Schatten der Erinnerung, Erinnerungsschatten:
Der Tote
im BunkerRobert Lottes
Bericht über meinen Vater
Martin Pollack
Wien: Paul Zsolnay Verlag
254 Seiten, Euro 20,50
ISBN 3-552-05318-2
"Ich habe keine eigene Erinnerung an den Vater." Schnell
abgesteckt sind die Bedingungen, unter denen der Autor
Martin Pollack die Lebensgeschichte des Dr. Gerhard
Bast, SS-Sturmbannführer und Kriegsverbrecher seines
leiblichen Vaters , literarisch umzusetzen versucht.
Und ein nicht ganz geglückter Versuch bleibt es, zu
"entziffern, was immer bruchstückhaft bleiben würde".
Wenig an Unmittelbarkeit der Person des Gerhard Bast
erfährt und erfühlt der Leser aus der Beschreibung des
Sohnes in seinem "Bericht über meinen Vater", den der
Autor selbst nur aus seltenen anekdotenhaften
Erzählungen der Mutter kannte und der zu einem Zeitpunkt
starb, als der Erzähler noch keine drei Jahre alt war.
Aus einer deutlichen Position der persönlichen Distanz,
die sich auch im literarischen Stil niederschlägt und
auf den Leser überträgt, begegnet Martin Pollack der
Geschichte eines Menschen, der ihm bis zuletzt im
eigentlichen Sinne unbekannt und unergründbar selbst
das Leben schenkte und gleichzeitig unmittelbar und
persönlich für den gewaltsamen Tod vieler Menschen
verantwortlich war. Diese lakonisch vorgetragene
Fremdheit gegenüber dem Vater verträgt sich dort, wo
Pollack über seine Recherche-Ergebnisse berichtet und,
gestützt auf alten Fotografien, persönlichen Dokumenten
des Vaters, Archiven und Zeitzeugen, eine Geschichte der
Familie Bast, die bis zum Urgroßvater, eines
"Sprachgrenzdeutschen" der seit 1918 zu Slowenien
gehörenden "Untersteiermark", reicht, erzählt.
Der Vater wächst in Tüffer/Lako, einer von Deutschen
und Slowenen getrennt nach nationaler Zugehörigkeit und
Sprache bewohnten Kleinstadt auf, vor deren dumpfer
kleinbürgerlicher Idylle der Kampf des "Deutschtums" als
Bollwerk gegen die slawische Flut stets Pflicht und
Bestimmung war und wo der Rechtsradikalismus prächtig
gedieh. Die Mentalitätsgeschichte der Provinz ist auch
eine der Familie Bast, die im aufkommenden
Nationalsozialismus ihre geistige Heimat findet. Die
allgemeine Bereitschaft und Akzeptanz zur Anwendung von
letztendlich tödlicher Gewalt unter den Bedingungen
eines bestimmten ideologisierten Milieus und auch der
persönlichen Strukturierung wird vom Autor fast
zärtlich angedeutet: "Eine sepiabraune Fotografie in
ungewöhnlichem Hochformat zeigt den Vater, noch immer
mit Kittelschürze, doch das Haar schon kurzgeschnitten,
mit der Linken den Lauf eines Gewehres umklammernd, das
genauso groß ist wie er selber. Ein richtiges
Luftdruckgewehr, mit dem man Vögel und Eichkätzchen
totschießen kann. Er lächelt in die Kamera, das Kinn
stolz vorgereckt, eine für ihn typische Pose, die ich
von anderen, späteren Bildern kenne. Mein erstes
richtiges Gewehr. Das bekam er mit drei Jahren."
