Der Fall Philipp Halsmann.
Martin Pollack
Wien: Paul Zsolnay Verlag 2002
328 Seiten, mit Abbildungen, Hardcover
€ 22,10 (A) / € ca. 21,50 (D) / SFR 37,30
ISBN 3-552-05206-2
"Nie hat das menschliche Gesicht seine Faszination
für mich verloren. Jedes Gesicht, das ich sehe,
scheint das Geheimnis eines anderen Menschen zu verbergen
- und manchmal nur ganz kurz zu enthüllen."
Philipp Halsmann
Martin Pollacks neuestes Werk erzählt klar und
präzis eine wahre Geschichte über Ignoranz,
Schlamperei und Antisemitismus.
Philipp Halsmann wird am 2. Mai 1906 in der lettischen
Hauptstadt Riga in eine jüdische gutbürgerliche
Familie geboren. Sein Vater, Morduch Max Halsmann, ist
ein anerkannter Zahnarzt; seine Mutter Ita ist Lehrerin.
Um Elektrotechnik zu studieren, geht Philipp Halsmann
nach Dresden. Im Spätsommer 1928 trifft der 22jährige
Student seine Familie - Vater, Mutter und die jüngere
Schwester Liuba - in der Nähe von Innsbruck, um
Urlaub zu machen. Bei einer Bergwanderung von Vater
und Sohn im Zillertal bleibt Morduch Halsmann am Weg
etwas zurück, stürzt ab und stirbt an seinen
Verletzungen. Noch am selben Tag wird der Sohn wegen
Mordverdachts verhaftet. Die Tatsache, dass Philipp
Halsmann den Vater nicht in einem Sarg, sondern nach
ostjüdischer Tradition nur in einem einfachen sackartigen
Totenkleid beerdigen will, verbreitet sich wie ein Lauffeuer.
"Ein Sohn, der dem erschlagenen Vater statt einem
ordentlichen Sarg bloß einen schäbigen Sack
gönnen wollte, mußte im erzkatholischen Tirol
naturgemäß Entsetzen und Empörung auslösen."
Obwohl es weder Beweise noch Motive gibt, dass Philipp
Halsmann seinen Vater erschlagen und dann in die Schlucht
geworfen hat, wird er in Innsbruck vor Gericht gestellt.
Zuerst wird er wegen Mordes zu zehn, in einem zweiten
Prozeß wegen Totschlags zu vier Jahren Kerker
verurteilt. Der Fall wird zur Sensation schlechthin
und sorgt für jede Menge - vor allem antisemitische
- Schlagzeilen. Doch es gibt auch Proteste gegen das
Urteil. Der Schriftsteller Jakob Wassermann veröffentlicht
am 27. Oktober 1929 in der Neuen Freien Presse einen
Aufruf mit dem Titel "Offener Brief an den Präsidenten
der Republik", in dem er den Richterspruch von
Innsbruck völlig unbegreiflich nennt und Österreichs
Bundespräsidenten Wilhelm Miklas um Gnade für
den Verurteilten bittet. Einige Tage später erscheint
eine Stellungnahme des Präsidenten, der aber keine
Begnadigung zuläßt und sogar einen möglichen
dritten Prozeß andeutet. Im Jänner 1930 findet
in Wien die Verhandlung über die Nichtigkeitsbeschwerde
statt, bei der das Urteil als rechtskräftig bestätigt
wird. Philipp Halsmann wird in die Strafvollzugsanstalt
nach Stein an der Donau gebracht.
Dank seiner Familie und Freunden wird der Fall international
bekannt gemacht. Persönlichkeiten wie Berta Zuckerkandl,
Thomas Mann und Albert Einstein setzen sich für
den unschuldig Inhaftierten ein. Die Frauenrechtlerin
und Pazifistin Marianne Hainisch sammelt in kurzer Zeit
20.000 Unterschriften, zahlreiche Gnadengesuche aus
dem In- und Ausland treffen am Wiener Ballhausplatz
ein. Am 30. September 1930 wird Philipp Halsmann durch
Präsident Miklas begnadigt, muss aber binnen vierundzwanzig
Stunden Österreich verlassen.
Philipp Halsmann zieht nach Paris, wo er sein Hobby
die Fotografie zu seinem Lebensunterhalt macht. Ab 1932
ist er als professioneller Fotograf etabliert, seine
Arbeiten erscheinen in Vogue und Voilà. Im April
1940 flieht die Familie ohne Philipp Halsmann, der lettischer
Staatsbürger ist und die lettische Quote schon
erschöpft ist, in die USA. Dank der Intervention
Albert Einsteins erhält er ein Notvisum und gelangt
mit Hilfe des von Eleanor Roosevelt organisierten Emergency
Resue Committees auf einem Flüchtlingsschiff über
Lissabon nach New York. Hier wird er als Philippe Halsman
ein berühmter und geschätzter Portraitfotograf
und arbeitet unter anderem für das LIFE-Magazin.
In einer Biografie, die seine Tochter Jane Halsman Bello
1998 herausgegeben hat, wird erzählt, dass er kaum
je über die Vergangenheit sprach. Amerika, das
Land, das ihm Zuflucht bot, wurde zur Heimat. Am 25.
Juni 1979 stirbt Philippe Halsman in New York City.
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