Das jüdische Leben der Frühen Neuzeit
in den Städten und Territorien des Heiligen Römischen
Reiches ist seit einigen Jahren Gegenstand intensiver
Forschungen. An erster Stelle sind hier die Arbeiten im
Rahmen der seit 1998 bestehenden Forschungsprojekte
"Germania Judaica IV: 1519 bis 1650" und "Austria
Judaica: 1520 bis 1670" zu nennen. In dem zu
besprechenden Buch unternimmt der junge Historiker Peter
Rauscher den geglückten Versuch, die Lebensbedingungen
in der jüdischen Gemeinde von Langenlois im
Zusammenhang mit der Entwicklung sowohl der
niederösterreichischen Landjudenschaft als auch der nach
Prag bedeutendsten jüdischen Gemeinde der habsburgischen
Länder in Wien von ihrer Gründung 1623 bis zu ihrem
Ende 1671 so umfassend, wie es die fragmentarische
Quellenlage zulässt, zu rekonstruieren. Er hat für seine
Ausführungen über die Langenloiser Juden Quellen aus elf
Archiven herangezogen, die im Rahmen des genannten
Projektes "Austria Judaica" von ihm selbst und anderen
zusammengetragen worden sind. Wo die Quellen schweigen,
erlaubt ihm die genaue Kenntnis der umfangreichen
Forschungsliteratur vorsichtige und stets plausible
Analogieschlüsse.
Niederösterreich (Österreich unter
der Enns) war das einzige der österreichischen Erbländer
der Habsburger, in dem sich nach den Vertreibungen und
Pogromen des 14. und 15. Jahrhunderts im Laufe des 16.
und 17. Jahrhunderts in der Landeshauptstadt und in mehr
als 50 weiteren Siedlungen Juden niederlassen und bis
zur neuerlichen Vertreibung von 1670/71 legal leben
konnten. Mit Ausnahme von Wien, wo um 1570 sieben
jüdische Familien als kaiserliche Schutzjuden in die
Stadt aufgenommen wurden und im Sommer 1620 die
unterdessen auf etwa 50 Familien angewachsene Gemeinde
durch Kaiser Ferdinand II. anerkannt wurde, und von
Langenlois war für die Existenz von Juden in
Niederösterreich im 17. Jahrhundert der Wille eines
adeligen Grundherrn, auf seinen Gütern Juden
anzusiedeln, ausschlaggebend. Der landesfürstliche Markt
Langenlois stellte insofern eine Ausnahme dar, als für
die Ansiedlung von Juden hier das positive Resultat der
Verhandlungen zwischen kaiserlichen Schutzjuden aus der
Familie Ries und dem Langenloiser Marktrat im November
1623 entscheidend war. Als die beiden Hofjuden Abraham
und Isak Ries, die sich offenbar niemals persönlich
längerfristig in Langenlois niederließen, vor dem Rat
des Waldviertler Marktes vorsprachen, waren sie bereits
"etablierte Mitglieder der Führungselite der im Aufstieg
begriffenen Wiener Judenschaft" (S. 57). Die
Ausnahmestellung der Langenloiser Juden innerhalb der
niederösterreichischen Landjuden des 17. Jahrhunderts
kommt auch in ihrer außerordentlich hohen Steuerleistung
zum Ausdruck. Peter Rauscher äußert die sehr plausible
Vermutung, dass sich die Langenloiser Juden lieber in
den verkehrsmäßig noch günstiger gelegenen Städten Krems
oder Tulln niedergelassen hätten, was ihnen von den
dortigen Stadträten aber nicht erlaubt wurde.
Abraham und Isak Ries, deren genaue
verwandtschaftliche und geschäftliche Beziehungen nicht
zu ermitteln sind, betätigten sich vor allem im Handel
mit Münzen und Münzmetall, Wein, Tuchen und Luxuswaren,
wobei der auch in Geschäftsbeziehungen zum Kaiserhof und
zum polnischen Königshof stehende Abraham die weiter
gespannten Handelsbeziehungen unterhalten zu haben
scheint. Er war offenbar eine Art Chef und Patron der
weitverzweigten Familie, auf seinen Namen wurden die
Hofjudenprivilegien ausgestellt. Er ist in der
Langenloiser Ansiedlungsurkunde an erster Stelle
genannt, er dürfte aber weiterhin hauptsächlich in Wien
gelebt haben. Isak Ries wohnte abwechselnd in Wien und
in Stein. Auch die tatsächlich in Langenlois lebenden
Juden dürften vom Warenhandel und vom Geldverleih gelebt
haben, was ihnen in der Ansiedlungsurkunde von 1623
ausdrücklich gestattet wurde. In den 1650er und 1660er
Jahren überragte nach Auskunft der Kremser Waagbücher
Salomon Samson alle anderen jüdischen Händler. Er
bildete, wie es scheint, "die Spitze einer jüdischen
Handelspyramide, indem er Waren von [anderen] jüdischen
Händlern aufkaufte und in großem Stil vornehmlich an
christliche Kunden weiterveräußerte" (S. 81). Die
anderen Langenloiser Juden betrieben möglicherweise für
die größeren Händler wie Salamon Samson "zumindest zum
Teil als Hausierer den Detailverkauf der Waren im
Umland, aber auch in Langenlois selbst" (S. 104).
