http://david.juden.at  
 
 

unterstützt von:


 

Ein schönes Geschichtenbuch

Nathanel Riemer

Un beau livre d’histoires. Eyn shön Mayse bukh. Fac-simile l’editio princeps de Bâle (1602). Traduction du yiddish, introduction et notes par Astrid Starck. 2 Vol. Schriften der Universitätsbibliothek Basel. Basel 2004. 875 Seiten, € 89.50.

Faksimile-Ausgaben kann man, wenn sie eine Übersetzung in eine moderne Sprache beinhalten, einen doppelten Wert zuschreiben: Das oft kaum noch zugängliche Werk wird einerseits der Forschergemeinschaft wieder in einer größeren Zahl zur Verfügung gestellt. Andererseits sorgt seine Übersetzung dafür, dass der Inhalt des Werkes dem interessierten Laien erschlossen wird und dem Studierenden eine Hilfestellung in der Aneignung des Stoffes bietet.
In diesem Sinne darf die hier vorliegende Faksimile-Ausgabe des „Mayse-Bukh", die das 1602 erstmalig in Basel erschienene Werk im Original und einer französischen Übersetzung der Öffentlichkeit übergibt, als ein wahrer Schatz bezeichnet werden. Das 252 Erzählungen umfassende Buch gilt als einer der Bestseller der altjiddischen Literatur und wurde bis ins 20. Jahrhundert unzählige Male neu aufgelegt. Der Herausgeber, Jakob bar Abraham, ein wandernder Verleger und Buchhändler aus dem litauischen Mesritsch, profitierte bei der Konzeption seines Werkes von der traditionellen jüdischen Literatur, einer überaus reichen und lebendigen mündlichen Erzähltradition, sowie mehreren handschriftlichen Ma`ase-Sammlungen, an deren Fixierung schon Generationen von Schreibern gearbeitet hatten. Neben den talmudisch-midraschischen Erzählungen, der Schicht der Rhein-Donau-Sagen, die mittelalterliches Legendengut der Chassiden und anderer deutscher Rabbinen enthält, existiert eine dritte Schicht mit internationalen Legenden und Märchen.
Zwei Vorreden der Experten für das ältere Jiddisch, Erika Timm und Jerold C. Frakes, machen mit der herausragenden Stellung der bedeutenden Quelle und seinen Besonderheiten vertraut. Die sich anschließende französischsprachige Einleitung gliederte Astrid Starck in fünf inhaltliche Gesichtspunkte: Nach einer allgemeinen Vorbemerkung zur Baseler Ausgabe von 1602 stellt Starck dem Leser neben dem „linguistischen und literarischen Kontext" (I), auch den „historischen und religiösen Kontext" vor (II; A: Basel und die Juden; B: Der hebräische und jiddische Buchdruck in Basel; C: Die christlichen Hebraisten und das ´Mayse-Bukh`). Der dritte Themenbereich macht mit dem Titelblatt und Vorwort der Quelle (III,A) sowie ihrem Verhältnis zur rabbinischen Literaturproduktion (III,B) bekannt, gibt darüber hinaus aber auch einen literaturhistorischen Überblick über den Kampf zwischen der religiösen Erzähl- und Moralliteratur einerseits und der profanen Erzählliteratur andererseits (III,C). Den Quellen des „Mayse bukh" widmet sich Starck im vierten Teil der Einführung, wobei sie nicht nur die hebräischsprachigen Erzählsammlungen (IV,A), sondern auch die narrative Literatur des Jiddischen (IV,B) berücksichtigt sowie auf die Legenden der Chassiden (IV, C) und die internationalen Volkssagen (IV,D) eingeht. Der fünfte Themenkomplex der Einleitung beschreibt neben den drei oben genannten Schichten (V,A) die Struktur des Buches und seiner Erzählungen (V,B) und widmet sich zuletzt einem Thema, dem vor allen Dingen in den letzten Jahren verstärkte Aufmerksamkeit zuteil wurde: der Darstellung der Frauenrolle innerhalb der Sammlung.
Die umfangreiche Bibliographie umfasst nahezu den gesamten Bestand an Handschriften und Editionen, Übersetzungen und Bearbeitungen sowie die verwendete Forschungsliteratur. Für Interessierte besonders hilfreich ist die Tabelle, in der einzelnen Erzählung die englische Übersetzung Moses Gasters und ihre literarische Quelle zugeordnet werden.
Wie aufwendig und fein durchkonzipiert das Faksimile-Projekt durchdacht ist, zeigt sich schon alleine am ersten Band. Dieser enthält neben der Einführung – wohl aus drucktechnischen Gründen – lediglich die erste Schicht der Erzählungen 1-157, die auf talmudisch-midraschische Vorlagen zurückgehen. Um aber dem Leser eine schnelle Orientierung zwischen der Einführung und dem Faksimile zu ermöglichen, hat man für den zweiten Text eine dezent abweichende Papierfarbe gewählt. Der zweite Band umfasst die Erzählungen 158-255 der übrigen beiden Schichten und schließt mit einem detaillierten Register ab.
Die Übersetzung befindet sich immer auf der gegenüberliegenden Seite des Faksimiles, versucht möglichst dicht am Original zu bleiben und orientiert sich auch unter graphischen Gesichtspunkten an dem Aufbau des jiddischen Textes. So enthält die Übersetzung Blattzahl und Bezeichnung der Recto- und Versoseite, Nummer der Erzählung und eine zusammenfassende Kapitelüberschrift. Darüber hinaus gibt sie durch ein Zeichen den genauen Seitenwechsel an. Die Anmerkungen zur Übersetzung befinden sind am Ende des jeweiligen Textkorpus, sind aber leicht aufzufinden. Auch das an das Ende des Originals angehängte Inhaltsverzeichnis der Erzählungen wurde mit einer Übersetzung bedacht. Mit der Faksimile-Ausgabe des schwer zugänglichen Exemplars gelang es Starck, ein unter inhaltlichen und graphischen Gesichtspunkten beispielhaftes Buch vorzulegen.

Zurück

 
 
webmaster@david.juden.at

Unterstützt von haGalil.com
haGalil onLine