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Elisabeth Kübler:
Philosemitismus im deutschen Protestantismus

Ulrike Zander:Philosemitismus im deutschen Protestantismus nach dem Zweiten Weltkrieg. Begriffliche Dilemmata und auszuhaltende Diskurse am Beispiel der Evangelischen Kirche im Rheinland und in Westfalen.
(Historia profana et ecclesiastica – Geschichte und Kirchengeschichte zwischen Mittelalter und Moderne, Bd. 16)
Berlin: LIT Verlag 2007,
441 Seiten, Euro 39,90.-
ISBN: 3-8258-0359-9

Philosemitismus mag als Begriff in populären Debatten zu Antisemitismus kaum etabliert sein1. Trotzdem setzt sich zunehmend die Erkenntnis durch, dass unreflektierte Liebe zum Judentum oder übersteigerte Israelbegeisterung selten ohne stereotypisierende Bilder auskommen und mehr über philosemitische SprecherInnen als über das Objekt der Zuneigung aussagen. Zu den „Klassikern" unter den philosemitischen Auswüchsen zählt der sogenannte Christlich-Jüdische Dialog, für den die Bezeichnung Christlicher Monolog über Jüdinnen und Juden in vielen Fällen zutreffender wäre.

Die deutsche Historikerin Ulrike Zander legt mit ihrer an der Universität zu Köln angenommenen und nunmehr in Buchform erschienenen Dissertationsschrift „Philosemitismus im deutschen Protestantismus nach dem Zweiten Weltkrieg" eine äußert detailreiche und gut lesbare Auseinandersetzung mit den diesbezüglichen Entwicklungen in der Evangelischen Kirche im Rheinland und in Westfalen vor. Zander zeichnet ein insgesamt freundliches Bild der Bemühungen deutscher evangelischer ChristInnen nach der Shoah. Trotzdem wird deutlich, dass es mit Schuldbekenntnissen in den Fünfziger Jahren nicht getan war. Auch der in den Sechziger Jahren einsetzende Israeltourismus ersparte die schwierige Beschäftigung mit den Antijudaismen Luthers und der Judenmission (die in der westfälischen Evangelischen Kirche selbst nach dem Holocaust noch handlungsleitend war nicht also die eigenen Glaubensgrundlagen, deren judenfeindliche Konzeptionen Ursachen für Jahrhunderte lange Verfolgung, und Wegbereiter des Holocaust. Neue Herausforderungen an das sogenannte christlich-jüdische Verhältnis stellten der Golfkrieg 1991 und die gegen Israel gerichtete Gewalt seit dem Jahr 2000 sowie die Positionierung der christlichen Kirchen zum Islam, aber auch die Integration jüdischer MigrantInnen aus der ehemaligen Sowjetunion. Hier zeigt sich, ob sich Friedensrhetorik und Kulturrelativismus oder die Sicherung der Existenz und Entfaltung jüdischer Gemeinden und des jüdischen Staates durchsetz(t)en konnten.

Was versteht nun Ulrike Zander unter Philosemitismus? Sie leitet das Schlusskapitel folgendermaßen ein: „Den Philosemitismus gibt es nicht. Es mögen viele Erscheinungsformen existieren, die alle auf ein zusammenhängendes Phänomen zurückzuführen sind, aber selbst diese können stark widersprechen. Gemeinsam ist den heterogenen philosemitischen Personengruppen eine anti-antisemitische Einstellung, eine besondere Exponierung des Judentums und der Juden sowie die Überzeugung, sich im wohlwollenden Sinne dafür einzusetzen, was sie selbst als Anliegen der Juden betrachten." (S. 369). Damit korrespondiert auch Zanders Beobachtung, dass es beim Philosemitismus in der Evangelischen Kirche Deutschlands und der Suche nach den jüdischen Wurzeln des Christentums primär um Fragen der christlichen Identität in der postnazistischen TäterInnen- und MitläuferInnengesellschaft geht. Die Gesellschaften für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit, die sich als Konsequenz amerikanischer Entnazifizierungspolitik und Re-Education bildeten, stellten indes für viele christliche Aktive „eine Schablone dar[...], innerhalb derer man sich gesellschaftliche, politische und wirtschaftliche Vorteile versprach" (S. 244), was nichts anderes als eine Prolongierung des antisemitischen Klischees von der angeblichen jüdischen Weltmacht bedeutete.

Ein Element von Zanders globalem Philosemitismusbegriff überrascht hingegen. Als „humanistische Philosemiten" bezeichnet sie jene Menschen die in Abgrenzung vom Christentum „Gleichberechtigung von Juden und Nicht-Juden" fordern und erstere aus „menschenrechtlichen Gründen" unterstützen (S. 60). Eine Einstellung, die kein negatives oder pseudo-positives singling-out gegenüber Jüdinnen und Juden betreibt und diesen vielmehr freie Entfaltungsmöglichkeiten in einer pluralistischen Gesellschaft zugesteht, unter der Sammelbezeichnung Philosemitismus zu subsumieren, nimmt dem Begriff letztlich viel von seiner analytischen Schärfe. Zander unterteilt zudem in unreflektierte und reflektiert-kritische Ausprägungen des Philosemitismus, wobei hinzuzufügen ist, dass Wissen über das Judentum nicht vor stereotypen Bildern, Identifikation oder Projektion schützt.

Das bemerkenswerteste Statement findet sich im Untertitel dieser Publikation: „Begriffliche Dilemmata und auszuhaltende Diskurse". Damit bringt Ulrike Zander ein Hauptproblem christlicher Judentumsliebe auf den Punkt. ChristInnen müssen damit umgehen lernen und es aushalten, dass sich das Judentum theologisch nicht mit dem – um eine christliche Metapher zu gebrauchen – jüngeren Bruder beschäftigt. Während im amtskirchlichen Bereich immerhin seit Jahrzehnten Reflexionsarbeit geleistet wurde, ist im evangelikalen Spektrum die Auffassung verbreitet, dass durch die Aneignung jüdischer Rituale und durch verkitschte Israelbegeisterung die Nachfahren der Nazigeneration am jüdischen Volk Buße tun könnten. Diskutierenswert ist jedoch allemal, ob Kontexte (christlich-)religiöser Zwangsvorstellungen überhaupt der geeignete Rahmen sind, um über die psychischen und gesellschaftlichen Ursachen und Reproduktionsmechanismen von Antisemitismus nachzudenken.

1 Demnächst erscheint ein Sammelband, der sich aus mehreren Blickwinkeln mit Philosemitismus beschäftigt und in dem unter anderem Beiträge von Ulrike Zander und der Verfasserin dieser Rezension enthalten sind. Siehe: Diekmann, Irene A. / Kotowski, Elke-Vera 2008: Geliebter Feind – gehasster Freund: Antisemitismus und Philosemitismus in Geschichte und Gegenwart. Berlin: Verlag für Berlin-Brandenburg.

 
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