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ISRAEL, EUROPA UND DER NEUE ANTISEMITISMUS

Alfred Gerstl

Ein aktuelles Handbuch
Hans Rauscher
Wien: Molden Verlag 2004.
247 Seiten, Euro 22,80
ISBN 3-85485-122-7

Es ist ein – leider – immer noch notwendiges Buch, das Hans Rauscher mit "Israel, Europa und der neue Antisemitismus" vorgelegt hat. Rauscher, einer der profiliertesten heimischen Kommentatoren des österreichischen wie des Weltgeschehens, analysiert darin das seit Jahrhunderten sattsam bekannte Phänomen des Antisemitismus. Ihm geht es darum, dessen neuen Facetten herauszuarbeiten, und so ist ein aufschlussreicher aktueller Überblick über antisemitische Regungen in den west- und osteuropäischen sowie muslimischen Gesellschaften entstanden.
Der neue Antisemitismus stellt eine vielschichtige Erscheinung dar: Neben dem "klassischen" Antisemitismus der extremen Rechte gibt es einen neuen Antisemitismus von linken Globalisierungskritikern und Antiimperialisten, deren Diskurs sich auf antisemitische Versatzstücke wie die jüdische Weltverschwörung und die Macht des jüdischen Finanzkapitals stützt; angereichert wird er um die Dimension des Nahost-Konflikts, werfen diese Kritiker Israel doch eine kolonialistische Unterdrückung der Palästinenser vor. In Ländern wie Frankreich, Belgien oder den Niederlanden ist der neue Antisemitismus ein Phänomen der in die westlichen Gesellschaften nur mangelhaft integrierten und radikalisierten muslimischen Immigranten. Dieser zielt darauf ab, dem jüdischen Staat das Existenzrecht abzusprechen, indem er den Holocaust – und damit den speziellen Opferstatus der Juden und ein Hauptmotiv für die Gründung Israels – leugnet. Besonders deutlich manifestiert er sich seit dem Ausbruch der zweiten Intifada im Jahr 2000. In Deutschland wiederum existiert ein neuer, sekundärer Antisemitismus nicht trotz, sondern gerade wegen Auschwitz: Die Juden erinnerten permanent an die NS-Verbrechen und verhinderten so einen Schlussstrich unter die Geschichte, lautet der absurde Gedankengang.
Die Staatsgründung Israels ist ohne den Holocaust, ohne den europäischen Antisemitismus undenkbar. Daher rührt auch Europas besonderes Verhältnis zu Israel: "Israel ist Europas Kind." Wie Rauscher klar macht, ist es dennoch sehr wohl zulässig (und manchmal sogar notwendig), Kritik an Israel zu üben. Europäer, so Rauscher, sollten sich mit Empathie für Israel für das Ziel engagieren, eine friedliche Koexistenz zwischen Juden und Palästinensern zu fördern, welche das Überleben Israels als liberale Demokratie garantiert. Doch viele Israeli weisen die europäische Kritik am israelischen Vorgehen in den besetzen Gebieten als Antisemitismus zurück. Manchmal nicht ganz zu Unrecht. Berüchtigt ist etwa die Eurobarometer-Umfrage vom Herbst 2003, in der 60 Prozent der befragten EU-Bürger in Israel die größte Bedrohung für den Weltfrieden orteten. Tatsächlich kaschiert die Kritik an Israel nur allzu oft einen kruden, als Antizionismus verkleideten Antisemitismus, etwa wenn von einem von Juden an Palästinensern verübten Holocaust gesprochen wird.
Judenfeindschaft, ob in "traditioneller" oder "neuer" Form geäußert, ist ein Wahn – und ein beschämendes Phänomen. Ob es von Politik und Gesellschaft ernst genug genommen wird, darf zumindest angezweifelt werden. So verweigerte das European Monitoring Center on Racism and Xenophobia (EUMC) in Wien 2003 die Veröffentlichung eines Berichts über Antisemitismus in Europa. Die statt dessen publizierte Folge-Studie milderte vor allem die Gefahr des unter europäischen Muslimen grassierenden Antisemitismus ab.
Ausführlich schildert Rauscher die antisemitischen Ausfälle deutscher und österreichischer Politiker, vor allem Jörg Haiders, sowie der "Kronen-Zeitung". Die Justiz folgte seiner Argumentation, wonach der "Krone" vorgeworfen werden darf, in etlichen Artikeln mit "antisemitischen und rassistischen Untertönen" operiert zu haben. Erschreckend ist dabei weniger dieses Fakt als solches als vielmehr, dass antisemitische Äußerungen im heutigen Österreich getätigt werden können, ohne einen Aufschrei der Empörung auszulösen. In Deutschland dagegen ist die Qualität der politischen Kultur zumindest in Bezug auf die Verurteilung antisemitischer Aussagen eine wesentlich höhere (erinnert sei nur an die Reaktionen auf Jürgen Möllemanns Flugblatt 2002).
Für sein Buch hat Rauscher aufwendige Recherchen betrieben und die aktuellste Literatur rezipiert, doch stellenweise bringt er der Zitate einfach zu viele, noch dazu werden Textstellen manchmal doppelt zitiert. Generell wäre dem Buch ein sorgfältigeres Lektorat zu wünschen gewesen (z.B. fehlen am Ende von Zitaten häufig die Anführungszeichen; oder die OSZE hat einmal 55 Mitglieder, zwei Seiten später nur noch 54). Alles in allem sind es jedoch bloß kleine Mängel, die der Lektüre dieses wertvollen Buches keinen Abbruch leisten.

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