Zu den Massenverbrechen in Transnistrien 1941-1942.
Hrsg. von Mariana Hausleitner, Brigitte Mihok,
Juliane Wetzel. Reihe Nationalsozialistische
Besatzungspolitik in Europa 1939-1945. Band 10.
Berlin: Metropol Verlag 2002, 180 Seiten.
ISBN 3-932482-43-3.
Wie die Auschwitz-Lüge gibt es auch eine Transnistrien-Lüge.
Ihre Vertreter, die in Deutschland, Italien, Rumänien
und sonstwo auf Tagungen und in verschiedenen neofaschistischen
Publikationen, oft aus dem Bereich ehemaliger Legionäre,
aktiv sind, behaupten nämlich, es habe in den während
des Zweiten Weltkriegs von deutschen und rumänischen
Truppen besetzten Ostgebieten keine Massenvernichtung
der jüdischen Bevölkerung gegeben. Dabei wird
die Existenz von fast 50 Ghettos, 58 Arbeits- und acht
Vernichtungslagern schlichtweg geleugnet.
Noch vor einigen Jahren wurde bei einer von Siemens
geförderten Veranstaltung eines Münchner Vertriebeneninstituts
dem Vorsitzenden der Kommission für ostjüdische
Volkskunde das Wort entzogen, als er die Äußerungen
eines "Referenten" korrigieren wollte und
auf die KZs und Massenerschießungen hinwies. Der
"Referent" hatte zuvor behauptet, in Transnistrien
hätten die rumänischen und deutschen Besatzer
"Kulturarbeit" geleistet. Die Leiterin der
Veranstaltung, eine südostdeutsche Aussiedlerfunktionärin
mit "wissenschaftlichen" Ambitionen, fiel
dem Redner ins Wort und ließ ihn nicht weitersprechen,
wonach er aus Protest die Tagung verließ.
Als Transnistrien benannte man ukrainische Gebietsteile
zwischen den Flüssen Dnjestr und Bug, wohin über
200.000 rumänische Juden aus Bessarabien (dem heutigen
Moldawien), der Bukowina und dem Verwaltungsbezirk Dorohoi
(Nordmoldau) zwangstransportiert wurden. Ihr Schicksal
und das damit verübte Großverbrechen wegzuleugnen,
ist nun insoweit kaum noch möglich, weil jetzt
ein Sammelband vorliegt, der kürzlich im Berliner
Metropol Verlag erschienen ist und die einzelnen Etappen
der Vernichtung sorgfältig dokumentiert.
So zeigt die bekannte Historikerin Mariana Hausleitner
in ihrer fundierten Studie "Großverbrechen
im rumänischen Transnistrien, 1941-1944",
daß der Jurist Gheorghe Alexianu, nachdem er vom
Staatsführer Marschall Ion Antonescu als "Gouverneur"
eingesetzt worden war, diese "neuen Ostgebiete"
zum Massengrab vieler dorthin deportierter Juden, jedoch
auch von Ukrainern, Roma und von Angehörigen einiger
religiöser Gemeinschaften werden ließ.
Als die Sowjets bereits im März 1944, etwa ein
Jahr vor Kriegsende, die Verwaltung des Gebietes übernahmen,
schreibt Hausleitner, teilten sie Transnistrien zwischen
der Ukraine und der Moldawischen Republik auf, ein Zustand,
der sich, sieht man von kleinen Gebietsverschiebungen
und der Ausrufung von neuen Zwergrepubliken ab, im großen
und ganzen kaum verändert hat.
Der Band vereint außerdem Beiträge in deutscher
und englischer Sprache von Wolfgang Benz ("Der
vergessene Holocaust. Der Sonderfall Rumänien:
Okkupation und Verfolgung von Minderheiten im Zweiten
Weltkrieg"), Jean Ancel ("The Jassy Pogrom
June 29, 1941"), Radu Ioanid ("The
Deportation of the Jews to Transnistria"), Andrej
Angrick ("Rumänien, die SS und die Vernichtung
der Juden"), Lya Benjamin ("Die Judenfrage
in Rumänien im Spiegel des Bukarester Tageblatts"),
Hiltrun Glass ("Die Rezeption des Holocaust in
Rumänien, 1944-1947") und Hannelore Baier
("Die Wahrnehmung der Judenverfolgung in Rumänien").
Mit dem tragischen Schicksal der rumänischer Roma
befassen sich die Untersuchungen von Brigitte Mihok
("Die Verfolgung der Roma. Ein verdrängtes
Kapitel der rumänischen Geschichte") und Viorel
Achim ("Die Deportation der Roma nach Transnistrien"),
wo zum erstenmal belegt wird, daß von dieser Bevölkerungsgruppe
in zwei Phasen (im Juni und August 1942 und im September
1942) etwa 25.000 bis 30.000 Menschen, die man als "gefährlich
und unerwünscht" eingestuft hatte, deportiert
wurden; von diesen haben Schätzungen zufolge nur
1500 den Holocaust überlebt.
Einen Beitrag mit besonderem Gewicht, "Gewalt
Kultur. Rumänien, der Krieg und die Juden, Juni
bis Oktober 1941", liefert Armin Heinen. Er definiert
eingangs die Geschichte der Juden in Rumänien,
1940 bis 1944, als "eine Geschichte der Entrechtung,
der Verfolgung, der Vertreibung, des Sterbens",
was auch der Historiker Raul Hilberg 1990 feststellte,
und befaßt sich danach ausführlich mit dem
Pogrom von Dorohoi (1940), das den Holocaust eigentlich
grenzenüberschreitend eingeleitet hat, dem Pogrom
von Jassy, das im Jahr danach, 1941, stattfand sowie
mit dem Vorgehen der Einsatzkommandos bei der "Säuberung
des flachen Landes", wie man die Massenerschießungen
nannte, an denen auch viele junge Männer zwischen
18 und 22 beteiligt waren.
Die Riten der Gewalt und Grausamkeit kannten keine Grenzen:
aus bloßem "Zeitvertreib" wurden orthodoxen
Juden die Barthaare angezündet oder nachdem man
die Schläfenlocken zweier Kinder zusammengebunden
hatte, versuchte man unter Gelächter, diese mit
einem Gewehrkolben wieder zu trennen, Zungen wurden
herausgeschnitten, Genitalien abgetrennt. Das Repertoire
des Verbrechens offenbarte eine unglaubliche Phantasie
bei rumänischen Soldaten und Gendarmen, meist einfache
"Leute aus dem Volk", so daß sie manchmal
selbst "bei den SS-Männern einen denkbar ungünstigen
Eindruck" hinterließen, wie Heinen schreibt.
Der Sammelband bringt anhand von Fakten eine Reihe neuer
Einsichten und Hinweise auf wenig bekannte Ereignisse.
Dabei wendet er sich gleichermaßen an Wissenschaftler,
Studenten und an jene Leser, die immer noch Interesse
an diesem wichtigen Kapitel der europäischen Geschichte
haben.
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