Victor Rusu
Damals im Schtetl. Jüdisches Leben in
Rumänien.
Erlebte und überlieferte Geschichten.
Aus dem Rumänischen von Kathrin Lauer.
Herausgegeben von Erhard Roy Wiehn.
Konstanz: Hartung-Gorre 2002.
182 Seiten, 24,-
ISBN 3-8949-671-9.
Die Juden in Rumänien können auf eine
Geschichte zurückblicken, die heute beinahe 1900 Jahre
umfasst, bedenkt man, daß sich bei der Eroberung Daziens,
105-106 u.Z., unter den römischen Legionären zahlreiche
Soldaten aus Judäa befanden. Grabsteine, Inschriften und
Münzen aus jener Zeit belegen die Existenz jüdischer
Einwohner in der ehemaligen dakischen Hauptstadt
Sarmisegetusa, die während der römischen Herrschaft den
Namen Ulpia Traiana erhielt.
Vor der Schoa lebten im damaligen
Großrumänien über 820.000 Juden. Davon wurden 400.000
von den deutschen Besatzern und den rumänischen
Faschisten ermordet; die Überlebenden - etwa 300.000 -
wanderten zum Großteil nach 1948 aus: meistens nach
Israel und in die USA, so daß es heute im Land nur noch
insgesamt knapp 12.000 Juden, meist ältere Menschen,
gibt.
Der Erinnerung an die moldauischen
Schtetls ("Schtetlech") hat Victor Rusu sein Buch
gewidmet, jenen Menschen, die "gelebt, geliebt, gehofft
und gelitten haben", denn "viele von ihnen sind schon
vor langer Zeit aus dem Leben geschieden, und die Toten
sterben immerzu" und "mit den letzten Juden wird auch
die Erinnerung an sie verschwinden."
Es ist ein Buch wie ein schmales
Fenster, durch das man tief in die Vergangenheit blicken
kann, denn Victor Russus "Schtetl atmet, lebt, liebt,
lacht, weint, träumt und hofft," wie Dr. Mirjam
Bercovici, die Witwe des bekannten Dichters Israel
Bercovici, in ihrem gefühlvollen Nachwort schreibt.
Die Erinnerungsgeschichten sind in
fünf thematische Kapitel gegliedert - "Menschen",
"Berufe", "Dinge", "Gespräche", "Tage" - und werden von
einer Erzählung des Autors ("Menschliche Schicksale")
über den Beginn seiner Schtetl-Aufzeichnungen, einem
Vorwort der Übersetzerin Kathrin Lauer ("Untergegangen
und fast vergessen") und einer "Hommage für das Schtetl
in Rumänien" vom Herausgeber Erhard Roy Wiehn
eingeleitet.
Das Kapitel "Gepräche" vereint
Befragungen, die der Autor - nach der Methode von Oral
History - selbst durchführte, aufzeichnete und manchmal
mit einem ergänzenden Kommentar versah. Seine
Gewährspersonen stammen aus verschiedenen Gegenden
Rumäniens, so z.B. aus Bukarest (Hermann Schweifeld, der
gerade 103 Jahre wurde), Bârlad in der Moldau (Mendel
Goldstein), Oberwischau in der Maramuresch (Asriel
Kreiner), Certeze im Oascher Land (Rosalia Grünfeld) und
Klausenburg in Siebenbürgen (Dr. Eugen Schönzweig, über
den sein Neffe N. Goldhammer berichtete), doch ihre
Schicksale während des Holocaust ähneln sich oft.
Der Wunsch Victor Russus, der nun in Bat Yam (Israel)
lebt, "einen Lichtstrahl auf die Vergangenheit zu
werfen", hat sich durch dieses lebendige, informative
und lesenswerte Buch erfüllt, denn seine "überlieferten
Geschichten" haben eine Kerze entzündet, die lange nicht
verlöschen wird. Ein Verzeichnis ausgewählter Literatur
zum rumänischen Judentum sowie eine umfangreiche Liste
mit Israelia und Judaica, die im Hartung-Gorre Verlag
erschienen ist, vervollständigen den dokumentarischen
Wert dieser Veröffentlichung.