http://david.juden.at  
 
 

unterstützt von:


 

JOHANNES POHL (1904 - 1960)
Heimo Gruber

Maria Kühn-Ludewig
Judaist und Bibliothekar im Dienste Rosenbergs.
Eine biographische Dokumentation.
(Kl. Hist. Reihe Band 10. Hrsg. von Raimund Dehmlow)
Hannover: Laurentius Verlag 2000.
Seiten 334 / € 37,90
ISBN 3-931614-10-7

Die deutsche Bibliothekshistorikerin Maria Kühn-Ludewig (Dortmund / Paris) hat mit dieser Monographie Johannes Pohls eine auf längerer Forschungstätigkeit basierende Arbeit vorgelegt, die vor allem durch die Dichte der Quellen besticht, die den außergewöhnlichen Lebensweg des Beschriebenen fast exakt nachvollziehen läßt. Der 1904 geborene Johannes Pohl wuchs in einem Kölner katholischen Milieu auf und scheint schon früh dafür bestimmt geworden zu sein, Priester zu werden. Neben dem theologischen Studium in Bonn (Dissertation 1929: Die Messiaserwartung beim Propheten Ezechiel) diente er als Vikar in einer Essener Pfarre, wo zu seinen Aufgaben vor allem die Leitung des Kolpingvereins zählte. Bereits in der Pfarre versuchte er sich als Bibelexperte zu profilieren. Es war daher nur folgerichtig, daß ihn die Erzdiözese Köln 1929 zu dreijährigen Sprach- und Bibelstudien an das Päpstliche Bibelinstitut nach Rom entsandte. Im Studienschwerpunkt Altes Testament lernte Pohl auch Hebräisch und erwarb ein weiteres Doktorat ("Bibel-Doktor") mit der Arbeit Familie und Gesellschaft in Israel nach den Schriften der Propheten. Als Stipendiat der katholischen Görres-Gesellschaft verbrachte er die Jahre 1931 bis 1934 am Orientalischen Institut der Görres-Gesellschaft in Jerusalem, wo er auch für den Deutschen Verein vom Heiligen Land tätig war.


1934 gab Pohl seinem Leben die erste Wende. Nicht nur, daß er aus dem Klerikerstand ausschied und eine Frau aus der Jerusalemer deutschen Kolonie heiratete, die ihm im Herbst 1934 nach Deutschland folgte. Im Lande selbst eröffneten sich für Pohl durch seine Sprachkenntnis neue Möglichkeiten und er begann 1935 als Referent für Hebraica an der Preußischen Staatsbibliothek in Berlin zu arbeiten. Er war Nutznießer der Entlassung von zwei Kollegen jüdischer Herkunft, von denen einer (Arthur Spanier) später im KZ Bergen-Belsen ermordet werden sollte. Der äußerst ehrgeizige Pohl bekam rasch ein Gespür für das Thema, das bei den Nazis große Konjunktur hatte und ihm Profilierungsmöglichkeiten eröffnete: die sogenannte "Judenfrage". Schon bald tat er sich mit antisemitischen Beiträgen in der Zeitschrift Mitteilungen über die Judenfrage hervor, die vom Institut zum Studium der Judenfrage herausgegeben wurde, das dem Propagandaministerium nahestand. Darunter war auch der Artikel Was ist der Talmud? In der Folge sollte sich Pohl noch öfters in diversen nationalsozialistischen Schriften – darunter auch im berüchtigten Hetzblatt Der Stürmer – als "Experte" für Fragen des Talmud publizistisch betätigen. Der Talmud nahm eine zentrale, hoch emotionalisierende Rolle in der antisemitischen Mythenbildung ein und wurde als zentrale Quelle eines unterstellten "jüdischen Hasses gegen die Nichtjuden" (so Pohl in Der Stürmer 17/1939, Nr.2) denunziert. 1937 wurden, wahrscheinlich vermittelt vom NS-Philosophen Alfred Baeumler, erste Kontakte zum "Amt Rosenberg" geknüpft. Alfred Rosenberg war als Beauftragter des Führers für die Überwachung der gesamten geistigen und weltanschaulichen Schulung und Erziehung der NSDAP bemüht, mit einer Mischung aus Mystik, Rassismus und Pseudowissenschaft den Machtanspruch des Nationalsozialismus ideologisch zu begründen. Die Talente Pohls, die er als vermeintlicher "Kenner" des Judentums in der Propagierung des Antisemitismus entwickelte, kamen dabei Rosenberg und seinen Leuten sehr gelegen. 1938 legte Pohl die bibliothekarische Fachprüfung (Prüfungsarbeit: Führer durch die Bibliotheken Palästinas) ab und unternahm 1939 auch einen Habilitationsversuch an der Universität Berlin für semitische Philologie und Geistesgeschichte des vorderen Orients (Thema: Talmudzensur), der aber jämmerlich scheiterte. Die Gutachter stellten der "wissenschaftlichen" Arbeit Pohls ein vernichtendes ("ungenügend und wertlos") Urteil aus. Mangelnde wissenschaftliche Fähigkeiten kompensierte Pohl mit enormem Publikationsfleiß. Maria Kühn-Ludewig konnte einige Dutzend Veröffentlichungen, vorwiegend in NS-Schriften, nachweisen.

