Hildegard Kernmayer
Exemplarische Untersuchungen zum literaturästhetischen
und politischen Diskurs der Moderne
Tübingen: Niemeyer Verlag 1998
326 Seiten, öS 1051
ISBN 3-484-65124-5
Die Literaturgeschichte des Feuilletons ist nach
wie vor eines der Desiderate der Germanistik. Dies hebt auch die
Grazer Germanistin Hildegard Kernmayer in ihrer aufschlußreichen
Studie, die sich mit jüdischen Autoren und jüdischen Themen
des klassischen Wiener Feuilletons befaßt, hervor. Eine Schwierigkeit
dabei ist, daß der Textcorpus der Feuilletons, die oft in
schwer zugänglichen, kaum oder nur unter großen Kosten
kopierbaren Tageszeitungen und längst vergriffenen Sammelbänden
erschienen waren, bis heute nicht erhoben ist. Auch Gesamtausgaben
konnten, wie die Beispiele Ferdinand Kürnberger und Theodor
Herzl zeigen, bislang nicht realisiert oder mußten abgebrochen
werden.
Kernmayer analysiert ausführlich die Arbeiten
der klassischen Vertreter der ersten Generation der Wiener Feuilletonisten
Moritz Gottlieb Saphir, Ferdinand Kürnberger, Daniel Spitzer,
Ludwig Speidel, Betty Paoli und Theodor Herzl. Ein wichtiges Kapitel
widmet die Autorin weiters den antisemitischen Klischeevorstellungen
von der "Verjudung" der Moderne und der Presse sowie der
antisemitischen Identifizierung des "Jüdischen" in
der Literatur, die von völkischen Germanisten wie Adolf Bartels
und Wilmont Haacke betrieben wurde. In diesem Zusammenhang spielte,
wie Kernmayer aufzeigt, Karl Kraus mit seiner Trias Heinekritik,
Franzosenkritik, Feuilletonkritik, mit der er diesen Klischees Vorschub
leistete, leider eine verhängnisvolle Rolle.
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