http://david.juden.at  
 
 

unterstützt von:


 

Der „virtuelle" Jude

Elisabeth Kübler

Konstruktionen des Jüdischen
HÖDL, Klaus (Hg.)
(Schriften des Centrums für Jüdische Studien, Bd. 7)
Innsbruck, Wien, Bozen: Studienverlag, 2005, 157 S.
EUR 19,90,
ISBN 3-7065-1994-1

„Wenn von dem ,virtuellen Juden’ oder auch Konstruktionen des Jüdischen gesprochen wird, wird meist zunächst an Konstruktionen des Jüdischen als Ergebnis von Fremdzuschreibungen gedacht, die keine oder nur wenig Entsprechung in der Realität haben. Das Problematische an dieser Vorstellung ist, dass sie implizieren kann, dass es demgegenüber so etwas wie eine natürlich gegebene und darum wirklichere jüdische Identität gibt. Es gibt jedoch keine natürlich gegebene jüdische Identität im Gegensatz zu Konstruktionen. Jede Selbstbezeichnung als jüdisch ist ebenso virtuell, weil ebenso vorgestellt." (S. 101). Die ersten Sätze des Essays von Susanne Schönborn fassen sehr klar die theoretische Grundlegung des von Klaus Hödl edierten Konferenzbandes zusammen. Der Herausgeber verbindet in der Publikation ziemlich divergierende Beiträge, die allesamt „essentialistische Sichtweisen zu dekonstruieren" (S. 9) vermögen.

Eine Klammer um eine Vielzahl der in diesem Buch versammelten Arbeiten ist die Kritik an Ruth Ellen Grubers 2002 erschienener Veröffentlichung „Virtually Jewish. Reinventing Jewish Culture in Europe", die eine Bruchlinie zwischen authentischer jüdischer Tradition und – oftmals durch NichtjüdInnen getragene – rezente Versuche einer Annäherung an jüdische Themen ortet.

Sich auf Konzeptionen jüdischer Museen in Österreich und Deutschland vor und nach der Shoah beziehend suchen Klaus Hödl, Robin Ostow und – auf besonders spannende Art – Stefan Krankenhagen Grubers Thesen zu widerlegen. Eine ähnliche Perspektive wählt Michael Nagel, der sich mit Geschichtsbildern in der deutsch-jüdischen Presse und Belletristik ab Mitte des 19. Jahrhunderts auseinandersetzt. Auf Selbst- und Fremdwahrnehmungen jüdischer Identitäten fokussieren die Aufsätze von Christian Schölzel über Walther Rathenau, von Hildegard Frübis über Max Liebermann und von Susanne Schönborn über die Fassbinder-Debatte 1984/85. Antisemitische Konstruktionen des Jüdischseins werden bei Ingo Loose und Agnieszka Pufelska diskutiert. Ersterer vergleicht „Das Bild ,des Judens’ in der Historiographie zur NS-Wirtschaft im deutsch-polnischen Vergleich". Pufelska zeigt auf, wie im Nachkriegspolen eine katholisch-nationalistisch motivierte Diffamierung „der Juden" als TrägerInnen des realsozialistischen Regimes unter dem Titel der „Judäo-Kommune" weit verbreitet war und zu gewalttätigen Ausschreitungen führte (z.B. das Pogrom von Kielce 1946). Einen interessanten Aspekt führt Dirk Rupnow in die Debatte ein: die NS-Gedächtnispolitik bezüglich der jüdischen Geschichte. Pläne zur Errichtung eines jüdischen Museums in Prag und Ansätze zur so genannten „Judenforschung" belegen die perfide Tatsache, dass keineswegs eine mit dem Holocaust einhergehende „Endlösung der Erinnerung", sondern vielmehr eine „Arisierung des Gedächtnisses" stattfand.

Kulturwissenschaftliche Ansätze sind im Bereich der deutschsprachigen Jüdischen Studien oder Judaistik bislang kaum etabliert. Insofern leistet der von Klaus Hödl herausgegebene Sammelband gerade in methodischer Hinsicht wichtige PionierInnenarbeit. Mit einer anti-essentialistischen Sichtweise kann beispielweise nachgewiesen werden, dass ein Konzept wie das jüdische Volk keine ahistorische Konstante darstellt, sondern so wie jede andere Kollektivbildung ständig aufs Neue durch Sozialisation, Erziehung, Zugehörigkeitsbekenntnisse etc., aber auch durch anti- und philosemitische Fremdzuschreibungen sozial konstituiert wird. Ob die konstruktivistische Orientierung in den Jüdischen Studien (in der Judaistik) auch im Stande ist, religionsgeschichtliche, religionssoziologische und religionsgesetzliche Fragestellungen zu beantworten, könnte ein lohnendes Thema für weitere Publikationen abgeben.

Zurück

 
 
webmaster@david.juden.at

Unterstützt von haGalil.com
haGalil onLine