Ein Jahrtausend jüdisch-deutsche Kulturgeschichte
Frank Stern
Berlin: Aufbau-Verlag 2002
239 Seiten, 32 Abbildungen,
gebunden mit Schutzumschlag
€ 20,00/SFR 36,10
ISBN 3-351-02533-5
Die Deutschen haben die merkwürdige Angewohnheit, dass
sie bei allem, was sie tun, sich auch etwas denken.
(Heinrich Heine)
In seinem neuesten Werk, das aus einer Vorlesungsreihe entstanden
ist, behandelt Frank Stern, Professor für Moderne Deutsche
Geschichte, Kulturwissenschaften und Film an der Ben-Gurion
Universität Beer Sheva (Israel), deutsch-jüdische
Kulturgeschichte. Der Autor begreift diese gemeinsame Geschichte
nicht von der Shoah aus, sondern geht auf die historischen
Wurzeln zurück, reflektiert aber auch die Gegenwart jüdischen
Lebens in Deutschland und Österreich. Wie im Vorwort
erwähnt, geht es ihm nicht um Theorien, sondern vor allem
um die Erfahrungen, die Menschen "unterschiedlicher Herkunft
in Deutschland machen konnten, die sie prägten, die zu
Einsichten, Wissen und Bildung führten."
Diese Erfahrungen widerspiegeln sich in den Lebenswegen verschiedenster
Persönlichkeiten, wie dem jüdischen Minnesänger
des 13. Jahrhunderts Süßkind von Trimberg oder
Heinrich Heine. So wie Heine trat auch der Journalist Ludwig
Börne zum Christentum über: "(...) Heine und
Börne (...), die nie so jüdisch waren wie nach ihrer
Konversion." Von Heine stammen auch die Worte: "Denk
ich an Deutschland in der Nacht, dann bin ich um den Schlaf
gebracht. Ich kann nicht mehr die Augen schließen, und
meine heißen Tränen fließen."
Jüdische Frauen wie Henriette Herz und Rahel Varnhagen
wurden durch ihre aufklärerischen Salons berühmt.
Hannah Arendt nannte ihre Biographie über Rahel Varnhagen
"Lebensgeschichte einer deutschen Jüdin aus der
Romantik". Varnhagens Salon war Treffpunkt für Romantiker
und Anhänger des Vormärz, wie Clemens von Brentano,
aber auch Alexander von Humboldt und Ferdinand Lassalle.
Im Laufe der Geschichte taucht, als Gegensatz zur Assimilation,
der Begriff Akkulturation auf. Diese hebt die Unterschiede
zwischen christlicher und jüdischer Lebenswelt nicht
auf, aber verbindet beide Welten miteinander.
Der Schriftsteller Jurek Becker (1937 - 1997) beantwortete
Fragen nach seiner Herkunft lapidar mit dem Satz "Meine
Eltern waren Juden" (...) "Bis heute weiß
ich nicht, welches die Merkmale sind, die einen Menschen jüdisch
sein lassen. Ich weiß, daß andere meinen, solche
Merkmale zu kennen. Ich höre, Jude ist, wer eine jüdische
Mutter hat. (...) Ein Mensch ist, wer Menschen als Eltern
hat, nicht mehr und nicht weniger." Dennoch wurde er
gerade durch die Bücher, die von jüdischen Schicksalen
handeln, berühmt. Das Werk, mit dem er schlagartig bekannt
wurde, basiert eigentlich auf einem Drehbuch, das er 1965
unter dem Titel Jakob der Lügner verfasste. Da dieses
Skript aber nicht angenommen wurde und Jurek Becker zu wütend
war, um es wegzuwerfen, entstand daraus der gleichnamige Roman.
Jakob der Lügner wurde 1974 dann aber doch vom bekannten
Regisseur Frank Beyer verfilmt und als einziger Film in der
Geschichte der DDR für einen Oscar nominiert.
Für Frank Stern ist die deutsch-jüdische Aufklärung
kein abgeschlossenes Projekt. Jede Generation hat heute die
Chance, diese Gedanken weiter zu leben. "Die kulturellen
und künstlerischen Stimmen der Aufklärung, jüdische
und nichtjüdische gleichermaßen, sind Stimmen der
Mitte, des Ausgleichs, wenn diese Mitte als humanistischer
Kern der Gesellschaft verstanden wird, der auch der radikalen
Vitalisierung bedarf."
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