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Die Zweite Republik und ihre Parteien

Alfred Gerstl

Anton Pelinka
Vom Glanz und Elend der Parteien.
Struktur- und Funktionswandel des österreichischen Parteiensystems.
Reihe Österreich – Zweite Republik: Befund, Kritik, Perspektive.
StudienVerlag Innsbruck, Wien, Bozen 2005,
104 Seiten.
Preis: 9,90 Euro.
ISBN: 3-7065-4171-8

Das Gedenkjahr 2005 bot Anlass für zahlreiche Rückblicke auf 60 Jahre Republik, 50 Jahre Staatsvertrag und 10 Jahre EU-Mitgliedschaft. Der Innsbrucker StudienVerlag legte dazu in der Reihe „Österreich – Zweite Republik: Befund, Kritik, Perspektive" Bilanzen von führenden Experten aus verschiedenen Disziplinen vor. Die Reihe entstand in Zusammenarbeit mit Prof. Hubert Christian Ehalt, dem unermüdlichen Leiter der Kulturabteilung der Gemeinde Wien. Die kompakten, schön gestalteten Bände zeigen, das Österreich nach 1945 nicht die in Festreden gerne beschworene Erfolgsstory ist, die 1945 gewissermaßen bei einer „Stunde null" anfangen konnte. Die Altlasten der Vergangenheit, die sich durch die Zweite Republik ziehen, werden in den Büchern vom Gerald Stourzh (siehe die neben stehende Rezension) und Anton Pelinka, einer der führenden heimischen Politikerwissenschafter, beispielhaft deutlich.

Die Zweite Republik wurde – wie schon die Erste – von den politischen Parteien gegründet. Die Sozialisten und Konservativen, die beiden großen politischen Parteien, hatten die Jahre der nationalsozialistischen Diktatur nicht nur überdauert, sondern konnten fast nahtlos an ihre Traditionen und ihr jeweiliges Lager anknüpfen. Am größten war noch die Veränderung des sozialistischen Milieus, hatten doch in der Zwischenkriegszeit – nach dem Ausscheiden der Liberalen aus dem politischen Wettbewerb – zwei Drittel der österreichischen Juden für die Sozialdemokratische Arbeiterpartei gestimmt. Entsprechend war der jüdische Anteil unter den sozialistischen Intellektuellen ähnlich hoch. Für die Zeit nach 1945 konstatiert Anton Pelinka unter Verweis auf die jüngsten Studien zur Aufarbeitung der Geschichte des Bunds sozialistischer Akademiker durch Wolfgang Neugebauer: „An die Stelle von Juden traten ehemalige Nationalsozialisten."

Kontinuität bestand auch bei der ÖVP, die zwar im April 1945 in Abstimmung mit der Kirche das „hohe C", die Bezeichnung „christlich-sozial", aus dem Namen strich, um nicht allzu deutlich mit dem Ständestaat identifiziert zu werden. Hochrangige Führer aus der Zeit bis 1938 setzten in der Zweiten Republik ihre Karriere jedoch nahtlos fort; Julius Raab ist nur das prominenteste Beispiel. Insgesamt waren nur relativ wenige Christlichsoziale von den Nationalsozialisten verfolgt worden; und die meisten „Überläufer" zum Nationalsozialismus konnten reintegriert werden. Darüber hinaus bemühte sich natürlich auch die ÖVP, ehemalige Nationalsozialisten in die Partei einzubinden.

Durch diese Taktik der beiden Großparteien fehlte dem angesichts der von den Alliierten verordneten Entnazifizierungsmaßnahmen erst 1949 zugelassen Verband der Unabhängigen das traditionelle deutschnationale Führungspersonal. Noch schlimmer wog natürlich, dass das Hauptziel der Deutschnationalen seit Ende des 19. Jahrhunderts – der Anschluss an Deutschland – durch die Katastrophe des Nationalsozialismus nicht länger mehrheitsfähig war. Umgekehrt erlebte die absolute Mehrheit der Bevölkerung die Gründung der Zweiten Republik als positiv – was natürlich wiederum positiv auf SPÖ und ÖVP abfärbte.

Angesichts des politischen Vakuums nach 1945 und der negativen Erfahrung mit Lagermentalität und Bürgerkrieg während der ersten Republik errichten SPÖ und ÖVP eine Konsens- und Konkordanzdemokratie. In dem sich etablierenden Zweieinhalb-Parteiensystem spielten ÖVP und SPÖ eine Rolle, wie sie Parteien in westlichen Demokratien üblicherweise nicht zufällt. Nicht nur erreichten sie bei Wahlen bis in die achtziger Jahre gemeinsam über 90% der Stimmen. Durch eine Institution wie die Sozialpartnerschaft teilten sie sich auch den Einfluss auf die Steuerung des wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Prozesses. Die logische Folge dieses übermäßigen Einflusses des Parteienstaates war der Proporz – die wichtigsten gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Positionen wurden nach Parteibuch vergeben.

Wie Pelinka hervorhebt, gab es unmittelbar nach 1945 keine Alternative zum Parteienstaat. Es fehlte sowohl an ausländischen Investoren, welche in den Wiederaufbau investiert hätten, als auch an einer politisch selbstbewussten Zivilgesellschaft. Dies änderte sich erst ab den 70er Jahren, als die junge, ökologisch und postmaterialistisch eingestellte Generation begann, sich in den neuen sozialen Bewegungen zu engagieren. Aus diesen gingen die 1986 in den Nationalrat eingezogenen Grünen vor.

Die junge Generation war es auch, die erstmals den Mythos von Österreich als „erstes Opfer" Nazi-Deutschlands – und damit den Post-1945-Konsensus – hinterfragte.

Kristallisationspunkt der Aufarbeitung der unbewältigten Vergangenheit wurde 1986 der Fall Waldheim. Es zeigte sich, dass, wie Pelinka schreibt, der Narrativ von einem – jeweils klar geschiedenen – roten, schwarzen und einem blau-braunen Lager nicht aufrecht zu erhalten war. Vielmehr hatten nach 1945 alle Parteien ehemalige Nazis in ihre Reihen aufgenommen.

Die Entwicklung seit den 1980er Jahren in Richtung mehr Pluralität ist auch eine Verwestlichung, eine Europäisierung Österreichs – und damit eine „Entaustrifizierung". Der Parteienstaat und damit die Parteien haben an Macht und Einfluss verloren. Paradoxerweise, so Pelinkas These, hat jedoch gerade dieser Trend die Politikerverdrossenheit verstärkt – und der Haider-FPÖ Auftrieb verliehen: Die Patronage-Erwartungen, welche die Bevölkerung traditionell mit Politik verbindet, konnten im Zeitalter der Globalisierung von den Parteien nicht mehr erfüllt werden. Die Frustration bleibt – gewechselt hat nur der Adressat: Waren es gestern die „Altparteien", so ist es heute die Europäische Union.

Anton Pelinkas kleines, aber feines Buch ist allen an der österreichischen Politik und Geschichte Interessierten zu empfehlen, die sich einen Überblick über die Entwicklung des österreichischen Parteienstaates und –systems und seine – sich zunehmend abschwächenden – Besonderheiten verschaffen möchten.

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