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LANGENLOIS

Thomas Winkelbauer

 

Peter Rauscher

Eine jüdische Landgemeinde in Niederösterreich im Zeitalter des Dreißigjährigen Krieges

(= Schriftenreihe des Waldviertler Heimatbundes, Bd. 44, Horn-Waidhofen/Thaya: Waldviertler Heimatbund 2004)

184 Seiten, 10 Schwarzweißabbildungen, EUR 15,–

Das jüdische Leben der Frühen Neuzeit in den Städten und Territorien des Heiligen Römischen Reiches ist seit einigen Jahren Gegenstand intensiver Forschungen. An erster Stelle sind hier die Arbeiten im Rahmen der seit 1998 bestehenden Forschungsprojekte "Germania Judaica IV: 1519 bis 1650" und "Austria Judaica: 1520 bis 1670" zu nennen. In dem zu besprechenden Buch unternimmt der junge Historiker Peter Rauscher den geglückten Versuch, die Lebensbedingungen in der jüdischen Gemeinde von Langenlois – im Zusammenhang mit der Entwicklung sowohl der niederösterreichischen Landjudenschaft als auch der nach Prag bedeutendsten jüdischen Gemeinde der habsburgischen Länder in Wien – von ihrer Gründung 1623 bis zu ihrem Ende 1671 so umfassend, wie es die fragmentarische Quellenlage zulässt, zu rekonstruieren. Er hat für seine Ausführungen über die Langenloiser Juden Quellen aus elf Archiven herangezogen, die im Rahmen des genannten Projektes "Austria Judaica" von ihm selbst und anderen zusammengetragen worden sind. Wo die Quellen schweigen, erlaubt ihm die genaue Kenntnis der umfangreichen Forschungsliteratur vorsichtige und stets plausible Analogieschlüsse.

Niederösterreich (Österreich unter der Enns) war das einzige der österreichischen Erbländer der Habsburger, in dem sich nach den Vertreibungen und Pogromen des 14. und 15. Jahrhunderts im Laufe des 16. und 17. Jahrhunderts in der Landeshauptstadt und in mehr als 50 weiteren Siedlungen Juden niederlassen und bis zur neuerlichen Vertreibung von 1670/71 legal leben konnten. Mit Ausnahme von Wien, wo um 1570 sieben jüdische Familien als kaiserliche Schutzjuden in die Stadt aufgenommen wurden und im Sommer 1620 die unterdessen auf etwa 50 Familien angewachsene Gemeinde durch Kaiser Ferdinand II. anerkannt wurde, und von Langenlois war für die Existenz von Juden in Niederösterreich im 17. Jahrhundert der Wille eines adeligen Grundherrn, auf seinen Gütern Juden anzusiedeln, ausschlaggebend. Der landesfürstliche Markt Langenlois stellte insofern eine Ausnahme dar, als für die Ansiedlung von Juden hier das positive Resultat der Verhandlungen zwischen kaiserlichen Schutzjuden aus der Familie Ries und dem Langenloiser Marktrat im November 1623 entscheidend war. Als die beiden Hofjuden Abraham und Isak Ries, die sich offenbar niemals persönlich längerfristig in Langenlois niederließen, vor dem Rat des Waldviertler Marktes vorsprachen, waren sie bereits "etablierte Mitglieder der Führungselite der im Aufstieg begriffenen Wiener Judenschaft" (S. 57). Die Ausnahmestellung der Langenloiser Juden innerhalb der niederösterreichischen Landjuden des 17. Jahrhunderts kommt auch in ihrer außerordentlich hohen Steuerleistung zum Ausdruck. Peter Rauscher äußert die sehr plausible Vermutung, dass sich die Langenloiser Juden lieber in den verkehrsmäßig noch günstiger gelegenen Städten Krems oder Tulln niedergelassen hätten, was ihnen von den dortigen Stadträten aber nicht erlaubt wurde.

Abraham und Isak Ries, deren genaue verwandtschaftliche und geschäftliche Beziehungen nicht zu ermitteln sind, betätigten sich vor allem im Handel mit Münzen und Münzmetall, Wein, Tuchen und Luxuswaren, wobei der auch in Geschäftsbeziehungen zum Kaiserhof und zum polnischen Königshof stehende Abraham die weiter gespannten Handelsbeziehungen unterhalten zu haben scheint. Er war offenbar eine Art Chef und Patron der weitverzweigten Familie, auf seinen Namen wurden die Hofjudenprivilegien ausgestellt. Er ist in der Langenloiser Ansiedlungsurkunde an erster Stelle genannt, er dürfte aber weiterhin hauptsächlich in Wien gelebt haben. Isak Ries wohnte abwechselnd in Wien und in Stein. Auch die tatsächlich in Langenlois lebenden Juden dürften vom Warenhandel und vom Geldverleih gelebt haben, was ihnen in der Ansiedlungsurkunde von 1623 ausdrücklich gestattet wurde. In den 1650er und 1660er Jahren überragte nach Auskunft der Kremser Waagbücher Salomon Samson alle anderen jüdischen Händler. Er bildete, wie es scheint, "die Spitze einer jüdischen Handelspyramide, indem er Waren von [anderen] jüdischen Händlern aufkaufte und in großem Stil vornehmlich an christliche Kunden weiterveräußerte" (S. 81). Die anderen Langenloiser Juden betrieben möglicherweise für die größeren Händler wie Salamon Samson "zumindest zum Teil als Hausierer den Detailverkauf der Waren im Umland, aber auch in Langenlois selbst" (S. 104).

