Maria Kühn-Ludewig
Judaist und Bibliothekar im Dienste Rosenbergs.
Eine biographische Dokumentation.
(Kl. Hist. Reihe Band 10. Hrsg. von Raimund Dehmlow)
Hannover: Laurentius Verlag 2000.
Seiten 334 / € 37,90
ISBN 3-931614-10-7
Die deutsche Bibliothekshistorikerin Maria Kühn-Ludewig
(Dortmund / Paris) hat mit dieser Monographie Johannes
Pohls eine auf längerer Forschungstätigkeit
basierende Arbeit vorgelegt, die vor allem durch die
Dichte der Quellen besticht, die den außergewöhnlichen
Lebensweg des Beschriebenen fast exakt nachvollziehen
läßt. Der 1904 geborene Johannes Pohl wuchs
in einem Kölner katholischen Milieu auf und scheint
schon früh dafür bestimmt geworden zu sein,
Priester zu werden. Neben dem theologischen Studium
in Bonn (Dissertation 1929: Die Messiaserwartung beim
Propheten Ezechiel) diente er als Vikar in einer Essener
Pfarre, wo zu seinen Aufgaben vor allem die Leitung
des Kolpingvereins zählte. Bereits in der Pfarre
versuchte er sich als Bibelexperte zu profilieren. Es
war daher nur folgerichtig, daß ihn die Erzdiözese
Köln 1929 zu dreijährigen Sprach- und Bibelstudien
an das Päpstliche Bibelinstitut nach Rom entsandte.
Im Studienschwerpunkt Altes Testament lernte Pohl auch
Hebräisch und erwarb ein weiteres Doktorat ("Bibel-Doktor")
mit der Arbeit Familie und Gesellschaft in Israel nach
den Schriften der Propheten. Als Stipendiat der katholischen
Görres-Gesellschaft verbrachte er die Jahre 1931
bis 1934 am Orientalischen Institut der Görres-Gesellschaft
in Jerusalem, wo er auch für den Deutschen Verein
vom Heiligen Land tätig war.
1934 gab Pohl seinem Leben die erste Wende. Nicht nur,
daß er aus dem Klerikerstand ausschied und eine
Frau aus der Jerusalemer deutschen Kolonie heiratete,
die ihm im Herbst 1934 nach Deutschland folgte. Im Lande
selbst eröffneten sich für Pohl durch seine
Sprachkenntnis neue Möglichkeiten und er begann
1935 als Referent für Hebraica an der Preußischen
Staatsbibliothek in Berlin zu arbeiten. Er war Nutznießer
der Entlassung von zwei Kollegen jüdischer Herkunft,
von denen einer (Arthur Spanier) später im KZ Bergen-Belsen
ermordet werden sollte. Der äußerst ehrgeizige
Pohl bekam rasch ein Gespür für das Thema,
das bei den Nazis große Konjunktur hatte und ihm
Profilierungsmöglichkeiten eröffnete: die
sogenannte "Judenfrage". Schon bald tat er
sich mit antisemitischen Beiträgen in der Zeitschrift
Mitteilungen über die Judenfrage hervor, die vom
Institut zum Studium der Judenfrage herausgegeben wurde,
das dem Propagandaministerium nahestand. Darunter war
auch der Artikel Was ist der Talmud? In der Folge sollte
sich Pohl noch öfters in diversen nationalsozialistischen
Schriften darunter auch im berüchtigten
Hetzblatt Der Stürmer als "Experte"
für Fragen des Talmud publizistisch betätigen.
Der Talmud nahm eine zentrale, hoch emotionalisierende
Rolle in der antisemitischen Mythenbildung ein und wurde
als zentrale Quelle eines unterstellten "jüdischen
Hasses gegen die Nichtjuden" (so Pohl in Der Stürmer
17/1939, Nr.2) denunziert. 1937 wurden, wahrscheinlich
vermittelt vom NS-Philosophen Alfred Baeumler, erste
Kontakte zum "Amt Rosenberg" geknüpft.
Alfred Rosenberg war als Beauftragter des Führers
für die Überwachung der gesamten geistigen
und weltanschaulichen Schulung und Erziehung der NSDAP
bemüht, mit einer Mischung aus Mystik, Rassismus
und Pseudowissenschaft den Machtanspruch des Nationalsozialismus
ideologisch zu begründen. Die Talente Pohls, die
er als vermeintlicher "Kenner" des Judentums
in der Propagierung des Antisemitismus entwickelte,
kamen dabei Rosenberg und seinen Leuten sehr gelegen.
