Irene Harand, geb. 1901 in Wien, war
als aufrechte Politikerin – sie war stellvertretende
Vorsitzende der Christlich-Sozialen Partei – und
Schriftstellerin überzeugte Gegnerin des
Nationalsozialismus. Publizistisch wie auf europaweiten
Vortragsreisen trat sie der Nazi-Propaganda entschlossen
entgegen. Da sie sich zur Zeit des Anschlusses in London
befand, entschied sie sich, statt zurückzukehren nach
Amerika auszuwandern. Dank ihrer Kontakte gelang es ihr,
für über 100 österreichische Juden Visa für die USA
ausstellen zu lassen. Natürlich war sie auch weiterhin
eine laute und eindeutige Stimme gegen den
Nationalsozialismus. – 1968 verlieh die Gedenkstätte Yad
Vashem Irene Harand die Auszeichnung „Gerechte unter den
Völkern".
Hilde Olsinger, 1898 in Wien geboren,
wurde nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten
von der Polizei zur Post versetzt, da sie als politisch
unzuverlässig galt. Als einem jüdischen Ehepaar, mit dem
sie ihr ebenfalls anti-nationalsozialistischer Pfarrer
bekannt gemacht hatte, die Deportation drohte,
entschloss sich Olsinger, die beiden in ihrer kleinen
Wohnung zu verstecken. Bis zum Kriegsende teilte sie mit
den beiden ihre bescheidenen Essensrationen. Sie selbst
brachte sich damit in allergrößte Gefahr, noch dazu weil
sie zwei kleine Kinder hatte, die dieses Geheimnis
jederzeit ihren Freunden verraten hätten können. – 1997
verlieh die Gedenkstätte Yad Vashem Hilde Olsinger die
Auszeichnung „Gerechte unter den Völkern".
Anna Müller, eine an den Rollstuhl
gefesselte Gärtnerei-Besitzerin, und ihr Sohn
Konstantin, ein gesundheitlich ebenfalls angeschlagener
Postbeamter nutzten ihre Kontakte zu den Behörden und
ihr Haus, um Wiener Juden zu helfen. Sie unterstützten
sie bei ihrer Flucht, brachten sie in ihrem Haus unter
oder verhinderten dank persönlicher Beziehungen eine
Verlegung aus dem Wiener Gefängnis in ein KZ. – 1974
verlieh die Gedenkstätte Yad Vashem Anna und Konstantin
Müller die Auszeichnung „Gerechte unter den Völkern".
Diese drei Beispiele für
Hilfsbereitschaft während des Nationalsozialismus, die
im Falle der Entdeckung leicht mit der Deportation in
ein KZ oder der Todesstrafe enden hätten können, sind,
wie „Das Lexikon der Gerechten unter den Völkern:
Deutsche und Österreicher" aufzeigt, zum Glück keine
Einzelfälle. Doch leider stellten sie auch die Ausnahme
dar. Um so wichtiger ist das Projekt der israelischen
Gedenkstätte Yad Vashem, jene Menschen auszuzeichnen,
die aktiv einen Beitrag geleistet haben, den jüdischen
Verfolgten direkt oder indirekt beizustehen.
Das vorliegende Lexikon ist somit mehr als eine
Sammlung von Biografien – es ist ein erschütterndes
Zeugnis der Mitmenschlichkeit in Zeiten der
Unmenschlichkeit. Das einzige Manko ist, dass das
weitere Schicksal der Gerechten nach dem Krieg zumeist
ausgeblendet wird.