Zu den häufigsten Konflikten zwischen den Langenloiser Juden und ihren christlichen Nachbarn gehörten die Beschwerden der christlichen Fleischhauerzeche wegen des "Fleischstörens" der örtlichen Juden. Den jüdischen Schächtern wurde wiederholt unerlaubter Fleischhandel vorgeworfen. Die einschlägigen Eintragungen in den Langenloiser Ratsprotokollen lassen unter anderem den Schluss zu, "dass eine größere Anzahl Langenloiser Christen während der Fastenzeit Fleisch bei Juden kauften und so das kirchliche Fastengebot umgingen" (S. 89). Dies könnte übrigens ein Indiz für das Vorhandensein von Evangelischen in Langenlois sein, die sich noch um 1660 nicht der von den habsburgischen Landesfürsten für die landesfürstlichen Städte und Märkte seit dem ausgehenden 16. Jahrhundert und für das gesamte Land seit 1620 diktierten Alternative "Konvertiere oder emigriere!" gebeugt hatten, jedenfalls aber für die lange, mehrere Generationen umspannende Dauer des Prozesses der katholischen Konfessionalisierung.

1638 untersagte der Langenloiser Rat ausdrücklich das Zusammenleben von Christen und Juden im selben Haus, was die Vermutung nahelegt, "dass eine völlige Trennung der Lebenssphären von Juden und Christen nicht stattgefunden hatte" (S. 113). Sehr überzeugend resümiert Rauscher zur Frage nach den Kontakten und Beziehungen zwischen den Langenloiser Juden und ihrer christlichen Umwelt (S. 115): "Die Lektüre der Langenloiser Ratsprotokolle erweckt, obwohl sie fast ausschließlich von Streitfällen berichtet, nicht den Eindruck, als sei das Zusammenleben von starken grundsätzlichen Konflikten geprägt gewesen. Viele der Streitfälle, die vor dem Marktgericht oder dem Rat landeten, unterschieden sich nicht von innerchristlichen Fällen. Über das alltägliche Leben fehlen uns freilich die Quellen. Wir wissen aus Forschungen zu anderen Regionen, dass im ländlichen Bereich christlich-jüdische Kontakte auf unterschiedlichen Ebenen stattfanden. Dazu zählten in erster Linie die wirtschaftlichen Kontakte auf Wochen- und Jahrmärkten, aber auch Wirtshausbesuche von Juden nicht zuletzt zum Zweck, christliche Kunden zu treffen, sind für andere Orte durchaus belegbar."

In einem eigenen Kapitel befasst sich Rauscher mit dem jüdischen Generalsteuerpächter Hirschl Mayr, "eine[r] der schillerndsten Gestalten der österreichischen Juden des 17. Jahrhunderts" (S. 117). Hirschl Mayr, der nach einer allerdings sehr wahrscheinlich unzutreffenden Vermutung David Kaufmanns aus Langenlois gestammt haben könnte, war in mehrere Skandale verwickelt und wurde von der älteren jüdischen Historiographie in den schwärzesten Farben gezeichnet. Dem Autor gelingt, unter anderem gestützt auf die Forschungen von Leopold Moses, der Nachweis, "dass die einseitige Darstellung der älteren Literatur, die Hirschl Mayr als einen einzelnen ‚großen Bösewicht‘ schilderte, der die gesamte Wiener und niederösterreichische Judenschaft tyrannisiert habe, kaum haltbar ist"; vielmehr sei er "letztendlich kaum mehr [gewesen] als ein Symbol für die Parteikämpfe innerhalb der Wiener Judenschaft" (S. 122).

Zum Zeitpunkt ihres Abzuges im Frühjahr 1671 dürfte die Langenloiser Judenschaft 17 Familien umfasst haben. Der Großteil der Langenloiser Exulanten wandte sich nach Mähren, wo sie auf Adelsgütern Unterschlupf fanden, in erster

Linie in der dietrichsteinschen Residenzstadt Nikolsburg. Einzelne ehemals Langenloiser Juden gelangten nach Franken, Polen und Brandenburg. Abraham Ries, der Sohn des Model Ries, erlangte im Mai 1671 vom brandenburgischen Kurfürsten ein Generalprivileg für die Ansiedlung von 50 Familien. Im Sommer dieses Jahres ließen sich etwa zwölf Familien unter der Führung der ehemaligen Langenloiser Juden Abraham und Model Ries, Hirschl Lazarus, Benedikt Veit und von dessen Schwiegervater Jakob Gumprecht in Frankfurt an der Oder, Züllichau und Berlin nieder. Model Ries legte in Berlin den jüdischen Friedhof an, auf dem 1672 als erster Langenloiser Jakob Gumprecht beerdigt wurde. In Langenlois hinterließen die Juden offenbar keinerlei dingliche Spuren; nicht einmal ein einziger Grabstein von dem nachweislich um 1700 noch vorhandenen Friedhof scheint sich erhalten zu haben. Peter Rauscher hat ihnen mit seinem nicht nur gelehrten, sondern auch gut lesbaren Buch, das von einem Quellenanhang, dem Quellen- und Literaturverzeichnis, einem Orts- und einem Personenregister sowie zehn (zum Teil etwas unscharfen) Fotos abgerundet wird, ein würdiges Denkmal gesetzt.

Peter Rauscher reiht sich mit seiner Monographie in die allmählich wachsende Zahl der Autorinnen und Autoren gründlicher Lokal- und Regionalstudien zur Geschichte der Juden in der Frühen Neuzeit ein. Der Waldviertler Heimatbund kann sich glücklich schätzen, den Band in seiner Schriftenreihe herausgebracht zu haben.

Mit freundlicher Genehmigung entnommen aus: "Das Waldviertel" 53 (2004), Heft 3.

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