1938 legte Pohl die bibliothekarische Fachprüfung
(Prüfungsarbeit: Führer durch die Bibliotheken
Palästinas) ab und unternahm 1939 auch einen Habilitationsversuch
an der Universität Berlin für semitische Philologie
und Geistesgeschichte des vorderen Orients (Thema: Talmudzensur),
der aber jämmerlich scheiterte. Die Gutachter stellten
der "wissenschaftlichen" Arbeit Pohls ein
vernichtendes ("ungenügend und wertlos")
Urteil aus. Mangelnde wissenschaftliche Fähigkeiten
kompensierte Pohl mit enormem Publikationsfleiß.
Maria Kühn-Ludewig konnte einige Dutzend Veröffentlichungen,
vorwiegend in NS-Schriften, nachweisen.
1940 trat Pohl der NSDAP bei und legte ein Talmud-Lexikon
vor, das nach persönlicher Durchsicht von Rosenberg
noch nicht zur Drucklegung würdig befunden wurde.
1941 erklomm Pohl die nächste Sprosse in der Karriereleiter:
In Frankfurt am Main wurde als Teil der als NS-Parteiakademie
geplanten "Hohen Schule" Rosenbergs das Institut
zur Erforschung der Judenfrage eröffnet. Dort waren
die Nationalsozialisten bemüht, alle Gegenstände
und Dokumente des "Hauptfeindes" akribisch
zu sammeln. Einen der Kernbereiche des Instituts bildete
die Bibliothek, deren Aufgaben Rosenberg 1941 in seiner
Rede zur Eröffnung umriß: "Die Bibliothek
des heute zu eröffnenden Frankfurter Instituts
zur Erforschung der Judenfrage ist heute schon die größte
der Welt, die sich mit dem Judentum befaßt. Sie
wird in den kommenden Jahren noch in ganz entscheidender
Weise vergrößert werden. Zahlreiche Forscher
werden hier die Möglichkeit erhalten, in planvoller
Weise und an Hand unbestechlicher Urkunden und genauester
Äußerungen alle Unterlagen durchzuarbeiten,
die ein unbestechliches Bild von der Wirksamkeit des
Judentums in Europa und namentlich in Deutschland ergeben."
(S.136) Die triumphalistische Pose Rosenbergs negierte
aber die Tatsache, daß der Bücherbestand
des Frankfurter Instituts (350 000) zu diesem Zeitpunkt
nicht jenen der Jüdischen National- und Universitätsbibliothek
der Hebräischen Universität in Jerusalem erreichte.
Pohl selbst hatte diesen in seiner Arbeit über
die Bibliotheken Palästinas bereits 1938 mit 360
000 Bänden beziffert. Der Gedanke, daß sich
außerhalb des Machtbereiches der Nazis jüdisches
Geistesleben entfalten konnte, hatte freilich keinen
Platz in der Vorstellungswelt des führenden NS-Ideologen.
Im Institut zur Erforschung der Judenfrage war nun Pohl
als Bibliothekar tätig. Den Grundbestand der Bibliothek
bildete der frühere Judaica-Bestand der Frankfurter
Stadtbibliothek, weshalb Pohl noch bis 1943 als Angestellter
in Diensten der Stadt Frankfurt geführt wurde.
Der Ergänzungsbestand wurde aus geraubten jüdischen
Sammlungen bezogen.
Damit begann die dunkelste Periode in Pohls Leben;
war er bislang vorwiegend als ideologischer Täter
engagiert, so wurde er jetzt selbst als Verfolger aktiv.
Als Angehöriger des ERR (Einsatzstab Reichsleiter
Rosenberg) bereiste er die von der Wehrmacht eroberten
Länder, um die Bibliotheken der jüdischen
Gemeinden zu "sichten" und zur Plünderung
und zum Abtransport in das Frankfurter Institut bereitzumachen.