1940 trat Pohl der NSDAP bei und legte ein Talmud-Lexikon vor, das nach persönlicher Durchsicht von Rosenberg noch nicht zur Drucklegung würdig befunden wurde. 1941 erklomm Pohl die nächste Sprosse in der Karriereleiter: In Frankfurt am Main wurde als Teil der als NS-Parteiakademie geplanten "Hohen Schule" Rosenbergs das Institut zur Erforschung der Judenfrage eröffnet. Dort waren die Nationalsozialisten bemüht, alle Gegenstände und Dokumente des "Hauptfeindes" akribisch zu sammeln. Einen der Kernbereiche des Instituts bildete die Bibliothek, deren Aufgaben Rosenberg 1941 in seiner Rede zur Eröffnung umriß: "Die Bibliothek des heute zu eröffnenden Frankfurter Instituts zur Erforschung der Judenfrage ist heute schon die größte der Welt, die sich mit dem Judentum befaßt. Sie wird in den kommenden Jahren noch in ganz entscheidender Weise vergrößert werden. Zahlreiche Forscher werden hier die Möglichkeit erhalten, in planvoller Weise und an Hand unbestechlicher Urkunden und genauester Äußerungen alle Unterlagen durchzuarbeiten, die ein unbestechliches Bild von der Wirksamkeit des Judentums in Europa und namentlich in Deutschland ergeben." (S.136) Die triumphalistische Pose Rosenbergs negierte aber die Tatsache, daß der Bücherbestand des Frankfurter Instituts (350 000) zu diesem Zeitpunkt nicht jenen der Jüdischen National- und Universitätsbibliothek der Hebräischen Universität in Jerusalem erreichte. Pohl selbst hatte diesen in seiner Arbeit über die Bibliotheken Palästinas bereits 1938 mit 360 000 Bänden beziffert. Der Gedanke, daß sich außerhalb des Machtbereiches der Nazis jüdisches Geistesleben entfalten konnte, hatte freilich keinen Platz in der Vorstellungswelt des führenden NS-Ideologen. Im Institut zur Erforschung der Judenfrage war nun Pohl als Bibliothekar tätig. Den Grundbestand der Bibliothek bildete der frühere Judaica-Bestand der Frankfurter Stadtbibliothek, weshalb Pohl noch bis 1943 als Angestellter in Diensten der Stadt Frankfurt geführt wurde. Der Ergänzungsbestand wurde aus geraubten jüdischen Sammlungen bezogen.