Zu den häufigsten Konflikten zwischen
den Langenloiser Juden und ihren christlichen Nachbarn
gehörten die Beschwerden der christlichen
Fleischhauerzeche wegen des "Fleischstörens" der
örtlichen Juden. Den jüdischen Schächtern wurde
wiederholt unerlaubter Fleischhandel vorgeworfen. Die
einschlägigen Eintragungen in den Langenloiser
Ratsprotokollen lassen unter anderem den Schluss zu,
"dass eine größere Anzahl Langenloiser Christen während
der Fastenzeit Fleisch bei Juden kauften und so das
kirchliche Fastengebot umgingen" (S. 89). Dies könnte
übrigens ein Indiz für das Vorhandensein von
Evangelischen in Langenlois sein, die sich noch um 1660
nicht der von den habsburgischen Landesfürsten für die
landesfürstlichen Städte und Märkte seit dem ausgehenden
16. Jahrhundert und für das gesamte Land seit 1620
diktierten Alternative "Konvertiere oder emigriere!"
gebeugt hatten, jedenfalls aber für die lange, mehrere
Generationen umspannende Dauer des Prozesses der
katholischen Konfessionalisierung.
1638 untersagte der Langenloiser Rat
ausdrücklich das Zusammenleben von Christen und Juden im
selben Haus, was die Vermutung nahelegt, "dass eine
völlige Trennung der Lebenssphären von Juden und
Christen nicht stattgefunden hatte" (S. 113). Sehr
überzeugend resümiert Rauscher zur Frage nach den
Kontakten und Beziehungen zwischen den Langenloiser
Juden und ihrer christlichen Umwelt (S. 115): "Die
Lektüre der Langenloiser Ratsprotokolle erweckt, obwohl
sie fast ausschließlich von Streitfällen berichtet,
nicht den Eindruck, als sei das Zusammenleben von
starken grundsätzlichen Konflikten geprägt gewesen.
Viele der Streitfälle, die vor dem Marktgericht oder dem
Rat landeten, unterschieden sich nicht von
innerchristlichen Fällen. Über das alltägliche Leben
fehlen uns freilich die Quellen. Wir wissen aus
Forschungen zu anderen Regionen, dass im ländlichen
Bereich christlich-jüdische Kontakte auf
unterschiedlichen Ebenen stattfanden. Dazu zählten in
erster Linie die wirtschaftlichen Kontakte auf Wochen-
und Jahrmärkten, aber auch Wirtshausbesuche von Juden
nicht zuletzt zum Zweck, christliche Kunden zu treffen,
sind für andere Orte durchaus belegbar."
In einem eigenen Kapitel befasst sich
Rauscher mit dem jüdischen Generalsteuerpächter Hirschl
Mayr, "eine[r] der schillerndsten Gestalten der
österreichischen Juden des 17. Jahrhunderts" (S. 117).
Hirschl Mayr, der nach einer allerdings sehr
wahrscheinlich unzutreffenden Vermutung David Kaufmanns
aus Langenlois gestammt haben könnte, war in mehrere
Skandale verwickelt und wurde von der älteren jüdischen
Historiographie in den schwärzesten Farben gezeichnet.
Dem Autor gelingt, unter anderem gestützt auf die
Forschungen von Leopold Moses, der Nachweis, "dass die
einseitige Darstellung der älteren Literatur, die
Hirschl Mayr als einen einzelnen großen Bösewicht
schilderte, der die gesamte Wiener und
niederösterreichische Judenschaft tyrannisiert habe,
kaum haltbar ist"; vielmehr sei er "letztendlich kaum
mehr [gewesen] als ein Symbol für die Parteikämpfe
innerhalb der Wiener Judenschaft" (S. 122).
Zum Zeitpunkt ihres Abzuges im Frühjahr 1671 dürfte
die Langenloiser Judenschaft 17 Familien umfasst haben.
Der Großteil der Langenloiser Exulanten wandte sich nach
Mähren, wo sie auf Adelsgütern Unterschlupf fanden, in
erster
Linie in der dietrichsteinschen
Residenzstadt Nikolsburg. Einzelne ehemals Langenloiser
Juden gelangten nach Franken, Polen und Brandenburg.
Abraham Ries, der Sohn des Model Ries, erlangte im Mai
1671 vom brandenburgischen Kurfürsten ein
Generalprivileg für die Ansiedlung von 50 Familien. Im
Sommer dieses Jahres ließen sich etwa zwölf Familien
unter der Führung der ehemaligen Langenloiser Juden
Abraham und Model Ries, Hirschl Lazarus, Benedikt Veit
und von dessen Schwiegervater Jakob Gumprecht in
Frankfurt an der Oder, Züllichau und Berlin nieder.
Model Ries legte in Berlin den jüdischen Friedhof an,
auf dem 1672 als erster Langenloiser Jakob Gumprecht
beerdigt wurde. In Langenlois hinterließen die Juden
offenbar keinerlei dingliche Spuren; nicht einmal ein
einziger Grabstein von dem nachweislich um 1700 noch
vorhandenen Friedhof scheint sich erhalten zu haben.
Peter Rauscher hat ihnen mit seinem nicht nur gelehrten,
sondern auch gut lesbaren Buch, das von einem
Quellenanhang, dem Quellen- und Literaturverzeichnis,
einem Orts- und einem Personenregister sowie zehn (zum
Teil etwas unscharfen) Fotos abgerundet wird, ein
würdiges Denkmal gesetzt.