Claudia Kuretsidis-Haider: Das Volk
sitzt zu Gericht. Österreichische Justiz und
NS-Verbrechen am Beispiel der Engerau-Prozesse
1945-1954. Studien Verlag Innsbruck-Wien-Bozen 2006.
496 Seiten
ISBN: 3-7065-4126-2
EUR 53,00.-
Im August 1945 fand der erste Prozess
des Volksgerichts Wien gegen vier Wiener SA-Männer wegen
Verbrechen an ungarisch-jüdischen Zwangsarbeitern, die
beim so genannten Südostwallbau im Lager Engerau (heute
Petrzalka/Bratislava) Sklavenarbeit in Form von
Schanzarbeiten leisten mussten, statt. Bis zur
Evakuierung des Lagers vor der heranrückenden
sowjetischen Armee Ende März 1945 kamen Hunderte
ungarische Juden aufgrund der mangelnden hygienischen
Bedingungen und Misshandlungen ums Leben oder wurden von
der österreichischen Wachmannschaft ermordet. Mehr als
hundert Personen mussten auf dem „Todesmarsch" von
Engerau und weiter auf dem Schiffstransport in das KZ
Mauthausen ihr Leben lassen.
Zwischen August 1945 und Juli 1954 ermittelte das
Landesgericht Wien als Volksgericht gegen mehr als 70
der für die Verbrechen verantwortlichen österreichischen
SA-Männer und politischen Leiter. Diese „sechs
Engerau-Prozesse" sind die einzigen Verfahren, die sich
über fast den gesamten Zeitraum der österreichischen
Volksgerichtsbarkeit erstreckten.
Auf Grundlage von mehr als 8.000
Seiten Gerichtsdokumenten stellt das Buch die Geschichte
der Engerau-Prozesse sowie ihre Hintergründe erstmals
ausführlich dar. Es ist den Opfern der Verbrechen in
Engerau gewidmet - stellvertretend für Tausende
ungarische Juden und Jüdinnen, die zu Kriegsende in
Österreich umgekommen sind und deren Schicksal vielfach
noch auf eine Aufarbeitung wartet.
Für das Manuskript dieses Buches
erhielt die Autorin den Herbert-Steiner-Preis 2004
sowie den Theodor-Körner-Preis 2004.
Die Autorin:
Mag. Dr. Claudia Kuretsidis-Haider, geb. 1965; Studium
der Geschichte und Geografie (Lehramt). Seit 1988
Mitarbeiterin des Dokumentationsarchivs des
österreichischen Widerstandes. Seit 1998 gemeinsam
mit Winfried R. Garscha Leiterin der Zentralen
österreichischen Forschungsstelle Nachkriegsjustiz.
Forschungsschwerpunkte: Ahndung
von NS-Verbrechen in Österreich nach 1945 und im
europäischen Kontext, Vergangenheitspolitik in
Österreich sowie Widerstand und politische Verfolgung in
der NS-Zeit.