Ulrike Zander:Philosemitismus im
deutschen Protestantismus nach dem Zweiten Weltkrieg. Begriffliche Dilemmata und
auszuhaltende Diskurse am Beispiel der Evangelischen Kirche im Rheinland und in
Westfalen.
(Historia profana et ecclesiastica – Geschichte und Kirchengeschichte zwischen
Mittelalter und Moderne, Bd. 16)
Berlin: LIT Verlag 2007,
441 Seiten, Euro 39,90.-
ISBN: 3-8258-0359-9
Philosemitismus mag als Begriff in populären Debatten zu
Antisemitismus kaum etabliert sein1.
Trotzdem setzt sich zunehmend die Erkenntnis durch, dass unreflektierte Liebe
zum Judentum oder übersteigerte Israelbegeisterung selten ohne
stereotypisierende Bilder auskommen und mehr über philosemitische SprecherInnen
als über das Objekt der Zuneigung aussagen. Zu den „Klassikern" unter den
philosemitischen Auswüchsen zählt der sogenannte Christlich-Jüdische Dialog,
für den die Bezeichnung Christlicher Monolog über Jüdinnen und Juden in
vielen Fällen zutreffender wäre.
Die deutsche Historikerin Ulrike Zander legt mit ihrer an der
Universität zu Köln angenommenen und nunmehr in Buchform erschienenen
Dissertationsschrift „Philosemitismus im deutschen Protestantismus nach dem
Zweiten Weltkrieg" eine äußert detailreiche und gut lesbare Auseinandersetzung
mit den diesbezüglichen Entwicklungen in der Evangelischen Kirche im Rheinland
und in Westfalen vor. Zander zeichnet ein insgesamt freundliches Bild der
Bemühungen deutscher evangelischer ChristInnen nach der Shoah. Trotzdem wird
deutlich, dass es mit Schuldbekenntnissen in den Fünfziger Jahren nicht getan
war. Auch der in den Sechziger Jahren einsetzende Israeltourismus ersparte die
schwierige Beschäftigung mit den Antijudaismen Luthers und der Judenmission (die
in der westfälischen Evangelischen Kirche selbst nach dem Holocaust noch
handlungsleitend war nicht also die eigenen Glaubensgrundlagen, deren
judenfeindliche Konzeptionen Ursachen für Jahrhunderte lange Verfolgung, und
Wegbereiter des Holocaust. Neue Herausforderungen an das sogenannte
christlich-jüdische Verhältnis stellten der Golfkrieg 1991 und die gegen Israel
gerichtete Gewalt seit dem Jahr 2000 sowie die Positionierung der christlichen
Kirchen zum Islam, aber auch die Integration jüdischer MigrantInnen aus der
ehemaligen Sowjetunion. Hier zeigt sich, ob sich Friedensrhetorik und
Kulturrelativismus oder die Sicherung der Existenz und Entfaltung jüdischer
Gemeinden und des jüdischen Staates durchsetz(t)en konnten.
Was versteht nun Ulrike Zander unter Philosemitismus? Sie
leitet das Schlusskapitel folgendermaßen ein: „Den Philosemitismus gibt es
nicht. Es mögen viele Erscheinungsformen existieren, die alle auf ein
zusammenhängendes Phänomen zurückzuführen sind, aber selbst diese können stark
widersprechen. Gemeinsam ist den heterogenen philosemitischen Personengruppen
eine anti-antisemitische Einstellung, eine besondere Exponierung des Judentums
und der Juden sowie die Überzeugung, sich im wohlwollenden Sinne dafür
einzusetzen, was sie selbst als Anliegen der Juden betrachten." (S. 369). Damit
korrespondiert auch Zanders Beobachtung, dass es beim Philosemitismus in der
Evangelischen Kirche Deutschlands und der Suche nach den jüdischen Wurzeln des
Christentums primär um Fragen der christlichen Identität in der postnazistischen
TäterInnen- und MitläuferInnengesellschaft geht. Die Gesellschaften für
Christlich-Jüdische Zusammenarbeit, die sich als Konsequenz amerikanischer
Entnazifizierungspolitik und Re-Education bildeten, stellten indes für viele
christliche Aktive „eine Schablone dar[...], innerhalb derer man sich
gesellschaftliche, politische und wirtschaftliche Vorteile versprach" (S. 244),
was nichts anderes als eine Prolongierung des antisemitischen Klischees von der
angeblichen jüdischen Weltmacht bedeutete.
Ein Element von Zanders globalem Philosemitismusbegriff
überrascht hingegen. Als „humanistische Philosemiten" bezeichnet sie jene
Menschen die in Abgrenzung vom Christentum „Gleichberechtigung von Juden und
Nicht-Juden" fordern und erstere aus „menschenrechtlichen Gründen" unterstützen
(S. 60). Eine Einstellung, die kein negatives oder pseudo-positives singling-out
gegenüber Jüdinnen und Juden betreibt und diesen vielmehr freie
Entfaltungsmöglichkeiten in einer pluralistischen Gesellschaft zugesteht, unter
der Sammelbezeichnung Philosemitismus zu subsumieren, nimmt dem Begriff
letztlich viel von seiner analytischen Schärfe. Zander unterteilt zudem in
unreflektierte und reflektiert-kritische Ausprägungen des Philosemitismus, wobei
hinzuzufügen ist, dass Wissen über das Judentum nicht vor stereotypen Bildern,
Identifikation oder Projektion schützt.
Das bemerkenswerteste Statement findet sich im Untertitel
dieser Publikation: „Begriffliche Dilemmata und auszuhaltende Diskurse". Damit
bringt Ulrike Zander ein Hauptproblem christlicher Judentumsliebe auf den Punkt.
ChristInnen müssen damit umgehen lernen und es aushalten, dass sich das Judentum
theologisch nicht mit dem – um eine christliche Metapher zu gebrauchen –
jüngeren Bruder beschäftigt. Während im amtskirchlichen Bereich immerhin
seit Jahrzehnten Reflexionsarbeit geleistet wurde, ist im evangelikalen Spektrum
die Auffassung verbreitet, dass durch die Aneignung jüdischer Rituale und durch
verkitschte Israelbegeisterung die Nachfahren der Nazigeneration am jüdischen
Volk Buße tun könnten. Diskutierenswert ist jedoch allemal, ob Kontexte
(christlich-)religiöser Zwangsvorstellungen überhaupt der geeignete Rahmen sind,
um über die psychischen und gesellschaftlichen Ursachen und
Reproduktionsmechanismen von Antisemitismus nachzudenken.
1 Demnächst erscheint ein Sammelband, der sich aus mehreren Blickwinkeln mit
Philosemitismus beschäftigt und in dem unter anderem Beiträge von Ulrike Zander
und der Verfasserin dieser Rezension enthalten sind. Siehe: Diekmann, Irene A. /
Kotowski, Elke-Vera 2008: Geliebter Feind – gehasster Freund: Antisemitismus und
Philosemitismus in Geschichte und Gegenwart. Berlin: Verlag für
Berlin-Brandenburg.