Ilan Beresin
Gerald Lamprecht (Hrsg.),
Jüdisches Leben in der Steiermark.
Marginalisierung Auslöschung Annäherung
(Schriftenreihe des Centrums für Jüdische Studien, Band
5),
Innsbruck Wien München Bozen:
Studienverlag 2004
293 Seiten, EUR 32,00
ISBN: 3-7065-1794-9.
Der vorliegende Sammelband zur
steirisch-jüdischen Geschichte präsentiert erstmals
gesammelt neueste Forschungsergebnisse von Historikern
und Kulturwissenschaftlern aus Österreich und
Deutschland, die sich seit Jahren mit der jüdischen
Geschichte der Steiermark auseinandersetzen. Die
Eckpunkte der steirisch-jüdischen Geschichte vom
Mittelalter bis zur Gegenwart sind wie im Untertitel
vermerkt die Marginalisierung, Auslöschung und
Annäherung. In den Beiträgen folgen die Autoren diesen
Eckpunkten aus unterschiedlichen thematischen wie auch
lokalen Blickwinkeln.
So befassen sich zwei Beiträge mit
dem mittelalterlichen Graz, wobei Markus Wenninger eine
Neubestimmung des jüdischen Viertels in Graz vornimmt,
die entgegen der vorherrschenden Grazer
Stadtgeschichtsschreibung das Judenviertel nicht als
streng abgeschlossenes Ghetto darstellt. Stephan Laux
setzt sich in seinem Beitrag mit dem Ablauf, den
Ursachen und Wirkungen der Vertreibung der Juden durch
Kaiser Maximilian I. im Jahr 1496 auseinander.
Dass es auch ein reges jüdisches
Leben außerhalb der steirischen Landeshauptstadt gegeben
hat, zeigen die beiden Beiträge von Hermann Kurahs und
Michael Schiestl, die sich mit der Geschichte der Juden
von Radkersburg vom Mittelalter bis 1938 bzw. der
neuzeitlichen Geschichte der nach Graz größten jüdischen
Gemeinde der Steiermark, der von Judenburg,
beschäftigen.
Einen thematischen Schwerpunkt legt
das Buch auf die Geschichte der neuzeitlichen jüdischen
Gemeinde von Graz. Erstmals wird darin vom Herausgeber
Gerald Lamprecht die Phase der Wiederansiedlung und die
Gründung der Israelitischen Kultusgemeinde (IKG) von
Graz untersucht. Dabei stellt er u.a. dar, wie sich aus
den Initiativen und Bemühungen von jüdischen Händlern
aus dem benachbarten Ausland allmählich eine Grazer
jüdische Gemeinde formte, die auch eine dem jüdischen
Leben entsprechende religiöse, rituelle und kulturelle
Infrastruktur aufbauen konnte. Dies geschah größtenteils
gegen den Widerstand unterschiedlicher
gesellschaftlicher und politischer Gruppierungen in der
Steiermark und in Wien. Zur Gründung der IKG konnte es
erst nach der rechtlichen Emanzipation der Juden durch
die Bestimmungen des Staatsgrundgesetzes von 1867
kommen. Damit wurde auch der Grundstein für die
Entwicklung eines blühenden jüdischen Lebens in der
Steiermark gelegt.
Dokumentiert wird dieses Leben durch
zwei Beiträge, die sich mit zwei der wichtigsten
jüdischen Vereinen in Graz auseinandersetzen. Heimo
Halbrainer widmet sich der jüdischen Turn- und
Sportbewegung in der Steiermark. Diese hatte ihren
Ausgangspunkt im Aufruf von Max Nordau nach einem
"Muskeljudentum" beim Zweiten Zionistenkongress in Basel
(1898) und konnte bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts
in Graz in Gestalt des Jüdischen Turnvereins ,Makkabi
Fuß fassen. Allerdings sollte der jüdische Sportverein
erst nach dem Ersten Weltkrieg in Form der neu
gegründeten Hakoah zu einem für die jüdische
Bevölkerung von Graz zentralen Ort sportlicher und
kultureller Aktivitäten werden.
Der Loge "Graz" des Unabhängigen
Ordens der B`nai B`rith widmet sich Robert Breitler, der
neben der Geschichte des 1928 gegründeten Vereins auch
eine Sozialgeschichte des Grazer jüdischen Bürgertums
skizziert.
Mit einem Beitrag über "Arisierungen"
in der Steiermark wird ein bislang in der Steiermark
wenig beachteten Kapitel behandelt, wobei Eduard
Staudinger anhand der "Arisierung" der "Maschinenfabrik
Andritz" und dem "Eisen- und Hammerwerk" in Seeberg
sowohl dem "Prozess der Arisierung" nachgeht, wie er
auch eine Typologie der "Ariseure" erstellt.
Einen, die Steiermark als Tatort
betreffenden Aspekt der jüdischen Geschichte beschreibt
Eleonore Lappin. Sie schildert detailliert die
Todesmärsche ungarischer Juden durch die Steiermark am
Ende des zweiten Weltkrieges und beleuchtet damit ein
zum Teil noch unbekanntes Kapitel der Zeit des
Nationalsozialismus.
Die jüngste steirisch-jüdische
Geschichte bearbeiten die beiden Beiträge von Dieter A.
Binder und Gertraud F. Strempfl. Binder bietet dabei
einen Überblick über die jüdische Geschichte der
Steiermark von 1945 bis 2000 und Strempfl analysiert die
Grazer Synagogen des 19. und 20. Jahrhunderts aus kunst-
und architekturhistorischer Perspektive.