Rose Proszowski
Elisabeth Campagner
Europäische Hochschulschriften, Reihe
3, Geschichte
und ihre Hilfswissenschaften. Bd.986
Frankfurt am Main, Berlin, Bern,
Bruxelles, New York,
Oxford, Wien, 2004
389 S., EUR 50,10/US-$ 46,95/L 33.-
ISBN 3-631-50951-O br.
Das Revolutionsjahr 1848 brachte
Umwälzungen auf nahezu allen Gebieten des
Vielvölkerstaates Österreich. Ein wichtiges, in der
Literatur bisher weithin ausgeklammertes Kapitel, das
Verhalten des Judentums innerhalb des
Nationalitätenstreites, behandelt Elisabeth Campagner in
ihrem Buch "Judentum, Nationalitätenprinzip und
Identität Die jüdische Revolutionspresse von 1848".
Die hart umkämpfte "Preßfreiheit"
brachte 1848 auch jüdische Zeitschriften, also von Juden
für Juden geschriebene, hervor. Drei dieser Blätter
vertraten die Interessen fast des gesamten
österreichischen Judentums, bzw. wollten sie diese
vertreten. Dadurch behandelten sie in besonderem Maße
die Kriterien Jüdische Identität und Jüdische
Nationalität.
Es gab Differenzierungen in der
gesetzlichen Behandlung der Juden gegenüber anderen
Einwohnern der Monarchie, wie systemimanente Probleme
bei der Einhebung der Steuern (Lichtsteuer und
Koscherfleischverkehrsteuer), wobei es gravierende
Unterschiede in den diversen Ländern der Monarchie gab.
Eine besondere Rolle innerhalb des Judentums spielten
die "Tolerierten", die eine gewisse Gleichberechtigung
auf Grund des Toleranzpatents von 1782 erlangt hatten.
Diese in Wien ansässigen Familien waren Anhänger der
Aufklärer und der Assimilation. 1826 konnte die Synagoge
in der Seitenstettengasse eingeweiht werden und war bald
ein Zentrum hochgebildeter Rabbiner und berühmter
Kantoren. (Mannheimer, Sulzer).
In Wien ergriff schon am 13.3.1848
Dr.Fischhof, Sekundararzt am Allgemeinen Krankenhaus, im
Ständehaus während einer Versammlung der Stände das
Wort, um die Gründe für die Unzufriedenheit des Volkes
darzulegen. Die Folgen dieser anfangs friedlichen
Versammlung waren nicht abzusehen gewesen: es kam zu
wilden Tumulten und da das Militär Salven in die
Menschenmenge schoss, zu den ersten Toten der
Revolution, darunter 2 Juden. Schon damals war der
Blutzoll, den Juden zu zahlen hatten, hoch höher, als
in anderen Gebieten Europas.
1848 kam erstmals in Österreich eine
breite kirchenfeindliche Bewegung innerhalb großer Teile
der bürgerlichen Intellektuellen bis hin zu
antiklerikalen Positionen auf. An diesen Diskussionen
nahmen jüdische Intellektuelle an prominenter Stelle
regen Anteil.
Auch war die jüdische Beteiligung an
der Schriftstellerpetition um Pressfreiheit hoch. Und
schließlich wurden Dr.Fischhof und sein Mitstreiter,
Dr.Goldmark im Juli 1848 als Abgeordnete einiger Wiener
Vorstadtbezirke in den konstituierenden Reichstag
gewählt.
Nahezu alle jüdischen Politiker des
blutigen Revolutionsjahres neigten in der Praxis zur
Mäßigung, zur Gewaltlosigkeit und daher zu Kompromissen.
Dr.Campagner fand in der
Revolutionspresse aber nicht nur Nachrichten von den
Vorgängen in Wien, sondern auch von den einzelnen
Nationen, in denen es gewaltig gärte. Einige davon
sollen als Beispiele angeführt werden:
- Mähren.
- Hier gab es eine homogene
jüdische Gesellschaft innerhalb des nichtjüdischen
Kleinbürgertums. Gewisse Kreise nutzten in Gemeinden
wie Proßnitz die revolutionäre Stimmung für
Ausschreitungen gegen dort ansässige Juden. Die
jüdische Nationalgarde konnte die Angreifer
erfolgreich abwehren.
- Polen.
- Schon von jeher existierte eine
tiefe Kluft zwischen deutsch- und polnisch fühlenden
Juden. Der von Wien aus gesteuerte Beamtenapparat
war vorwiegend deutsch, ein Teil der Juden in den
Städten assimilierte sich mit ihm. Dazu kam noch der
Kampf zwischen Reform und Orthodoxie. Es hat den
Anschein, dass zwischen deutsch reformiert
intelligent und polnisch orthodox ignorant
unterschieden wurde
- Ungarn
- Obwohl es den äußeren Anschein
hatte, dass es den Juden in Ungarn im Gegensatz zu
anderen Teilen der Monarchie besser ging, fanden in
vielen ungarischen Gemeinden von April bis August
1848 fast ohne Unterbrechung Judenverfolgungen
statt.
- Besonders schlimm war es in
Pressburg, wo die "blutige Osterfeier" besonders
viele Opfer im ehemaligen Ghetto forderte.
Kein Wunder, dass bei der geringen
Homogenität in den Lebensweisen der jüdischen
Bevölkerung im Vielvölkerstaat der Weg zur
Identitätsfindung sehr schwer, ja fast unmöglich war.
Sind alle Juden "Deutsche", sind alle Juden in Ungarn
"Magyaren", gibt es den Begriff des "jüdischen
Österreichers"? Diesen schwierigen Weg zur
Identifikation ging Dr.Elisabeth Campagner durch die
Auswertung aller österreichischen jüdischen Zeitungen
des Jahres 1848 nach das Ergebnis kann sich sehen
lassen. Denn das blendend geschriebene Werk liest sich
stellenweise spannend wie ein Kriminalroman.
Mga.Dr..Elisabeth Campagner, geboren
1938 in Wien, lebte zunächst in Italien und war später
Beamtin im Bundeskanzleramt. Ab 1979 beschäftigte sie
sich im Kulturbereich der Stadt Wien und ab 1988 mit der
Geschichte der Revolution von 1848. Die Autorin betreute
und erfasste das von Herbert Steiner gegründete Archiv
zum Jahre 1848, wofür sie den Theodor-Körner-Preis
erhielt. Es folgten Auszeichnungen durch die Republik
Österreich und die Stadt Wien. Sie studierte
Rechtswissenschaften, Judaistik, Romanistik und
Geschichte.