http://david.juden.at  
 
 

unterstützt von:


 

TOMER DEBORAH –
DER PALMBAUM DER DEBORAH

Nathanael Riemer
 

Eine mystische Ethik radikalen Erbarmens.
Rabbi Moses Cordovero von Zefat.
Übersetzt von Shulamit Zemach-Tendler und Klaus Schäfer mit einer Einführung und Anmerkungen von Klaus Schäfer.
Freiburg im Breisgau: Lambertus-Verlag 2003.
400 Seiten, € 20,-
ISBN 3-7841-1509-8.

Gerade weil Übersetzungen kabbalistischer Texte heute immer noch eine Rarität darstellen und wegen der Bedeutungsvielfalt der kabbalistischen Ausdrucksformen vermieden werden, verlangt die Übersetzung des Traktates von Moses Cordoveros ins Deutsche eine besondere Aufmerksamkeit. Cordovero (1522-1570) ist der jüdische Mystiker, der mit Pardes Rimonim einen erfolgreichen Versuch unternahm, die Vorstellungen des Sohars, dem zentralen Werk der jüdischen Mystik, zu systematisieren. Seine Bedeutung resultiert nicht zuletzt daher, dass er als Lehrer einen wesentlichen Anteil an der Entwicklung Jizchak Lurias (ARI, 1534-1572) hatte, dessen kabbalistisches System innerhalb weniger Jahrzehnte für die religiösen Vorstellungen des damaligen Judentum maßgeblich wurde.
Allein ein erster Blick in die vorliegende Übersetzung des Tomer Deborah, ein kabbalistischer Traktat mit ethischer Tendenz, erzeugt schon Verwunderung. So wirken die Anmerkungen etwas irritierend, wenn z.B. in umständlicher Form das Literaturverzeichnis angekündigt wird, das niemals bei einer Buchedition dieser Art fehlen sollte, oder sich gar die Bearbeiter immer wieder direkt und persönlich an den Leser wenden. Schon bald wird deutlich, dass die Bearbeiter in erster Linie kein wissenschaftliches Interesse hegen. Explizit heißt es: Dieses Buch ist nicht ein „für Experten gedachtes judaistisches oder religionswissenschaftliches Fachbuch. […] Mir schwebte vielmehr eine Handreichung für alle an Mystik – und zwar an Mystik aus erster Hand, gerade auch an authentischer jüdischer Mystik – Interessierter vor.“ (S.20f.) Damit präsentiert sich die Übersetzung des Tomer Deborah als Versuch, ein gesellschaftliches Verlangen unserer Tage zu befriedigen: „Diese Art stiller und kräftig zupackender Religiosität [der ethisch ausgerichteten jüdischen Mystik, N.R.] scheint zur Zeit durchaus gefragt. Viele Zeitgenossen in Ost und West, Süd und Nord suchen sowohl in ihren einheimischen Traditionen als auch in den anderen ihnen zugänglichen religiösen Traditionen nach derart mystisch geladenen und gerade deshalb ethisch starken Verhaltens- und Denkweisen.“ (S. 19)
Doch das, was dem Wissenschaftler als recht unbeholfen erscheint, vermag dem interessierten Laien und vor allen Dingen dem Studenten die Angst zu nehmen, das unerreichbar erscheinende Wasser der jüdischen Mystik aus den wissenschaftlichen Arbeiten Gerschom Scholems schöpfen zu müssen. Hier wird der Leser wirklich an die Hand genommen und ihm jeder Schritt lehrbuchartig in aller Ausführlichkeit in leicht verständlicher Sprache erklärt. Leider bedingt gerade das Bemühen der Bearbeiter, dem interessierten Laien wirklich über alles eine Orientierung geben zu wollen, die Schwäche des Buches. Als Beispiel mag hierfür das Inhaltsverzeichnis dienen, das mit seiner Unterteilung in vier Hauptteile, fünf verschiedene Einführungen, vier Einschübe (Exkursen) und zahllose Unterkapitel zwar dem umfassenden Thema der Kabbala der Frühen Neuzeit gerecht zu werden versucht, aber durch eine unübersichtliche Kapitelstrukturierung, mangelhafte graphische Hervorhebung und langatmige Kapitelüberschriften zum regelrechten Irrgarten wird. Um hier doch einen Überblick über das Buch und seine Vorzüge geben zu können, ist eine systematische Aufstellung angebracht. Die als vier „Hauptteile“ bezeichneten Blöcke bestehen aus