Damit begann die dunkelste Periode in Pohls Leben; war er bislang vorwiegend als ideologischer Täter engagiert, so wurde er jetzt selbst als Verfolger aktiv. Als Angehöriger des ERR (Einsatzstab Reichsleiter Rosenberg) bereiste er die von der Wehrmacht eroberten Länder, um die Bibliotheken der jüdischen Gemeinden zu "sichten" und zur Plünderung und zum Abtransport in das Frankfurter Institut bereitzumachen. In dieser Funktion trieb er in Wilna, Saloniki, Minsk, Riga und Kiew sein Unwesen. In Wilna traf er dabei mit dem legendären Ghetto-Bibliothekar Herman Kruk zusammen. Kruk leitete früher eine Arbeiterbibliothek in Warschau und hat ab 1941 die Ghetto-Bibliothek Wilna geführt, die im Dezember 1942 die 100 000ste Buchausleihe feiern konnte. Inmitten der allgemeinen Verzweiflung berühren die anläßlich des Jubiläums überlieferten Worte des Schülers Itzchak Rudashevsky: "Hunderte lesen hier. Das Lesen ist auch mein größtes Vergnügen. Das Buch verbindet uns mit der Zukunft und mit der Welt. Die Ausleihe von 100 000 Büchern ist eine große Sache, und das Ghetto ist mit Recht stolz darauf." Kruk und sein Team mußten, ehe sie selbst ermordet wurden, nun im Auftrag der Nazis ihr eigenes Werk liquidieren. Die Kultur, die Kruk bewahren wollte, will Pohl rauben, um sie anschließend diffamieren zu können. Dem historischen Zusammentreffen der ungleichen Büchermenschen Kruk und Pohl hat der israelische Dramatiker Joshua Sobol in seinem Stück Ghetto zwei Szenen gewidmet.

Insgesamt sollten 550 000 geraubte Bücher aus West-, Ost- und Südeuropa dem Institut zugeführt werden; davon sind 300 000 in Frankfurt angekommen, während der Rest in Berlin und anderen Orten lagerte. In Frankfurt wurden 150 000 Exemplare ausgepackt, aber nur zu einem geringen Teil (27 848 Bände) katalogisiert. Das Institut zur Erforschung der Judenfrage gab auch die Zeitschrift Weltkampf heraus, die für Pohl zum zweiten beruflichen Standbein werden sollte und wo er in dichter Folge antisemitische Artikel veröffentlichte. Anfang 1943 wurde das Bibliothekspersonal des Instituts von der Stadt Frankfurt direkt in den Dienst der NSDAP überstellt. Im Herbst 1943 wechselte Pohl zu Rosenbergs Zeitschrift Weltdienst, wo er die letzten beiden Jahre der NS-Diktatur als führender antisemitischer Propagandapublizist verbrachte. Eine Titelauswahl aus Pohl-Publikationen des Jahres 1944 zeigt die Kontinuität seiner Leitthemen: Tausend Talmudzitate —— Gibt es eine jüdische Religion? Der Talmud als Lehre des Asozialismus in der Geschichte der Menschheit —— Antijüdische Papsterlasse. Zuletzt war er noch als Organisator eines großen antijüdischen Kongresses in Krakau tätig, der jedoch wegen des Kriegsverlaufes nicht mehr stattfinden konnte.

1945 wurde Pohl gefangengenommen und Ende Oktober 1946 aus der Internierungshaft entlassen. Kurz davor war sein Dienstherr Rosenberg als Hauptkriegsverbrecher hingerichtet worden. Im Verfahren vor dem Nürnberger Militärgericht zitierte der amerikanische Ankläger bei der Auflistung der Plünderungsprogramme auch aus dem Bibliotheksbericht Pohls vom 29.April 1943, ohne allerdings den Namen des Verfassers zu erwähnen. Inzwischen absolvierte Pohl bereits die Haftnachprüfung und legte ein geschöntes Publikationsverzeichnis, in dem er die Hetzartikel in NS-Organen verschwieg, vor. Auch in der Frankfurter Stadt- und Universitätsbibliothek wurde nachgeforscht und dort konnte sich niemand an Pohl erinnern. Die Frankfurter Stadtbibliothek wollte ihre Verwicklung in das Institut zur Erforschung der Judenfrage möglichst gering erscheinen lassen; entsprechend wenig wußte man daher den Ermittlern über Pohl zu berichten. Nachdem Pohl, ohne daß jemals ein Gerichtsverfahren gegen ihn stattgefunden hat, früh freigelassen worden war, begab er sich wieder unter die Schirmherrschaft der katholischen Kirche und setzte dort fort, wo er 1934 aufgehört hatte: 1949/50 erschienen mehrere Artikel Pohls in der Publikation des Deutschen Vereins vom Heiligen Land. In seinen Meldedaten aus jener Zeit scheint als Beruf noch immer "Bibliothekar" auf. Ab 1953 fand er eine Beschäftigung als Verlagslektor. Ehrgeiz und Fleiß dürften noch immer reichlich vorhanden gewesen sein, wie eine Stelle aus einem 1956 an den Dechanten seiner früheren Pfarre gerichteten Brief verrät: "... Ich bin seit Jahren führendes Mitglied der Duden-Redaktion in Wiesbaden und darf sagen, daß 90% der Arbeit, die in den beiden letzten Auflagen des Rechtschreibdudens steckt, von mir ist....." Im selben Schreiben bezeichnet er die Verlagsarbeit auch als "im Interesse unserer Kirche" stehend. Aus verständlichen Gründen hat er damals seine Beiträge anonym oder (in populärmedizinischen Werken) unter einem Pseudonym geliefert. 1960 starb Johannes Pohl 56jährig in Wiesbaden