Unaufgeregt folgt Pollack dem weiteren Weg des jungen
Vaters als Burschenschafter und Jurastudent zum
rücksichtslosen Vollzugsbeamten der
NS-Terrormaschinerie. SS-Sturmbannführer und Chef der
Linzer Gestapo "ein mächtiger Mann, vor dem sich viele
duckten", wird Dr. Gerhard Bast Leiter von
Sonderkommandos im Osten. Selten findet Pollack dabei
den Vater namentlich genannt. Schrecklich genug bleibt
die sachlich-nüchterne Beschreibung der dokumentierten
"Aufgaben" seiner Einheiten, die von ihm überwachten
Transporte von Juden in Konzentrationslager über
Massenmorde in Südrussland und Hinrichtungen von
Zwangsarbeitern. Eigenartig mutet es da zunächst an,
wenn Martin Pollack seinen Erzählstrang durch des Vaters
Tourenbuch zu unterbrechen scheint und damit den
offensichtlichen Gleichmut des begeisterten Bergsteigers
und Skifahrers Gerhard Bast greifbar macht: "Wetter
meist schön, sehr kalt. Schnee durchwegs prima. SS-Hütte
prima, Essen gut."
"Sein gewaltsamer Tod war der Abschluss eines Lebens, in
dem Gewalt eine wichtige Rolle gespielt hatte." Gerhard
Bast wurde nach dem Krieg selbst zum Gejagten und nahm
auf seiner Flucht verschiedene Identitäten an, änderte
mehrmals den Wohnsitz und wurde schließlich 1947 von
einem Schlepper in der Nähe des Brennergrenzübergangs
aus Geldgier ermordet.
Die Stärke des Buchs ist zugleich seine Schwäche: Martin
Pollack hat unzählige Akte in Archiven durchstöbert,
Reisen nach Slowenien, Polen und in andere Länder des
Ostens unternommen. Gefunden hat er wenig. Die Gestalt
des Vaters bleibt schemenhaft, in das Innere der Person
des Gerhard Bast will oder kann der Sohn nicht
vordringen. Die Geschichte, so persönlich sie auch ist,
bleibt ein Bericht: Die Fakten sind akribisch
dokumentiert, der Grundton ist geprägt von Distanz zum
Geschehen. Gerne hätte man mehr erfahren über die eigene
Gefühlslage des Sohnes und Autors und die Ambivalenz des
eigenen Schicksals zwischen dem Aufwachsen bei Mutter,
Stiefvater, Halbgeschwistern und dem charismatischen
Großvater und Anwalt Rudolf Bast, über dessen
Schreibtisch Amstetten "arisiert" wird. Es ist derselbe
Mann, den Pollack als Kind liebevoll "Opsi" nannte und
mit dem er lange Wanderungen unternahm, während
Großvater kurzweilige Geschichten von Wölfen,
Wildschweinen und Jagdabenteuern erzählte. Der
Stiefvater ist dem Kind Martin ein Vater, der leibliche
Vater, eine außereheliche Affäre der Mutter, die
Ironie des Augenblicks am 17. April 1945, kurz vor dem
Zusammenbruch des "Tausendjährigen Reiches", am
Standesamt Linz im gegenseitigen Eheversprechen
legitimiert wird, vor dem Sohn totgeschwiegen. Kurz
danach ist Gerhard Bast auf der Flucht, die im Bunker am
Brenner tödlich enden sollte. Der Stiefvater kehrt zur
Mutter zurück: "Bis heute weiß ich nicht, wann die
Mutter nach dem Tod meines leiblichen Vaters den
Stiefvater neuerlich geheiratet hat."
Letztlich bleibt das Buch ohne Antwort auf die Frage,
wer der Vater wirklich gewesen sei: Ein gewissenloser
Karrierist, der sprichwörtlich über Leichen ging?, ein
"rabiater Antisemit?" Was dieses Buch, diesen einzigen
Versuch einer Annäherung, unbedingt lesenswert macht,
ist seine dokumentarische und zugleich literarische
Schilderung der Geschichte einer deutschnationalen
Familie, wie sie tausendfach im "Dritten Reich"
stattgefunden hat, aber in dieser Form nie erzählt
wurde. Martin Pollack hat "ein intensives Schweigen
aufgebrochen, für sich, seine Familie und alle Leser,
die auf eine solche Mentalitätsgeschichte einer Provinz,
die langsam in die Mitte hereingebrochen ist, schon
lange gewartet haben" (Erna Lackner, FAZ vom 6.10.2004,
Nr. 233/S L16).
Zurück
|