JÜDISCH-PROTESTANTISCHE
KONVERTITEN IN WIEN 1782-1914Horst Dolezal
Teil 1 und Teil 2
Anna L. Staudacher
Frankfurt/Main: Peter Lang 2004
838 Seiten,
ISBN 3-631-50413-6.-
Die Autorin ist bereits mit zwei Bearbeitungen zum Thema
Jüdische Konvertiten in Wien hervorgetreten: Wegen
jüdischer Religion Findelhaus (2001) und Jüdische
Konvertiten in Wien 1782 bis 1868 (2002). Die nun
vorliegende Arbeit folgt den schon bekannten formalen
Grundsätzen und ist ein weiterer Schritt zur Erfassung
der jüdischen Konversionen im Großraum Wien vom Ende des
18. Jahrhunderts bis zum Ersten Weltkrieg. Das
Staatsgrundgesetz von 1867 und die sich daran
schließenden interkonfessionellen Gesetze stellen eine
zeitliche Zäsur dar: sind bis 1868 rd. 200 Konvertiten,
die sich nach protestantischem Ritus (AB und HB) taufen
ließen, nachweisbar, so erhöht sich die Zahl bis 1914
auf über 6000 Übertritte. Dies ist etwa ein Drittel der
während dieser Zeit das Judentum verlassenden Personen,
die Hälfte konvertierte zum Katholizismus, der Rest
blieb konfessionslos.
Der Anspruch auf eine Namensänderung war mit der Taufe
gegeben, Anträgen ohne Nachweis der Taufe wurden nicht
generell stattgegeben. Als Aufnahmekriterium in das
vorliegende Buch gilt die jüdische Geburt und nicht
die jüdische Herkunft, d. h., Kinder, deren Eltern vor
der Geburt bereits konvertiert waren, wurden nicht
aufgenommen. Weiters wurde dem Datenschutzgesetz
Rechnung tragend alle ab 1894 Geborenen, deren Tod nicht
festgestellt werden konnte, ausgeschieden. Die
Bearbeitung der zahlreichen, unter dem Gesichtspunkt
jüdisch-protestantischer Konversionen noch nie
eingesehen Quellen (wie diverse Matriken katholischer
und evangelischer Pfarren und der IKG Wien,
Übertrittsprotokolle und Namensänderungsakte) macht
einerseits die großen Verluste an den Beständen bewusst,
gestattet aber andererseits die durch die gegebene
Vielfalt und damit gegenseitigen Ergänzungsmöglichkeiten
häufig die Verdichtung biographischen Daten zu einer
Person. Zugleich zeigt dies aber die Unverlässlichkeit
einzelner Quellen (insbesondere der
Austrittserklärungen: z. B. hat Richard Engländer/Peter
Altenberg am 12. April 1900 erklärt zur evang. Religion
A.C. überzutreten, er wurde aber erst 1910 in der
Karlskirche nach katholischem Ritus getauft) bis hin zu
falschen Einzelangaben aufgrund von Hör-, Lese- und
Schreibfehlern. Die angewandte Methode der Bearbeitung
von seriellen Massenquellen, allgemein verständlich
beschrieben und an praktischen Beispielen erläutert,
sowie die Verwendung von Soundex zeitigt oft Ergebnisse,
die zu mancher Korrektur und Ergänzung in anerkannten
Personenlexika und Handbüchern führen wird. Einige Male
kommen auch zwei Taufen einer Person vor, wie etwa beim
Industriellen Fritz Wärndorfer (Wiener Werkstätten),
1894 nach helvetischem, 1902 nach lutherischem Ritus,
aber auch zweimal evangelisch AB wie z. B. beim Arzt Dr.
Samuel Harkanyi im Februar und im Juli 1893 (nachdem er
zwischenzeitlich zum Judentum zurückgekehrt war). Nach
diesem ersten Abschnitt Quellen- & Methodenbeschreibung
werden in weiteren Kapiteln Themen behandelt wie:
rechtliche Grundlagen, Tauftourismus, Motive und
Ursachen (mit Rücktritten zum Judentum), Namenswechsel
mit all seinen Aspekten wie Motive, Statistik,
Nobilitierungen, Taufpaten u.a.m. Der Abschnitt
Sozialstruktur untersucht nach Stand, Geschlecht, Alter,
geographischer und sozialer Herkunft, Beruf u.ä. Im Teil
1 sind auch die Register zu Teil 2 enthalten: nach
geographischer Herkunft und nach Berufen. Diverse
Verzeichnisse wie Literatur, Quellen u.a. sind
selbstverständlich.
Teil 2 besteht aus der eigentlichen selektiven Edition,
in der jeder Name mit einer Fußnote, die Quellen und
Ergänzungen enthält, versehen ist. Alphabetisch
eingereiht sind alle Personen nach ihrem Geburtsnamen,
spätere Namen nach Heirat oder Namensänderung führen
über Spezialkonkordanzen zu dem ursprünglichen Namen und
damit zur Stammeintragung. Mehr als beeindruckend, dass
eine Person unter Zeitdruck diese ungeheure Zahl von
Einzeldaten erheben und verknüpfen konnte da sind
sachliche und drucktechnische Ungenauigkeiten nicht zu
vermeiden, Stichproben zeigen aber eine weit
unterdurchschnittliche Fehlerquote. Das Ergebnis ist ein
weiterer Baustein in einer Reihe, für die es auch
international kein Vorbild gibt. Eine
Quellenaufbereitung, besonders für Genealogen,
Biographen und kulturhistorisch Arbeitende von hohem
Wert.
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