Die Nationalsozialisten wollten das Judentum geistig auslöschen und physisch liquidieren. Kulturelle Zeugnisse des Judentums sollten jedoch für propagandistischen Mißbrauch gesammelt werden. Hier machte sich Johannes Pohl als Publizist des Antisemitismus und als Bücherräuber doppelt schuldig. Dienstbeflissenheit zählte zu den hervorstechendsten Charaktermerkmalen Pohls, die er sowohl für die Kirche als auch die NSDAP eingesetzt hat. Das bibliothekarische Täterprofil jener Zeit war dabei wesentlich unauffälliger als das anderer Personengruppen, wurde doch letztlich das gemacht, was schon davor und auch danach immer zum Handwerk von Bibliothekaren zählte: Sichten, Sammeln und Erschließen. Die akribisch-bürokratisch betriebene Berufsleidenschaft war scheinbar so erschöpfend, daß dabei nachhaltig ausgeblendet werden konnte, daß diese Eigenschaften zu Synonyma für Enteignung und Raub geworden waren. Anders lassen sich wohl die vielen Kontinuitäten in institutionellen und persönlichen Geschichten nicht erklären und auch nicht der Umstand, daß jahrzehntelang über die Verstrickung von Bibliotheken in den Bücherraub einfach hinweggegangen wurde. Auch in Österreich verhielt es sich damit nicht anders. Daß man sich neuerdings verstärkt dieser Geschichte stellt, ist manchmal freilich nur die Folge von berechtigten Restitutionsforderungen.

Maria Kühn-Ludewig zählt zu jenen Bibliothekarinnen, die bereits seit vielen Jahren im Rahmen des deutschen Arbeitskreises kritischer BibliothekarInnen (AKRIBIE) einen Großteil ihres verdienstvollen Engagements der Aufarbeitung von bislang wenig beachteten Sektoren der Geschichte ihres Arbeitsbereiches widmet. Erinnert sei an die von ihr verfassten oder herausgegebenen und zumeist im Laurentius-Verlag erschienenen Publikationen

• Johannes R.Becher – Heinrich F.S.Bachmair. Briefwechsel 1914-1920: Briefe und
Dokumente zur Verlagsgeschichte des Expressionismus. Frankfurt/M. 1987 (Lang Verlag)

• Herman Kruk – Bibliothekar und Chronist im Ghetto Wilna. Hannover 1990

• Herman Kruk. Zwischen den Fronten. Zeugnisse aus den Jahren 1940-1944. Jiddisch-deutsche Ausgabe. Hannover 1990

• Bücher und Bibliotheken in Ghettos und Lagern 1939-1945. Hannover 1991

• "Den Buchmarkt um die besten Werke bereichern." Auf den Spuren des jiddischen TOMOR-Verlags, Wilna 1927-1939. Hannover 1996

• David E.Fishman: Dem Feuer entrissen. Die Rettung jüdischer Kulturschätze in Wilna. Jiddischer und deutscher Text. Hannover 1998

• Displaced Books. Bücherrückgabe aus zweierlei Sicht. Hannover 1999

• Bibliotheksreise nach Warschau und Krakau. Aktuelle Ansichten und Gespräche zur deutsch-polnischen Geschichte. Nürnbrecht 2002 (Kirsch Verlag)

Mit der Biographie von Johannes Pohl hat sie ihre bisher umfassendste Arbeit vorgelegt. Dabei die Grenzen zwischen Opportunismus und Mittäterschaft auszuleuchten, ist ihr nach eigener Aussage auch ein aktuelles Anliegen. Die Bibliotheksgeschichtsschreibung ist jedenfalls um eine wichtige Studie bereichert worden.

Zurück

 

 
 
webmaster@david.juden.at

Unterstützt von haGalil.com
haGalil onLine