In dieser Funktion trieb er in Wilna, Saloniki, Minsk,
Riga und Kiew sein Unwesen. In Wilna traf er dabei mit
dem legendären Ghetto-Bibliothekar Herman Kruk
zusammen. Kruk leitete früher eine Arbeiterbibliothek
in Warschau und hat ab 1941 die Ghetto-Bibliothek Wilna
geführt, die im Dezember 1942 die 100 000ste Buchausleihe
feiern konnte. Inmitten der allgemeinen Verzweiflung
berühren die anläßlich des Jubiläums
überlieferten Worte des Schülers Itzchak Rudashevsky:
"Hunderte lesen hier. Das Lesen ist auch mein größtes
Vergnügen. Das Buch verbindet uns mit der Zukunft
und mit der Welt. Die Ausleihe von 100 000 Büchern
ist eine große Sache, und das Ghetto ist mit Recht
stolz darauf." Kruk und sein Team mußten,
ehe sie selbst ermordet wurden, nun im Auftrag der Nazis
ihr eigenes Werk liquidieren. Die Kultur, die Kruk bewahren
wollte, will Pohl rauben, um sie anschließend
diffamieren zu können. Dem historischen Zusammentreffen
der ungleichen Büchermenschen Kruk und Pohl hat
der israelische Dramatiker Joshua Sobol in seinem Stück
Ghetto zwei Szenen gewidmet.
Insgesamt sollten 550 000 geraubte Bücher aus
West-, Ost- und Südeuropa dem Institut zugeführt
werden; davon sind 300 000 in Frankfurt angekommen,
während der Rest in Berlin und anderen Orten lagerte.
In Frankfurt wurden 150 000 Exemplare ausgepackt, aber
nur zu einem geringen Teil (27 848 Bände) katalogisiert.
Das Institut zur Erforschung der Judenfrage gab auch
die Zeitschrift Weltkampf heraus, die für Pohl
zum zweiten beruflichen Standbein werden sollte und
wo er in dichter Folge antisemitische Artikel veröffentlichte.
Anfang 1943 wurde das Bibliothekspersonal des Instituts
von der Stadt Frankfurt direkt in den Dienst der NSDAP
überstellt. Im Herbst 1943 wechselte Pohl zu Rosenbergs
Zeitschrift Weltdienst, wo er die letzten beiden Jahre
der NS-Diktatur als führender antisemitischer Propagandapublizist
verbrachte. Eine Titelauswahl aus Pohl-Publikationen
des Jahres 1944 zeigt die Kontinuität seiner Leitthemen:
Tausend Talmudzitate Gibt es eine jüdische
Religion? Der Talmud als Lehre des Asozialismus in der
Geschichte der Menschheit Antijüdische
Papsterlasse. Zuletzt war er noch als Organisator eines
großen antijüdischen Kongresses in Krakau
tätig, der jedoch wegen des Kriegsverlaufes nicht
mehr stattfinden konnte.
1945 wurde Pohl gefangengenommen und Ende Oktober 1946
aus der Internierungshaft entlassen. Kurz davor war
sein Dienstherr Rosenberg als Hauptkriegsverbrecher
hingerichtet worden. Im Verfahren vor dem Nürnberger
Militärgericht zitierte der amerikanische Ankläger
bei der Auflistung der Plünderungsprogramme auch
aus dem Bibliotheksbericht Pohls vom 29.April 1943,
ohne allerdings den Namen des Verfassers zu erwähnen.
Inzwischen absolvierte Pohl bereits die Haftnachprüfung
und legte ein geschöntes Publikationsverzeichnis,
in dem er die Hetzartikel in NS-Organen verschwieg,
vor. Auch in der Frankfurter Stadt- und Universitätsbibliothek
wurde nachgeforscht und dort konnte sich niemand an
Pohl erinnern. Die Frankfurter Stadtbibliothek wollte
ihre Verwicklung in das Institut zur Erforschung der
Judenfrage möglichst gering erscheinen lassen;
entsprechend wenig wußte man daher den Ermittlern
über Pohl zu berichten. Nachdem Pohl, ohne daß
jemals ein Gerichtsverfahren gegen ihn stattgefunden
hat, früh freigelassen worden war, begab er sich
wieder unter die Schirmherrschaft der katholischen Kirche
und setzte dort fort, wo er 1934 aufgehört hatte:
1949/50 erschienen mehrere Artikel Pohls in der Publikation
des Deutschen Vereins vom Heiligen Land. In seinen Meldedaten
aus jener Zeit scheint als Beruf noch immer "Bibliothekar"
auf. Ab 1953 fand er eine Beschäftigung als Verlagslektor.
