des Konzepts Menschliche Sicherheit selbst. Das Buch ist
für im akademischen und/oder im praktischen Bereich tätige Sicherheitspolitiker,
im entwicklungspolischen Bereich oder mit Menschenrechten beschäftigten Personen
sowie StudentInnen als auch interessierte Laien sehr zu empfehlen.