I. einer „Einführung“, die alle anderen einfüh rende Texte beinhaltet,
II. der eigentlichen Übersetzung,
III. dem Anmerkungsapparat,
IV. dem „Verzeichnis der Hilfsmittel, Quellen und Literatur“.
Der „Erste Hauptteil: Einführung“ unterteilt sich in
1.) eine biographischen Einführung zur Person Cordoveros, seines Umfeldes, seiner Lehrer und Schüler sowie seiner Werke, die durch zwei Exkurse zum Buch Sohar sowie zur historischen, gesellschaftlichen und kulturellen Situation in Zafat unterbrochen wird,
2.) eine Einführung zur Rezeption der Kabbala Cordoveros mit einem Überblick über Pardes Rimmonim, an die wiederum zwei Exkurse zur Rezeption des Tomer Deborah in der Mussar-Bewegung sowie zum Verhältnis zwischen Tomer Deborah und Elimah (Rabbati) angehängt sind,
3.) eine Einführung zum Titel des Traktates Tomer Deborah,
4.) eine Einführung in die ethischen und kabbalistischen Vorstellungen Cordoveros, die u.a. eine Erklärung der Sfirot-Lehre und der Vier-Welten-Lehre umfasst,
5.) einen systematischen Überblick über In halt und Aufbau des Traktates selbst.
Hat sich der Leser nun auf den verschachtelten Aufbau des Werkes einzulassen, so besteht sein Lohn darin, dass ihm nicht nur das Leben Cordoveros, seine Lehrer und Schüler und ihre tiefe Frömmigkeit in einer liebevollen, sehr menschlichen Weise nahe gebracht werden, sondern die fruchtbare Atmosphäre der geistigen Welt von Zefat vor Augen geführt wird. Die didaktische Vorgehensweise der Bearbeiter macht sich immer wieder positiv bemerkbar. Dies gilt u.a. für den Abschnitt über den „Sinn der Pseudepigraphie“, in dem der Leser von dem Eindruck einer „Fälschung“ weggeführt und ihm die tieferen Beweggründe für das Verbergen der Autorenschaft erklärt wird. (S. 50)
Bei der gewissenhaften Übersetzung, die den zweiten Hauptteil bildet, versuchen die Bearbeiter, in sämtlichen Hinsichten möglichst dicht am Original zu bleiben. Dazu ziehen sie Übersetzungen in andere Sprachen, Kommentare und zahlreiche wissenschaftliche Arbeiten heran. Erfreulicherweise werden kabbalistische Termini nicht ins Deutsche übersetzt, um die Begriffe nicht ihrer Bedeutungsvielfalt zu berauben. War die bisherige sehr persönliche Anrede des Lesers eher irritierend, so entpuppt sie sich hier nun als großer Vorteil: Die Übersetzer appellieren an das Publikum, sich die kabbalistischen Begriffe einzuprägen (S. 23), und können bei der esoterischen Leserschaft auch davon ausgehen, dass dies fleißig befolgt wird. Ebenso erfreulich ist, dass für die Bibelzitate nicht nur jüdische Bibelübersetzungen herangezogen werden, sondern auch die Begründung für diese Vorgehensweise erläutert wird. (S. 24)
Wie so oft, so bleibt auch hier dem Leser das umständliche Suchen von Fußnoten im separaten Anmerkungsapparat nicht erspart. Die Anmerkungen selbst bringen nicht nur Erklärungen und Verweise auf die rabbinische oder kabbalistische Literatur, sondern geben die notwendigen Zitate in einer Übersetzung wieder. Gerade weil damit dem Laien in besonderer Weise entgegengekommen wird, wären Fußnoten unter dem Text sinnvoller gewesen. Das Literaturverzeichnis ist thematisch gegliedert und berücksichtigt auch neuere hebräische Publikationen.
Abgesehen von der unübersichtlichen Anordnung der „Einführungen“ und der gelegentlich hervortretenden esoterisch-moralisierenden Intention der Bearbeiter ist das Buch eine hervorragende Einführung in die kabbalistische Welt und wird sicherlich nicht nur von interessierten Laien gelesen, sondern doch als „judaistisches Fachbuch“ wahrgenommen werden, wie das im Wintersemester 2004/05 in Heidelberg schon der Fall war.
 

Zurück

 
 
webmaster@david.juden.at

Unterstützt von haGalil.com
haGalil onLine