Ehrgeiz und Fleiß dürften noch immer reichlich
vorhanden gewesen sein, wie eine Stelle aus einem 1956
an den Dechanten seiner früheren Pfarre gerichteten
Brief verrät: "... Ich bin seit Jahren führendes
Mitglied der Duden-Redaktion in Wiesbaden und darf sagen,
daß 90% der Arbeit, die in den beiden letzten
Auflagen des Rechtschreibdudens steckt, von mir ist....."
Im selben Schreiben bezeichnet er die Verlagsarbeit
auch als "im Interesse unserer Kirche" stehend.
Aus verständlichen Gründen hat er damals seine
Beiträge anonym oder (in populärmedizinischen
Werken) unter einem Pseudonym geliefert. 1960 starb
Johannes Pohl 56jährig in Wiesbaden
Die Nationalsozialisten wollten das Judentum geistig
auslöschen und physisch liquidieren. Kulturelle
Zeugnisse des Judentums sollten jedoch für propagandistischen
Mißbrauch gesammelt werden. Hier machte sich Johannes
Pohl als Publizist des Antisemitismus und als Bücherräuber
doppelt schuldig. Dienstbeflissenheit zählte zu
den hervorstechendsten Charaktermerkmalen Pohls, die
er sowohl für die Kirche als auch die NSDAP eingesetzt
hat. Das bibliothekarische Täterprofil jener Zeit
war dabei wesentlich unauffälliger als das anderer
Personengruppen, wurde doch letztlich das gemacht, was
schon davor und auch danach immer zum Handwerk von Bibliothekaren
zählte: Sichten, Sammeln und Erschließen.
Die akribisch-bürokratisch betriebene Berufsleidenschaft
war scheinbar so erschöpfend, daß dabei nachhaltig
ausgeblendet werden konnte, daß diese Eigenschaften
zu Synonyma für Enteignung und Raub geworden waren.
Anders lassen sich wohl die vielen Kontinuitäten
in institutionellen und persönlichen Geschichten
nicht erklären und auch nicht der Umstand, daß
jahrzehntelang über die Verstrickung von Bibliotheken
in den Bücherraub einfach hinweggegangen wurde.
Auch in Österreich verhielt es sich damit nicht
anders. Daß man sich neuerdings verstärkt
dieser Geschichte stellt, ist manchmal freilich nur
die Folge von berechtigten Restitutionsforderungen.
Maria Kühn-Ludewig zählt zu jenen Bibliothekarinnen,
die bereits seit vielen Jahren im Rahmen des deutschen
Arbeitskreises kritischer BibliothekarInnen (AKRIBIE)
einen Großteil ihres verdienstvollen Engagements
der Aufarbeitung von bislang wenig beachteten Sektoren
der Geschichte ihres Arbeitsbereiches widmet. Erinnert
sei an die von ihr verfassten oder herausgegebenen und
zumeist im Laurentius-Verlag erschienenen Publikationen
Johannes R.Becher Heinrich F.S.Bachmair.
Briefwechsel 1914-1920: Briefe und
Dokumente zur Verlagsgeschichte des Expressionismus.
Frankfurt/M. 1987 (Lang Verlag)
Herman Kruk Bibliothekar und Chronist
im Ghetto Wilna. Hannover 1990
Herman Kruk. Zwischen den Fronten. Zeugnisse
aus den Jahren 1940-1944. Jiddisch-deutsche Ausgabe.
Hannover 1990
Bücher und Bibliotheken in Ghettos und
Lagern 1939-1945. Hannover 1991
"Den Buchmarkt um die besten Werke bereichern."
Auf den Spuren des jiddischen TOMOR-Verlags, Wilna 1927-1939.
Hannover 1996
David E.Fishman: Dem Feuer entrissen. Die Rettung
jüdischer Kulturschätze in Wilna. Jiddischer
und deutscher Text. Hannover 1998
Displaced Books. Bücherrückgabe aus
zweierlei Sicht. Hannover 1999
Bibliotheksreise nach Warschau und Krakau. Aktuelle
Ansichten und Gespräche zur deutsch-polnischen
Geschichte. Nürnbrecht 2002 (Kirsch Verlag)
Mit der Biographie von Johannes Pohl hat sie ihre bisher
umfassendste Arbeit vorgelegt. Dabei die Grenzen zwischen
Opportunismus und Mittäterschaft auszuleuchten,
ist ihr nach eigener Aussage auch ein aktuelles Anliegen.
Die Bibliotheksgeschichtsschreibung ist jedenfalls um
eine wichtige Studie bereichert worden.
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