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DOLORES & IMPERIO


Kuno Kruse
Die drei Leben des Sylvin Rubinstein
Köln: Verlag Kiepenheuer & Witsch 2000
256 Seiten, gebunden,
DM 38,-/öS 277.-/sFr 37.-
ISBN 3-462-02926-6

Vor einigen Jahren suchte der damalige SPIEGEL-Reporter Kuno Kruse im Auftrag des Magazins nach "Kieztypen", also Persönlichkeiten des Hamburger Viertels St. Pauli. Zufällig stieß er dabei auf einen alten Flamenco-Tänzer namens Sylvin Rubinstein, dessen Leben den Reporter so packte, dass er beim SPIEGEL kündigte, um ein Buch über den Mann und seine Zwillingsschwester Maria zu schreiben.
Ihre Geschichte begann in Rußland. Der Vater von Maria und Sylvin war Fürst Nikolaj Pjetr Dodorow, ein Offizier des Zaren, der während der russischen Revolution fiel. Die Mutter, eine jüdische Tänzerin, floh mit ihren dreijährigen Zwillingen im Jahre 1917 zunächst nach Polen, in die Stadt Brody. Der Schmuck, den die Mutter vor ihrer Flucht in ihre Kleider eingenäht hatte, hielt die Familie über Wasser. Später gingen sie nach Lettland. Dort blieb die tänzerische Begabung der beiden Kinder nicht verborgen, und sie bekamen Unterricht von der berühmten Primaballerina Madame Litwinowa in Riga. Doch der Drill war ihnen zu stark, und sie wandten sich ihrer Leidenschaft, dem Flamenco-Tanz zu.
Als "Imperio & Dolores" traten sie in praktisch ganz Europa auf und begeisterten das Publikum. In Berlin lernten sie die Schauspielerin Sybille Schmitz kennen, die sie vor dem Nationalsozialismus warnte. Als sich Sybille Schmitz 1933 offen gegen Goebbels wandte, bekam sie Berufsverbot. In ihrer Verzweiflung beging sie Selbstmord. Eine Tournee führte die Geschwister Rubinstein sogar in die USA. Obwohl die Menschen dort sie vergötterten, kehrten Maria und Sylvin nach Warschau zurück.
Beide waren auch vom Elend der Obdachlosen, das sie in New York sahen, erschüttert.
Im Jahre 1937 heiratete Sylvin die junge Witwe Sala. Liebevoll kümmerte er sich um die beiden Kinder der Frau. Später wurden Sala und ihre Kleinen von SS-Truppen ermordet.
Der Einmarsch der deutschen Truppen in Polen veränderte das Leben dramatisch. Im Herbst 1940 wurden alle Jüdinnen und Juden in das Warschauer Ghetto getrieben. Sylvin erkannte: "Hier finden wir nur den Tod." Es gelang ihnen zu fliehen und unterzutauchen. Die Geschwister hielten sich mit Tauschgeschäften über Wasser, auch belieferten sie Partisanen und Aufständische mit Waffen. Sylvin landetet einige Male im Gefängnis, wurde aber wieder freigelassen, vor allem durch Fürsprache des deutschen Wehr-Machtsoffiziers Kurt Werner, der viele andere gerettet und Widerstandskämpfer unterstützt hat. Kurt Werner besorgte Sylvin falsche Papiere und schickte ihn unter den Namen "Sylvin Turski" 1942 als ungarischer Ostarbeiter nach Berlin. Sylvin überlebte. Maria wurde ermordet - wie es so furchtbar-banal ausgedrückt werden kann: sie "verschwand" gemeinsam mit ihrer Mutter 1941 in Ostgalizien. Den Tod seiner Malke, wie er sie nannte (Malke ist die jiddische Aussprache der hebräischen Namens Malkah, der "Königin" bedeutet) hat der Bruder nie verkraftet. Nach dem Krieg - in seinem dritten Leben - trat er als "Dolores" auf, niemand ahnte, dass sich ein Mann dahinter verbarg.
Heute lebt Sylvin Rubinstein in einer kleinen Wohnung in Hamburg Altona.
Seine Wohnungsgenossen sind verletzte Tiere, die er gesund gepflegt hat.
Doch auch für menschliche Wesen ist sein Herz offen: Er kümmert sich um bedürftige Menschen, wie zum Beispiel eine alleinerziehende Mutter in seiner Nachbarschaft. Jahrelang half er Flüchtlingen aus aller Welt bei Behördenwegen und im täglichen Kampf des Überlebens.
Jeden Abend tanzt der alte Mann in seiner Wohnung. Da ist seine über alles geliebte Schwester immer dabei und lebt für immer. "Dann bin ich
glücklich."

Monika Kaczek


 

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