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Auf der Suche nach einer verlorenen Spur

Tina Walzer

Joel Mettay, Die verlorene Spur. Auf der Suche nach Otto Freundlich. Aus dem Französischen übersetzt von Tobias Scheffel. Wallstein Verlag Göttingen 2005.
88 Seiten, 5 Abbildungen
ISBN: 3-89244-970-8
EUR 14,40.-

Der französische Schriftsteller und Journalist Joel Mettay begibt sich in diesem spannend zu lesenden Bändchen auf eine sehr persönliche Suche nach den Opfern der Shoa. Es ist ein Experiment, in dem er seine eigene Beobachtung und Betroffenheit mit biografischen Details zu Otto Freundlich und historischen Fakten kunstvoll verdröselt. Otto Freundlich, so lesen wir, wird für Mettay auf der Suche nach seinem eigenen, in Auschwitz umgekommenen Großvater zur Folie, vor deren Hintergrund auch die Konturen des nie gekannten, schmerzlich betrauerten Familienmitgliedes klarer hervortreten können. Antworten auf jene Fragen, die sich ihm als Angehöriger der dritten Generation in Frankreich stellen, sucht er, sich behutsam vorwärtstastend, in dem schwer faßbaren Grenzbereich, wo individuelle Lebensereignisse auf die lebensbedrohlichen Interventionen des NS-Regimes trafen. Von der Last des Ungewissen versucht sich Mettay zu befreien - und erfährt: „Es ist, als wanderte man auf einem steilen Pfad und hinter einem läse jemand Schritt für Schritt Steine auf und lüde sie in den Rucksack, den man über der Schulter trägt." Und doch, selbst die Unmöglichkeit, sich von der Last zu befreien, bremst den Suchenden nicht. Von Zeit zu Zeit, so nimmt er sich vor, will er die Stille durchbrechen, will er die Opfer benennen. „Ein Überlebender sagte: ‚Wenn es keine Spuren mehr von ihnen gibt, keine Gräber, nichts, wenn ihre Existenz und selbst die Existenz der Orte, an denen sie den Tod fanden, heute geleugnet wird, bleibt dies die einzige Möglichkeit, sie zu ehren.‘ Ihre Namen zu nennen, bedeutet nicht nur, ihre Existenz zu bestätigen, es bedeutet auch, daran zu erinnern, daß man sich ihrer beraubt hat." Mettay folgt der Spur des bekannten Künstlers Otto Freundlich und findet so zu seinem Großvater, aber auch zu einem ungekannten Stück seiner selbst. Für uns alle leistet er damit einen ganz wesentlichen Beitrag zur Arbeit der Erinnerung.

Der Bildhauer und Maler Otto Freundlich, geboren in Stolp (Pommern) 1879, verbrachte einen Großteil seines Lebens zwischen Deutschland und Frankreich pendelnd, bis er sich 1925 in Paris dauerhaft ansiedelte. Seine künstlerische Entwicklung führte ihn von der Musiktheorie über literarische Arbeiten zur Bildhauer-Ausbildung. Sehr früh kam er in Kontakt mit den herausragenden Vertretern der Pariser Avantgarde, die sein weiteres Werk entscheidend beeinflussen sollten. Daneben entstanden Kontakte zur „Neuen Berliner Secession". Nach seinem Dienst im 1. Weltkrieg schuf er Werke und Beiträge zum Expressionismus. Der Architekt Walter Gropius versuchte, ihm eine Stelle als Lehrer am „Bauhaus" zu verschaffen. Freundlich engagierte sich in den vielfältigen Unternehmungen der Revolutionären Künstler, sowohl in Deutschland, als auch später in Frankreich. 1937 erschien eine seiner Skulpturen auf dem Titelbild des Kataloges zur nationalsozialistischen Ausstellung „Entartete Kunst". 14 Werke Freundlichs wurden daraufhin beschlagnahmt und zerstört. 1939 wurde Freundlich als deutscher Staatsangehöriger in Frankreich gleich zu Kriegsbeginn gefangengenommen und in Internierungslager verbracht. Nach seiner Entlassung 1940 flüchtete er, völlig mittellos, in die Pyrenäen, 1942 wurde er von einer Bauernfamilie versteckt. Nach einer Denunziation durch französische Nachbarn verhaftet und wiederum interniert, wurde Freundlich am 4. März 1943 aus einem Lager in der Nähe von Paris schließlich nach Polen deportiert. Am Tag seiner Ankunft im Lager Majdanek, dem 9. März 1943, kam er ums Leben.

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