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Der „virtuelle" Jude

Alfred Gerstl

Klaus Hödl (Hg.): Der „virtuelle" Jude.
Konstruktionen des Jüdischen.
Studien Verlag: Innsbruck – Wien – Bozen 2006.
157 Seiten.
ISBN: 3706519941
EUR 19,90.-

Die Renaissance jüdischer Kultur in vielen westlichen Ländern ist ein unbestrittenes Phänomen. Bemerkenswert ist, dass in etlichen Gesellschaften nicht allein Juden, sondern auch Nicht-Juden daran großen Anteil haben: Neben der Popikone Madonna, die die Kabbala populär machte, sei hier nur auf das alltagskulturelle Beispiel der Fußball-Fans von Ajax Amsterdam verwiesen, die ihre Kleidung mit jüdischen Symbolen schmücken.

Ein Blick in die Geschichte zeigt, dass es seit Jahrhunderten ein virtuelles Judentum gibt – ein Vorurteile reflektierendes Bild, konstruiert von weltlichen wie religiösen Gegnern des Judentums. Diesem virtuellen Judentum steht das authentische Judentum entgegen. Doch was macht eigentlich den Kern des Jüdischen aus? Auch wenn es nicht genau definiert werden kann, es keine unbestrittenen Kernelemente gibt, die Definitionsmerkmale noch dazu prozesshaften Veränderungen unterliegen und immer auch Nicht-Juden das „echte" wie „virtuelle" Juden-Bild mitkreierten, so weiß man doch ungefähr, gefühlsmäßig, was „das" Judentum, „das" Jüdische ist. Ein – aus wissenschaftlicher Sicht – freilich unbefriedigender Zustand, doch wie Herausgeber Klaus Hödl festhält, ist es unmöglich, das authentische Judentum zu definieren. Primär geht es Hödl, der das Centrum für Jüdische Studien der Universität Graz leitet, daher darum, die Dichotomie authentisches - konstruiertes Judentum zu überwinden.

Den „wahren Kern" des Judentums aufzuzeigen kann und will dieses Buch deshalb nicht; vielmehr analysieren die Autorinnen und Autoren in insgesamt 10 Beiträgen das Bild, das sich verschiedene Gesellschaften – etwa die deutsche und die polnische – zu verschiedenen Zeiten von „dem" Juden gemacht haben. Christian Schölzel illustriert am Beispiel des Weimarer Politikers Walter Rathenau, wie dessen faschistischen Zeitgenossen – übrigens ebenso wie viele demokratische – vermeintlich jüdische Stereotype auf den deutschen Außenminister übertrugen: Vom „raffgierigen allmächtigen" jüdischen Unternehmer über den „jüdischen Bolschewisten" ist da ebenso die Rede wie vom „allmächtigen jüdischen Politiker", der Deutschland durch seine internationalistische Friedenspolitik schaden wolle.

Im Nachkriegs-Polen war das Image des Juden stark mit der Vorstellung verbunden, Juden benützten den Kommunismus, um die jüdische Weltherrschaft durchzusetzen, wie Agnieszka Pufelska aufzeigt. Die offiziell natürlich anti-antisemitisch und internationalistisch eingestellte kommunistische Führung instrumentalisierte den Antisemitismus, bot er doch die Möglichkeit eines Konsenses mit der Bevölkerung – und der Kirche. Aus dem Vorurteil eines Judäo-Kommunismus spricht sowohl der Antikommunismus der polnischen Gesellschaft wie der traditionelle Antisemitismus. Im nationalpatriotischen Polen der Kaczynski-Zwillinge scheinen beide Einstellungsmuster virulenter denn je.

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