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GEDICHTE VON EINEM POLNISCHEN JUDEN
Alfred Gerstl

Isachar Falkensohn Behr Hg.
Mit einem Nachwort von Andreas Wittbrodt
Göttingen: Wallstein Verlag 2002
Gebunden, 104 Seiten, € 22.70
ISBN 3-89244-511-7


O wie hold war mein Glück, als es, sein lächelndes
Antlitz wenden, vom irrigen Weg zu kehren mich zwang; nimmt einst das Jüngerchor Dieser Seligen mich mit auf! – Hoffnung, ja, du verheis´st mir es!
Beginnend mit dem Zeitalter der Aufklärung begann die deutsche Sprache und Kultur eine große Anziehungskraft auf das Judentum auszuüben. Von den Aufklärern propagierte Werte wie Menschenwürde oder Toleranz waren nicht an das Religionsbekenntnis gebunden, sondern universell gültig. Und Bildung und Erziehung erlangten einen bis dahin unbekannten Stellenwert, sollten mit ihrer Hilfe doch die Fesseln der Traditionen gesprengt werden.
Akkulturation und Assimilation vieler Juden an die deutsche Kultur waren Phänomene, die sich vor allem in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in großem Ausmaß beobachten ließen. Ab ungefähr den 1830er Jahren leisteten die von immer mehr Juden besuchten Schulen und Universitäten einen wichtigen Beitrag zur Vermittlung und Aneignung dieser Kultur.
Davor handelte es sich bei den in Deutschland assimilierten Juden um Autodidakte. Der bekannteste und für das deutsch-jüdische Zusammenleben wegweisendste war Moses Mendelssohn (1728–1786), ein Zeitgenosse und Bekannter Isachar Falkensohn Behrs. Behr, geboren 1746 entweder in Polen oder Litauen, war der erste jüdische Dichter, der in deutscher Sprache publizierte: 1772 erschienen anonym die "Gedichte von einem pohlnischen Juden" – nur ungefähr vier Jahre, nachdem Behr begonnen hatte, Deutsch zu lernen!
Nach einem kurzen Aufenthalt in Königsberg, in dem er sich zuerst als Kaufmann verdingte, dann mit dem Medizinstudium begann, übersiedelte der Familienvater Behr nach Berlin, wo er in gehobenen gesellschaftlichen Kreisen verkehrte. 1773 zog er ins Kurland, wo er als Arzt tätig war. In der Folge sollte Behr nur noch zweimal dichterisch in Erscheinung treten, einmal mit einem auf deutsch gehaltenen Lobgedicht auf Katharina die Zweite (1781), das andere Mal mit einem auf französisch verfassten, anonym erschienenen Gedichtband (1783). Mittlerweile zum russisch-orthodoxen Glauben übergetreten, um als Arzt praktizieren zu können, starb Behr (wahrscheinlich) 1817 in Weißrussland.
Die in Berlin entstandenen Teile von Behrs schmalem lyrischen Oeuvre wieder ins Licht der Öffentlichkeit zu rücken ist das Verdienst des deutschen Wallstein Verlages. Die Gründe, warum Behr rasch der Vergessenheit anheim fiel, analysiert Andreas Wittbrodt in seinem kundigen, leider jedoch nicht immer stilsicheren Nachwort. Für ihn sind die "Gedichte von einem pohlnischen Juden" sowohl ein Werk der deutschen wie auch der jüdischen Literatur und ein erster lyrischer Versuch eines bikulturellen Brückenschlages.
Eine der Ursachen für die bereits zu seinen Lebzeiten geringe Bekanntheit Behrs liegt wohl in einer kritischen Rezension des jungen Goethe: Der Dichter mache "mit seiner Judenschaft ein Aufsehen", leiste jedoch nicht mehr "als ein Christlicher Etudiant en belles Lettres auch". Ein anderer darin, dass Behr ja gerade bewusst versuchte, sich thematisch wie stilistisch in die Literatur – wie auch in die Gesellschaft – seiner Zeit zu integrieren, vor allem an die sogenannten "Anakreontiker und Preussisch-Patriotischen Lyriker".
Auch wenn er andere Vertreter dieser Schule weder überragt noch er sich hinter seinen Kollegen zu verstecken braucht, wird man sich an Isachar Falkensohn Behr doch hauptsächlich als des ersten in deutscher Sprache publizierenden jüdischen Dichters erinnern.
(...)
Sehe, hinter mich hin, traurigen Thälern zu! –
Ach! kein Heiligthum für Pallas und Delius,
nicht für Eine der Musen,
Einen ländlichen Opferheerd;
Aber, prächtig und stolz, thürmende Tempel, dem
Aberglauben erbaut, himmelan dampfende
Weyrauchoper der Dumheit –
Seh, und schaudere zurück;
Schaue staunend der Kunst stralende Tempel an;
Und den Göttern die Huld dankend erbebt mein Geist;
Streb mit feurigem Eifer
Diesen seligen Gipfel an!

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