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Burgenländische Juden erinnern sich

Alfred Gerstl

Alfred Lang/Barbara Tobler/Gert Tschögl (Hg.):
Vertrieben. Erinnerungen burgenländischer Juden und Jüdinnen.
Mandelbaum Verlag. Wien 2004. 528 Seiten.
€ 24,90
ISBN 3-85476-115-5

Zwar gestaltete sich bis 1938 für die meisten burgenländischen Juden das Leben mit der nicht-jüdischen Bevölkerung relativ reibungslos; dennoch sollte man besser von einem Miteinander als von voller Integration sprechen. Trotz vieler interkonfessionellen Freundschaften bestanden im Alltag vielfältige gesellschaftliche Barrieren.
Wie das Beispiel der relativ orthodox gesinnten jüdischen Gemeinde im mittelburgenländischen Lackenbach illustriert, respektierten Christen wie Juden wechselseitig die Feiertage der jeweils anderen Glaubensgemeinschaft. Eine jüdische Händlerfamilie sperrte ihr Geschäft am Sonntag auf – allerdings erst nach dem Gottesdienst. An diesem Tag sei das Geschäft am besten gegangen, erinnert sich der heute in Tel Aviv lebende Mordechai Grünfeld, der 1913 in Lackenbach geboren wurde.
Umgekehrt konnten die meisten, vor allem die wohlhabenderen jüdischen Familien am Schabbes auf die Unterstützung ihrer christlichen Hausdiener oder Bekannten zählen. So erzählt Gertrud Hofer, 1921 in Eisenstadt geboren, heute in Montevideo lebend, davon, wie eine katholische Klassenkameradin sich nach dem Anschluss zum von Nazis umstellten Haus drängte und ausrief: „Mir wird niemand verbieten, zu meinen Freudinnen zu gehen!"
Das Autorenteam befragte fast drei Dutzend Jüdinnen und Juden aus dem Burgenland, die nach 1938 aus Österreich fliehen mussten. Entstanden sind, dem Oral-History-Ansatz entsprechend, lebhafte persönliche Schilderungen der Zwischenkriegszeit, der Nazi-Zeit und der Flucht aus Österreich in die weite Welt, nach Großbritannien ebenso wie nach Amerika oder Lateinamerika und natürlich Israel. Erschütternd ist dabei, wie schlagartig 1938 aus vielen Nachbarn plötzlich Nazis wurden, denen es mit der Arisierung gar nicht rasch genug gehen konnte. Allerdings führen fast alle Interviewten auch rührende Beispiele von Burgenländerinnen und Burgenländern an, die ihnen in dieser schwierigen Zeit geholfen haben.
Die meisten befragten Zeitzeugen waren entweder orthodox (und sind es bis heute geblieben) oder wuchsen in orthodoxen Haushalten auf. Umso größer war der Schock für Alicia Latzer (1928 in Güssing geboren), die in einem liberalen Elternhaus aufwuchs und erst mit dem „Anschluss" realisierte, dass sie Jüdin, dass sie „`anders´ war" als die anderen Kinder. Auch ihr neuer Lehrer wusste dies nicht: Er lobte die großgewachsene Blondine vor der ganzen Klasse „als Exempel" für die arische Rasse ...
Das Autorentrio hat mit diesem Buch eine ebenso wichtige wie gut lesbare Studie zur Geschichte des – oft verdrängten, oft einfach vergessenen – jüdischen Burgenlands vorgelegt. Doch der Forschungsbedarf bleibt groß. So ist bis heute unklar, wie viele burgenländische Juden dem Holocaust zum Opfer fielen. Das Verdienst dieses Buches ist es, das Schicksal einiger burgenländischer Juden für die Nachwelt festgehalten zu haben.

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