Ceija Stojka: Träume ich, dass ich
lebe? Befreit aus Bergen-Belsen.Herausgegeben von Karin
Berger. Picus-Verlag Wien, 2005
120 Seiten
ISBN 3-85452-492-7
EUR 14,90.-
Ceija Stojka, eine aus Kraubath in
der Steiermark stammende Roma, erzählt im vorliegenden
Buch einen eigenen kurzen Lebensabschnitt aus dem Jahr
1945 mit einer kindlich-ungeschminkten Offenheit, die
den geschockten Leser an der Menschheit verzweifeln
lässt. Ceija Stojka hat nicht verzweifelt und so das KZ
überlebt – als eine von sechs ihrer einst rund 200
Mitglieder umfassenden Rom-Lowara Familie.
Die Bewältigung ihrer Erfahrungen in
Auschwitz-Birkenau, Ravensbrück und zuletzt eben in
Bergen-Belsen könnte beeindruckender kaum sein, schreibt
Ceija Stojka doch aus der Sicht eines elfjährigen Kindes
und mit ebendieser Mitteilsamkeit. Fast ist man versucht
zu meinen, dass es sich dabei um Geschichten handelt, so
wie Kinder nach dem Sommer in der Schule angehalten
werden, Aufsätze über ihre Ferienerlebnisse
niederzuschreiben – mit dem bizarren Unterschied, dass
es sich bei Ceija´s Erzählungen um Erinnerungen aus
Bergen-Belsen handelt. Was am meisten berührt, ist der
Erzählstil, mit dem berichtet wird. Zwar finden sich
angesichts des täglichen Überlebenskampfes im Lager auch
in Ceijas kindlicher Sprache Extrema zuhauf, doch der
naive Umgang mit dem namenlosen Grauen wirkt ungleich
beeindruckender, die Bilder noch plastischer. Leben
inmitten von Leichenbergen, ja schlimmer noch: Leben
in Leichenbergen zum Schutz vor Kälte und Witterung.
Gegen das Konzept des „Verhungern-Lassens" ihrer
Peiniger isst man Gras, Erde, selbst Kleidungsstücke und
Schuhe, die man den Leichen auszieht. Kannibalismus ist
an der Tagesordnung, doch wehrt sich Ceijas Mutter bis
zuletzt mit Erfolg gegen ein Überschreiten dieses
letzten Tabus. Gegen den Durst leckt man in der Früh die
Tautropfen vom Stacheldraht.
Bei der Lektüre von „Träume ich, dass
ich lebe?" stellt sich automatisch dumpfe Betroffenheit
ein. Bilder von Hieronymus Bosch drängen sich auf und
man stellt sich die Frage, wie Menschen, die derartiges
überlebt haben, in eine Gesellschaft zurückkehren
konnten, die 1945 zu hohem Prozentsatz historische
Mitverantwortung trug und trägt. Ceija Stojka kehrte
nach ihrer Befreiung durch die britische Armee nach Wien
zurück, wo sie seither lebt und als Künstlerin und
Schriftstellerin wirkt. Die Erinnerung jedoch wird
bleiben.
Erinnerung, die nicht vergehen will.
Erinnerung, die nicht vergehen darf.
Abschließend eine Anmerkung in
eigener Sache: Als ich als junger Student anlässlich
eines längeren Archivaufenthaltes für mehrere Monate in
London weilte, besuchte ich auch die damals im „Imperial
War Museum" laufende Sonderausstellung über die
Befreiung des Konzentrationslagers Bergen-Belsen durch
die britische Armee. „Admission for children strictly
prohibited!" stand auf einer Tafel im Eingangsbereich
der optisch völlig vom Rest des Museums abgeschirmten
Ausstellung zu lesen. Und das aus gutem Grund. Die
Bilder der dort gezeigte Kakophonie des Grauens konnte
ich bis heute nicht vergessen. Während ich die
Ausstellung wieder verließ, kam ich abermals an diesem
Schild vorbei: „Admission for children strictly
prohibited!"
Für die elfjährige Ceija Stojka gab
es so ein Schild nicht.