Am 30. Mai 2004 beging einer der
letzten, europaweit bekannten jiddischen Schriftsteller
seinen 92. Geburtstag: Josef Burg, der heute immer noch
in Czernowitz (Cernivzy) lebt. Geboren wurde er einst in
dem damals vorwiegend jüdischen Marktflecken Wischnitz (Vijnita)
am Tscheremousch. Nach dem Zweiten Weltkrieg verließ er
seine bukowinische Heimat nicht wie viele andere
bekannte deutschschreibende Dichter, z.B. Paul Celan und
Alfred Kittner , und so wurde er "ein jüdischer
Sowjetbürger", um dann weiterhin im ehemaligen
"Klein-Wien des Ostens", wie die Hauptstadt der Bukowina
bis 1918 auch hieß, schriftstellerisch und
journalistisch tätig zu sein.
Es ist ein besonderes Verdienst des
Verlegers Hans Boldt, dass dieser Erzählband nun in
deutscher Übersetzung vorliegt, und, wie der Herausgeber
in einer kurzen Einführung schreibt, Erzählungen
vereint, die bisher noch nicht in deutscher Sprache
erschienen sind. Sie enthalten, wie auch seine
bisherigen Prosatexte, "alle Burgschen Themen:
Überlieferungen aus alter Zeit, der Glaube, das jüdische
Leben in der Bukowina am Rande der Karpaten vor dem
Zweiten Weltkrieg, das Schicksal der Juden während des
Zweiten Weltkrieges und danach, aber auch die jiddische
Sprache und Kultur". Hinzu kommen noch die Erinnerungen
an seine Mutter und Erlebnisse aus der Zeit des
Faschismus.
Die Vorfahren Josef Burgs waren einst
Flößer und Handwerker gewesen, sie lebten seit
Generationen "in Würde und Armut", in jenem Schtetl
Wischnitz, das es heute nicht mehr gibt, da die jüdische
Bevölkerung von den deutschen Truppen vernichtet wurde.
Zurückgeblieben ist nur noch das liebliche Tal mit den
hellen Flußauen, zurückgeblieben ist aber auch die
Erinnerung Josef Burgs eine Erinnerung, in der er, wie
viele ältere Ostjuden, nun beheimatet ist. Und so wurde
in den letzten Jahrzehnten sein Werk zum Denkmal,
errichtet in Liebe, "gesetzt gegen das Vergessen, den
Toten wie ein Stein aufs Grab gelegt", wie er 1992 in
einem Gespräch mit dem Verfasser dieser Zeilen sagte.
"Ich bin in Czernowitz, einem
einstigen geistigen Zentrum des Ostjudentums der einzige
jiddische Schriftsteller, doch ich hoffe, nicht der
letzte gewesen zu sein...", meinte damals Josef Burg,
und fügte noch hinzu: "Denn dos lebn gejt wajtr!" Dieser
Optimismus des Altmeisters, des stillen jiddischen "Schrajber",
zieht sich wie ein feiner unsichtbarer Faden durch sein
gesamtes Werk, denn, so Burg, "Jiddisch, diese Sprache
voll Klang, Humor und Geist, diese Weltsprache des
Judentums, ist noch lebendig: sie wird noch überall...
von Paris bis Johannesburg und New York, gesprochen.
Jeder jiddische Satz aber ist ein Ruf gegen das
Vergessen." So auch vorliegendes Buch, das uns zum
Jubiläum des Autors im Jahr 70 seit seinem
literarischen Debüt in einer vorzüglichen deutschen
Übersetzung und ansprechenden grafischen Gestaltung
erreicht hat.
Im selben Verlag erschien außerdem
unter dem Titel "Irrfahrten ein ostjüdisches Leben"
ein Interview, das Michael Martens 1999 mit Josef Burg
in Czernowitz führte. Darauf sei hier, als ergänzende
Lektüre, hingewiesen.