http://david.juden.at  
 
 

unterstützt von:


 

DER MENSCHLICHE MAKEL
Monika Kaczek

Philip Roth
Aus dem Amerikanischen von Dirk van Gunsteren
München/Wien: Carl Hanser Verlag 2002
400 Seiten, gebunden
€ 25,60 (A) / € 24,90 (D) / SFR 42,80
ISBN 3-446-20058-4

Coleman Silk, 71 Jahre alt, unterrichtet seit über zwanzig Jahren klassische Literatur an einem Provinzcollege im Osten der USA. Die Geschichte, die ein Freund Silks erzählt, beginnt 1998, als ganz Amerika wegen der Affäre des damaligen Präsidenten mit einer jungen Praktikantin in eine "Ekstase der Scheinheiligkeit" gerät. "In Amerika war es der Sommer, in dem der Brechreiz zurückkehrte, (...). Ich selbst träumte in diesem Sommer von einem gewaltigen Spruchband, das dadaistisch wie eine Christo-Verpackung von einem Ende des Weißen Hauses zum anderen gespannt war und auf dem stand: HIER LEBT EIN MENSCHLICHES WESEN."
Einige Worte während eines Seminars werden dem Dozenten Silk zum Verhängnis. Zwei Studenten, die zu den Lehrveranstaltungen nie persönlich aufgetaucht sind, bezeichnet er beiläufig als "dunkle Gestalten, die das Seminarlicht scheuen". Da er die Beiden nie kennengelernt hat, kann er nicht ahnen, dass sie Afro-Amerikaner sind. Silk wird des Rassismus beschuldigt, und es beginnt eine Hexenjagd, die seine Frau so mitnimmt, dass sie an einem Schlaganfall stirbt. Daraufhin verläßt Silk freiwillig das College. Zwei Jahre braucht er, um die Geschehnisse zu verarbeiten. In dieser Zeit lernt er Faunia kennen, eine Analphabetin, die im College putzt und nicht einmal halb so alt ist wie er selbst. Auch sie hat ihre Tragödien zu tragen: einen Stiefvater, der sie belästigte, einen Exehemann, der sie schlug, und zwei tote Kinder - beide erstickten, als eine Heizsonne umfiel und Feuer fing. Ihr Exgatte, der psychisch immer noch an den Folgen des Vietnam-Kriegs leidet, spürt das Liebespaar auf, bedroht es. Laut dem Rat seines Anwalts, soll Silk sich, um einen Skandal zu vermeiden, von Faunia trennen. Da wird der Dozent von einer intriganten ehemaligen Collegekollegin denunziert, die in einem anonymen Brief behauptet, dass er eine hilflose, noch dazu analphabetische junge Frau sexuell ausbeute. Dieser Vorwurf findet in den USA der Clinton/Lewinsky-Ära Resonanz.
Doch das zentrale Motiv des Romans ist Silks Geheimnis, das er seit vierzig Jahren mit sich herumträgt. Seit den 50er Jahren gibt er sich als Jude aus - aber er ist in Wirklichkeit afroamerikanischer Abstammung. Da er hellhäutig ist, gelingt es ihm, sich als Weißer auszugeben, was für seine Karriere sehr förderlich ist.
Der Preis für diesen Wechsel der Identität ist allerdings der, dass er die Familie, aus der er stammt, verleugnet und sich komplett von ihr trennt. Der Titel des Buches "Der menschliche Makel" - den Originaltitel "The Human Stain" könnte man auch als "Der menschliche Schandfleck" interpretieren - spricht diese Lebenslüge an. Mit diesem Geheimnis ist er auch seine Ehe eingegangen. Seine Frau und die vier Kinder erfahren nie die Wahrheit.
Einmal mehr zeigt sich Philip Roth als begnadeter Meister der Darstellung menschlicher Schicksale. Jeder einzelne Lebensweg wird respektvoll und eindringlich geschildert. Silks Geschichte wirft die Frage auf, wie ein Mensch seine Identität so vollständig hinter sich lassen kann.
Nur ein Meister wir Philip Roth kann Szenen und Stimmungen anrührend schildern, ohne sie ins Lächerliche oder Kitschige zu ziehen, so zum Beispiel als Coleman Silk über Faunia erzählt: "Abgesehen von der Asche ihrer Kinder, die sie in einer Dose unter ihrem Bett aufbewahrt, ist der einzige Gegenstand von Wert, den sie besitzt, ein 83er Chevy. Das einzige Mal, daß ich sie den Tränen nahe gesehen habe, war, als sie gesagt hat: ‘Ich weiß nicht, was ich mit der Asche machen soll.’"

Zurück

 

 
 
webmaster@david.juden.at

Unterstützt von haGalil.com
haGalil onLine